Reise in die Welt der Metaphern
"Auf leisen Sohlen ins Gehirn" von George Lakoff und Elisabeth Wehling: das Lieblingsbuch von Pia Voelker.
4. September 2017
Ein Beitrag von Yorck von Korff
„Facilitator, Konfliktmanager und Coach. Wohnt in Montpellier/ Frankreich und arbeitet in Frankreich und international in den Bereichen Biodiversität, Landwirtschaft, intrnationale Zusammenarbeit, Stadt- und Gebietsplanung, Forschungsplanung, institutionelle Entwicklung, Teamentwicklung.“
Der Zustand der Demokratie gibt Anlass zu Sorge. Spätestens seit Donald Trumps Wahlsieg und der Brexit-Abstimmung ist klar, dass unser politisches System auf der Basis von Wahlen und Referenden Ergebnisse produzieren kann, die nur wenigen (Brexit) oder sehr wenigen (Trump) wirklich nützen. Moderne Verfahren der Bürgerbeteiligung können Abhilfe schaffen.
In Österreich stimmte 2016 fast die Hälfte aller Wähler*innen für den FPÖ-Kandidat Norbert Hofer als Bundespräsident, bei den französischen Präsidentschaftswahlen im Mai 2017 erhielt Marine LePen vom Front National 33,9 Prozent der Stimmen. Die nationalistischen Parteien in den europäischen Ländern gewinnen Stimmen, während sich laut einer Umfrage von Eurobarometer fast die Hälfte der Befragten im März 2017 als „unzufrieden mit der Weise, in der die Demokratie in der EU funktioniert“ erklärt haben. Der Historiker David van Reybrouck spricht sich nicht zuletzt deshalb schon im Titel seines Buches „Gegen Wahlen“ aus. Ein Gegenvorschlag: das Los.
Im klassischen Griechenland – und noch bis in die Zeit vor der Französischen Revolution – redete man nur dann von Demokratie, wenn sich die Bürger unmittelbar an Entscheidungen beteiligen konnten, selbst Vorschläge unterbreiteten, und dann auch darüber abstimmten. Diese Bürger wurden nicht gewählt, sondern durch das Los bestimmt. Das Losverfahren garantierte aktive Beteiligung in großer Zahl, Korruption wurde reduziert, die Bürger waren informiert. Legitim und effizient. Natürlich war die Demokratie in Athen nicht perfekt. Frauen konnten zum Beispiel nicht wählen, ein Recht, das ihnen auch in der repräsentativen Demokratie lange verwehrt wurde.
Heutzutage gibt es viele Konzepte, die es Bürger*innen erlauben, sich zu beteiligen. Irland lost seit 2012 Bürger*innen aus, die über fundamentale politische Fragen beraten und abstimmen. Danach entscheidet das Parlament. Gegebenenfalls macht es den Weg frei für ein Referendum, wie etwa bei den Änderungen zum Abtreibungsrecht. Bürgerversammlungen in Irland haben auch noch andere Themen behandelt: Soll die Amtszeit des Präsidenten verlängert werden? Wie kann man den Frauenanteil in der Politik erhöhen? Soll Irland die Ehe für alle einführen? Die Ergebnisse der Abstimmungen und darauffolgenden Referenden sind oft eindeutig und gesellschaftlich richtungsweisend. Und da sie direkt vom Volk kommen, steht ihre Legitimität außer Frage.
Bürgerversammlungen und ähnliche Verfahren, etwa „citizen juries“, existieren mittlerweile auch in anderen Ländern auf unterschiedlichen politischen Ebenen. New York arbeitete mit 4.300 Bürger*innen zusammen, um Lower Manhattan nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 neu zu planen. New Orleans wählte einen ähnlichen Prozess nach dem Hurrikan Katrina. Noch sind diese Ansätze aber nicht etablierter Teil des Systems. Viele Bürger*innen und Politiker*innen bleiben in dem Irrtum, Bürgerversammlungen seien inkompetent oder nicht repräsentativ. Dabei trifft das Gegenteil zu.
Die ausgelosten Bürger*innen nehmen ihre Aufgabe sehr ernst, sie sind wenig anfällig für Korruption. Mit Hilfe von Expert*innen sind sie schnell auf dem aktuellen Sachstand und arbeiten dadurch auf einem hohen Kompetenzlevel im Hinblick auf das jeweilige Thema. Im Übrigen sind sie in Berufsgruppe, Geschlecht und Alter oft sehr viel repräsentativer für die Gesellschaft als die nationalen Parlamente.
Bürgerversammlungen sind außerdem befreit von blockierenden Konflikten. Politiker*innen im Parteiensystem stehen sich – vor allem in der Zeit des Wahlkampfes – in ihren Blöcken relativ kompromisslos gegenüber. Die Kommunikation in Formaten der Bürgerbeteiligung wird hingegen gewöhnlich durch professionelle Moderation unterstützt, die Empathie und ein positives Klima gewährleistet. In der repräsentativen Demokratie fehlen solche Dinge oft.
Es ist daher an der Zeit, Bürgerbeteiligung und Losverfahren einen festen Platz auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene zu geben. Irland zeigt, dass es funktionieren kann.