21. Juni 2013

Auf der Suche nach der verlorenen russischen Seele

Denke ich an Russland, tauchen vor meinem inneren Auge Bilder auf. Von langen Abenden mit Tee und Gebäck. Von einsamen Musikern, die auf  dem Arbat ihr Klagelied anstimmen. Von Babuschkas mit Kopftüchern, die auf den Straßen Piroschki verkaufen. Von Sowjetprunk und brutalistischer Hässlichkeit, Orthodoxie und Weihrauch.    Das alles ist Moskau – nicht. Piroschki und Pelmeni gibt es mittlerweile beim hippen „Pelman“ auf der Tverskaya, der fünf Euro für sechs Stück verlangt. Es gibt keine Babuschkas, nur junge hübsche Menschen, die genauso gut aus Paris oder Berlin sein könnten. Die Russin in Stilettos und mit aufgespritzten Lippen ist nurmehr ein Klischee – man trägt Ballerinas, oder die letzte nike Turnschuhserie. Die Taxifahrer navigieren mit I-Pads. Ehemalige Kommunalwohnungen sind umgewandelt zu Penthouses. Porsches, BMWs und Ferraris parken vor „Coffeemania“, das den Becher für 9 Euro verkauft. Die Putzfrau heißt nun „Klining Ledi‘, in russischer Schrift. Der Museumsshop des Moskauer MOMA verkauft den gleichen pseudo-arty Kitsch wie die Tate.   Verloren stehe ich in der prunkvollen Metro, den „Palästen für das Volk“. Im Zweiminutentakt rasen U-Bahnen mit dem Lärm eines D-Zuges in die Station. Die Menschen drängeln sich in überfüllte Waggons. Hier will ich nicht rein. Ich verlasse die Station wieder über den Perechod,  die Untergrundtunnel, die ganz Moskau durchziehen und ungestörte Raserei auf den Straßen oberhalb ermöglichen. Der Ausgang ist versperrt. Brad Pitt kommt gleich an, erklärt mir eine Frau eifrig, ohne dass ich gefragt hätte. Das internationale Moskauer Filmfestival findet doch statt.   Konsum Konsum Konsum. Bin ich deshalb hier? Für just another European metropolis? Es muss doch noch was übrig sein, von der Staat gewordenen Utopie, von Traum und Terror.   65m unter Moskaus Erdboden befindet sich der Stalinbunker. Freunde empfahlen mir einen Besuch. Ist die russische Seele vielleicht im wichtigsten Bunker der Sowjetunion vergraben? Ich werde es nicht erfahren. Der Bunker ist heute geschlossen. Ein Wodka & Kaviar „teisting“ findet statt, für geladene Gäste.   206m über Moskau, in der Bar des Radisson Moscow, ehemals Hotel Ukraina, blickt man weit über die glitzernde Stadt. Ein Mädchen erzählt, sie arbeite als Manager. Zwar habe sie Geschichte studiert, aber als Lehrer verdient man kein Geld. Genauso wenig als Arzt. Nur 400 Euro im Monat. Die Zukunft Russlands seien die Ökonomen, so habe es Medwedew selbst gesagt. Ich behalte meine Zweifel für mich und spaziere nach Hause.   Moskauer gehen nicht. Sie eilen, stürzen, stolpern. Aber hier, vorbei an Puschkins Denkmal, ist es anders. Gehetzte Gestalten werden zu Benjamin‘schen Flaneuren. Die tosende Straße verwandelt sich in einen breiten, mit Parkbänken gesäumten Boulevard.  Der Autolärm ist wie verschluckt. Die dichten Bäume wispern und rauschen. Ich bilde mir ein, sie erzählen Geschichten verlorener Seelen.     Walking along the streets of Moscow http://www.youtube.com/watch?v=fGE4Lukd3QU   * *