In die Weite
„Jenseits von Afrika“ von Tania Blixens: der Buchtipp von Stephanie von Hayek.
4. Juni 2016
Ein Beitrag von Niklas Kossow
„Niklas Kossow, Jahrgang 2014/15, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Hertie School of Governance. Er forscht zur Nutzung von neuen Medien in der Bekämpfung von Korruption.“
Im Oktober 2015 gingen fast 250 000 Menschen in Berlin auf die Straße, die größte Demonstration seit der Wiedervereinigung. Sie richtete sich gegen das Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP), das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Die Menschen trauen denen nicht mehr, die das Abkommen für sie in Brüssel verhandeln.
Das Misstrauen zwischen der Bevölkerung und den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten scheint heute größer denn je. Seit 1973 erfasst das Eurobarometer, u.a. wie sich die Europäer fühlen und ihre Einstellungen zu den öffentlichen Institutionen. In den vergangenen Jahren fiel ein Trend dabei besonders auf: Das Vertrauen in öffentliche Institutionen nimmt ab.
Oft wird dies mit der wirtschaftlichen Situation in den EU- Ländern in Zusammenhang gebracht. Doch vertrauen die BürgerInnen ihren staatlichen Institutionen wirklich mehr, wenn es ihnen wirtschaftlich besser geht? In der Tat ging das Vertrauen in Institutionen in Ländern, die schwer von den vergangenen Wirtschaftskrisen getroffen wurden, besonders stark zurück. Ein EU- Bericht von 2016 zeigt: Noch wichtiger als die wirtschaftliche Situation scheint die Integrität und Qualität öffentlicher Institutionen. Was aber sind gut funktionierende Institutionen? Parlamente, welche die Meinungen der BürgerInnen ernst nehmen und gewissenhaft vertreten; ein öffentlicher Dienst, der effizient arbeitet und weder Nepotismus noch Bestechung zulässt; eine Regierung, die transparent und verantwortungsbewusst arbeitet. In vielen Ländern sind solche Institutionen noch immer nicht selbstverständlich. Gleichzeitig hat das Europäische Parlament noch immer zu wenig Einfluss, die EU-Kommission in Brüssel ist zu weit weg von den BürgerInnen.
TTIP macht dies besonders deutlich. Obwohl das Abkommen zum Großteil technische Fragen und Industrienormen behandelt, ist die Ablehnung in der Bevölkerung in den meisten EU- Staaten groß – so groß, dass bereits von einem möglichen Scheitern der Partnerschaft gesprochen wird. Abgesehen von den berechtigten Debatten über Kosten und Nutzen von TTIP gibt es einige Anzeichen, dass viel Kritik und Ablehnung hätte vermieden werden können, wenn der Verhandlungsprozess anders gestaltet worden wäre. In den Verhandlungen der EU mit den USA zeigte sich ein grundlegendes Problem. Die BürgerInnen vertrauen nicht darauf, dass in Brüssel in ihrem Interesse verhandelt wird. Die Reaktion der Kommission auf das mangelnde Vertrauen war dabei maximal kontraproduktiv. Dokumente zum Verhandlungsstand wurden geheim gehalten und erst auf Druck der Zivilgesellschaft und der nationalen Parlamente verfügbar gemacht. Allerdings nicht der Bevölkerung, sondern nur den Parlamentariern, die später dem Abkommen zustimmen sollen. Erst als Greenpeace geleakte Dokumente PR-wirksam präsentierte, konnte endlich jeder nachlesen, worüber genau bei den TTIP-Verhandlungen diskutiert wird.
Die geleakten Dokumente machten klar, wie weit die USA und die EU von einer Einigung entfernt sind. Auch die streitbaren Punkte des Abkommens wirkten plötzlich relativ übersichtlich. Die Geheimniskrämerei um die Verhandlungen hat daher nicht nur der Kommission selbst, sondern auch dem Image der EU geschadet. Die EU wirkte schon wieder so, als ob sie weit weg und möglicherweise gegen ihre BürgerInnen regiert.
In den wirtschaftlich schwierigen Zeiten der vergangenen Jahre trat das zum Vorschein, was oft als Mangel an „Input-Legitimität“ der EU bezeichnet wird. Der EU fehlt es an Legitimität, die sich aus der Partizipation der BürgerInnen speist. Institutionen werden als legitim wahrgenommen, wenn BürgerInnen an ihrer Ausgestaltung teilhaben können. In der politischen Theorie kann, vereinfacht gesprochen, mangelnde Input-Legitimität zumindest teilweise durch eine sogenannte „Output-Legitimität“ kompensiert werden: Profitieren die Menschen vom politischen System, ist ihnen mangelnde Partizipation meistens weniger wichtig. Durch die andauernde Krise und Verlustängste scheint dies jedoch nur teilweise eine Lösung zu sein. Falls die EU und die nationalen Institutionen das verlorene Vertrauen zurückgewinnen wollen, müssen sie sich reformieren. Sie müssen Korruption und Misswirtschaft konsequent bekämp- fen und vermeiden, dass BürgerInnen das Gefühl haben, es käme in Europa vor allem darauf an, gut vernetzt zu sein und Einfluss zu haben.
Vor allem aber sollte BürgerInnen eine größere Teilhabe eingeräumt werden. Dafür müssen Institutionen transparenter werden und BürgerInnen früh in Entscheidungsprozesse einbinden. Aber wie? Ausbau der Rechte und des Einflusses des EU-Parlaments? Oder reicht es aus, wenn EU-Politiker sich national stärker engagieren und für die Brüsseler Politik werben? Für Großbritannien kommen mögliche Reformen in jedem Fall zu spät: Die BürgerInnen dort haben der EU bereits endgültig das Vertrauen entzogen.