26. November 2013

Bamiyan City – Vom Kriegssymbol zum Hoffnungsträger

Der Afghanistankrieg geht diesen Herbst in sein zwölftes Jahr. In der Provinzhauptstadt Bamiyan, im zentralafghanischen Hochland, wo zu Beginn des Konfliktes im März 2001 die welt­ bekannten Buddha Statuen von der Taliban beschossen und schließlich gesprengt wurden, ist von der weiterhin angespannten Sicherheitslage in weiten Teilen des Landes nur wenig zu spüren. Auch die regelmäßigen Anschläge in der Hauptstadt Kabul sind weit entfernt. Fast wähnt man sich in einem anderen Land.

Das fruchtbare Hochtal, dessen sattgrüne Felder einen starken Kontrast zu den ockerfarbenen Karstformationen der Umgebung bilden, wirkt wie eine friedliche Oase inmitten dieses kriegsge­beutelten Landes. Wie neu und fragil diese Situation ist, zeigt ein Blick in die jüngere Geschichte der Provinz. Als Heimat der schiitischen Hazaras, der nach Paschtunen und Tadschiken drittgrößten Ethnie des Landes, wurde Bamiyan in den 1990er Jahren Schauplatz zahlloser Verbrechen und Gräueltaten. Getreu ihrer Redewendung „Tadschiken nach Tadschikistan, Usbeken nach Usbekistan und Hazara nach Goristan (auf den Friedhof )“, begingen die Taliban zahllose Morde und Gewalttaten an der Hazara­ Bevölkerung. Erst seit dem Eingreifen der ISAF Truppen 2001/02 herrscht Frieden im Tal.

Das Bamiyan­Tal ist eingefasst von den hohen, schneebedeck­ten Bergen des Hindukusch. Zahlreiche Kulturen haben hier, im südlichen Wegegeflecht der historischen Seidenstraße, ihre Spuren hinterlassen. Eine Fülle archäologischer Stätten lassen die Vergangenheit stets präsent erscheinen. Die Stadt selbst ist, von der belebten Stadtmitte und der Haupteinkaufsstraße ab­gesehen, wenig urban und genau genommen eher eine große Streusiedlung, die sich auf dem fruchtbaren Talboden ausbreitet. So haben Landwirtschaft und Handel von jeher das Leben der Stadtbewohner bestimmt. Das Besondere ist die Symbiose städtischen Lebens mit einer Landschaft von beeindruckender Schönheit und zahlreichen kunst­- und kulturgeschichtlich be­deutsamen Orten. Bis heute konnte Bamiyan seinen ursprüng­lichen Charakter weitestgehend bewahren. Gleichzeitig stellen das rasante Wachstum der letzten Jahre und insbesondere die Hoffnung auf touristische Entwicklung die Harmonie der gewachsenen Kulturlandschaft vor große Herausforderungen.

Stadt – Kultur – Landschaft

Erst 2003 wurde die Kulturlandschaft von Bamiyan und die zu­ gehörigen archäologischen Stätten in die von der UNESCO geführte Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Neben den bekannten Kolossalstatuen aus dem 6. Jahrhundert gehören ausgedehnte Höhlenklöster, die in den weichen Stein des über zwei Kilometer breiten Sandsteinkliffs geschlagen wurden, zum geschichtlichen Erbe aus buddhistischer Zeit. Viele der über 700 Höhlen waren seit ihrer Entstehung durchgängig be­wohnt und boten gerade den ärmsten Familien Bamiyans eine kostenlose Bleibe. Im Zuge der Aufnahme in die Welterbeliste wurde jedoch die forcierte Umsiedlung der Bewohner in eine außerhalb der Stadt gelegene Siedlung beschlossen, um eine bessere Konservierung der Höhlen zu ermöglichen. Allerdings führte die Sorge um den Erhalt der Höhlen damit auch zu einem Verlust des authentischen und lebendigen Charakters und letzten Endes zu einer Musealisierung des Kliffs. Ein Dilemma.

Blick auf die Buddha-Nischen © Matthias Beckh

Darüber hinaus gibt es bedeutsame Anlagen aus islamischer Zeit, wie die gewaltigen Festungsbauten von Shahr­e­ Gholghola und Shahr­e Zohak, die über der Talebene thronen und die vorbeiziehende Karawanenstraße kontrollierten. Die acht zum Weltkulturerbe zählenden Kernzonen befinden sich am Rande oder in der unmittelbaren Umgebung der Stadt Bamiyan. Die Stadt selbst wurde in den 1990er Jahren ihres historischen Lebens­ mittelpunktes beraubt, als die alte Bazaarstraße in Folge ethni­ scher Konflikte abgebrannt wurde.

Hauptstadt der Hazara

Heute, zwölf Jahre nach der Vertreibung der Taliban ist die Provinz eine der sichersten des Landes. Von den Kriegswirren, die vor allem die südlicheren Provinzen erschüttern, fühlt man sich weit entfernt. Diese Situation hat für die Entwicklung der Stadt spürbare Konsequenzen: Der Zuzug ist immens. Vor allem Hazaras aus anderen Provinzen haben in den letzten Jahren hier Zuflucht gesucht. Und obwohl es aus Gründen der Staats­räson, um einer ethnischen Separation des Landes nicht Vor­schub zu leisten, von Seiten der Provinzregierung nicht in der Öffentlichkeit geäußert wird: Der Ausbau der Stadt als „sicherer Hafen“ für die Hazaras ist nach Jahrzehnten der Unter­drückung und Verfolgung politisch gewollt. So hat sich allein in den letzten 20 Jahren die Bevölkerung auf heute gut 60 000 Einwohner verdoppelt.

Neue Stadtviertel sind in kurzer Zeit entstanden, um die neuen Bewohner aufzunehmen. In nur wenigen Jahren wurden die steilen Berghänge am nördlichen Stadtrand bebaut. Aus städtebaulicher Sicht ist erfreulich, dass die neuen Wohnhäuser in traditioneller Lehmbauweise errichtet sind und sich harmonisch in die Umbegung einfügen, da das Baumaterial praktischerweise dem Grundstück entnommen wird. Auch auf der Hochebene südlich der Stadtmitte befindet sich ein aus­ gedehntes Entwicklungsgebiet, das die Fläche der Stadt nahezu verdoppelt hat. In der Umgebung der Flughafenpiste sind inner­ halb kürzester Zeit viele Verwaltungsbauten und die Erweite­ rung der Universität entstanden.
Die vergleichsweise gute Sicherheitslage hat neben dem Bevöl­kerungsdruck weitere Konsequenzen. Aufgrund der stabilen Situation war es für Bamiyan in den letzten Jahren schwierig, Hilfsgelder oder ­-projekte für die Stadtentwicklung zu akqui­rieren. Investiert wird eher in die prekären und unruhigeren Ballungszentren des Landes, die natürlich stärker im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, als das friedsame Bamiyan. Erst seit kurzem scheint dieser Trend gestoppt. Habiba Sarabi, seit 2005 Gouverneurin mit großem Geschick und erheblicher Courage, gilt als Urheberin dieser Entwicklung.

Hoffnung auf touristische Entwicklung

Die Regierung der Provinz setzt heute große Hoffnung auf eine Renaissance des Tourismus in der Region und unternimmt viel, um an die Zeiten vor der sowjetischen Invasion 1979 anzu­knüpfen. In den 1960er und 70er Jahren war Bamiyan Durch­ gangsstation für zahlreiche Backpacker, die auf dem „Hippie Trail“ Richtung Kathmandu oder Kuta weiterzogen. Schätzungen zufolge waren es wohl um die 50 000 Besucher im Jahr – eine willkommene Geldquelle und ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Stadt. Heute ist der Tourismus praktisch zum Erliegen gekommen. Nur noch wenige ausländische Besucher schauen an den Wochenenden vorbei, zumeist Mitarbeiter der Hilfsin­dustrie aus Kabul. Hauptziel sind natürlich die leeren Nischen der Buddhas. Ein internationales Team bemüht sich seit Jahren um den Erhalt der traurigen Reste und die Konservierung der weiteren, zum Weltkulturerbe zählenden Stätten. Mittlerweile weitestgehend entmint, können diese Orte heute vorsichtigen Fußes wieder begangen und besichtigt werden.

Neue Bazaarstraße © Matthias Beckh

Trotz der andauernden schwierigen Sicherheitslage am Hindu­kusch unternehmen Stadt und Provinz viel, um Bamiyan auf der touristischen Landkarte zu verorten und damit an dem Erfolg teilzuhaben, den andere Weltkulturerbestädte entlang der Seidenstraße, wie zum Beispiel Buchara, Samarkand, Merv oder Dunhuang, für sich verbuchen können. Seit ein paar Jahren gibt es beispielsweise das „Silk Road Festival“, auf dem traditio­nelle Spiele, Musik und Tanz zelebriert werden. Daneben gibt es aber auch weitere Aktionen, um Besucher für die Landschaft und die umliegenden Berge zu begeistern. So versucht man bei­ spielsweise, mit der Erstellung einer ersten Trekkingkarte oder der Ausrichtung der „Afghan Ski Challenge“ die Region für Bergsteiger und Wintersportler attraktiv zu machen. Auch der einzige Nationalpark des Landes, die unweit der Stadt gelegenen, türkis­leuchtenden Bergseen von Band­e Amir, werden als touristische Destination beworben.

Ambitioniert sind auch die Pläne der Stadtentwicklung in diesem Bereich. So wird gerade die Bettenkapazität der touristischen Unterkünfte massiv aufgestockt. In den letzten fünf Jahren hat sich diese bereits auf heute 400 Betten mehr als verdoppelt. Bis zum Jahr 2018 sollen über 1000 Übernachtungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, wie ein Mitarbeiter der Aga Khan Stiftung berichtet, die die Regierung in Fragen der Stadtentwicklung berät. Ob diese Bedarfsabschätzung allerdings realistisch ist, steht und fällt mit der weiteren Entwicklung des Landes. Eine wünschens­werte Stabilisierung der Sicherheitslage und damit steigende Besucherzahlen werden jedenfalls eine städtebauliche Heraus­forderung mit sich bringen: Den ursprünglichen Charakter von Stadt und Tal zu bewahren und gleichzeitig den Anforderun­gen einer touristischen Infrastruktur zu genügen. Die beiden derzeit im Bau befindlichen Hotels, die sich – vorsichtig formu­ liert – nicht gerade ideal ins Stadtbild einfügen, geben Anlass zur Sorge, in wie weit sich diese Ziele miteinander vereinbaren lassen. Doch es gibt auch viele Ereignisse, die Mut machen. So entwickeln lokale Akteure derzeit Konzepte für ökologischen Tourismus. Und Gouverneurin Habiba Sarabi scheut sich nicht vor kontroversen Entscheidungen. Als kürzlich gegen die Auf­lagen des Welterbes verstoßen und innerhalb der Schutzzone gebaut wurde, ließ sie die Häuser kurzerhand abreißen.

Menschen wie Habiba Sarabi stimmen zuversichtlich, dass die gewaltigen Herausforderungen, denen Bamiyan sich heute stellt, gelöst werden können. Wenn man von den Bergen auf die wunderschöne Talebene hinabblickt, fällt es nicht schwer auf eine gute Zukunft zu hoffen, inshallah.