Tunesische Wutbürger
28.2.2012 Heute ist arabischer Frühlingsbeginn, erzählt mir unser Fahrer, auf dem Weg zurück vom UNCT Retreat. Auf Richtigkeit überprüfen kann ich (…)
11. Februar 2013
Ein Beitrag von Marike Blunck
Weihnachten in Nepal wäre wohl ohne viel Aufregung vorbei gegangen, wenn es nicht zu besagtem Trip in ein kleines Dorf, in einem bergigen Distrikt weit entfernt von Kathmandu gegangen wäre.
Ich habe die Weihnachtszeit meines Mercator Jahres dafür genutzt, mich für Forschungsarbeiten vor Ort mit dem Thema der Konfliktbewältigung in Nepal auseinander zu setzen. Von besonderem Interesse war dafür die Umsetzung des Friedensabkommens, welches 2006 von den damaligen Konfliktparteien, den Maoisten und der Regierung Nepals, unterzeichnet wurde. Heute sind viele der damals getroffenen Vereinbarungen immer noch nicht umgesetzt und die Frustration in der Bevölkerung steigt. Um mir ein Bild von der derzeitigen politischen Situation zu machen, laufe ich von Interview zu Interview durch die bunten und chaotischen Straßen Kathmandus. Ich spreche mit internationalen und nationalen Organisationen, diplomatischen Vertretungen, Ministerien, und den nationalen Vermittlern des Friedensprozesses. Es ist spannend, aber die Notwendigkeit einer Perspektive außerhalb des Kathmandu Diskurses wird immer deutlicher, insbesondere weil die Wurzeln des Konfliktes in der Mittellosigkeit der ländlichen Bevölkerung liegen.
Ich mache mich auf den Weg in ein kleines Dorf in den Bergen. Es liegt in einem Distrikt, welcher sehr von dem Konflikt betroffen war („Im Dorfkern herrschte die Armee, in den Bergen die Maoisten“) und wohin ein lokaler Bekannter mir Kontakte vermitteln kann. Kontakte, welche, wie ich bald herausfinden soll, nicht einfach zu bekommen sind. Nach stundenlangem Warten – Gut Ding will Weile haben, besonders in Nepal – treffen mein Bekannter und ich uns mit dem politischen Kopf der neuen maoistischen Partei des Distrikts, der sogenannten Roten Fraktion. Die maoistische Partei, welche nach formeller Beendigung des People’s War ins Parlament einzog, hat sich Mitte letzten Jahres gespalten. Die Rote Fraktion ist die Hardliner Fraktion der Maoisten, sie fühlen sich mangels struktureller Veränderung, sowie dem Handhaben des Friedensprozesses um ihren People’s War betrogen. Es ist spät abends als ich endlich mein Interview bekomme, in einem kleinen Hotelzimmer irgendwo in einem kleinen Dorf in Nepals Bergen. Mein Bekannter (und Übersetzer), der maoistische Genosse und ich sprechen bis spät in die Nacht.
Es ist der 24. Dezember. Ich werde früh am Weihnachtsmorgen von einem Hahn geweckt. Es soll weiter gehen in ein anderes Dorf. Sehr nahe gelegen, nur sechs Stunden entfernt. Als mein Bekannter und ich uns auf den Weg machen, winkt der Genosse bereits aus dem Bus. Nach dem eher formellen Interview am Vorabend, habe ich nun die Gelegenheit einer sechsstündigen Busfahrt mit dem Genossen, der freudig den Platz neben mir einnimmt. Wir unterhalten uns über seine Rolle während des People’s War, politische Mobilisierung, Banküberfälle, Waffenbeschaffung, worüber man halt so spricht… Vor allem wird meine Umgebung auf seltsame Weise lebendig. Mein neuer maoistischer Freund zeigt immer wieder auf Orte in den Bergen oder den Dörfern, durch welche wir fahren. „Hier habe ich mich in einem Haus versteckt gehalten“; „Hier wurde ich gefangen genommen“; „Hier haben sie mich festgehalten und gefoltert“. (Mein maoistischer Freund war drei Jahre im Gefängnis nachdem die U.S. Regierung, und daraufhin die Regierung Nepals, die Maoisten 2001 als terroristische Vereinigung klassifiziert hatten. Dies wurde 2007 wieder aufgehoben, nachdem sich die politische Stimmung im Land verändert hatte. Ich habe also Glück, dank Jahreszahl sitze ich nicht mit einem Terroristen im Bus).
Ich versuche, Gesagtes in akademische Schemata zu stecken und finde Erklärungen – oder auch nicht. Vor allem aber entsteht ein persönlicher Eindruck davon, wie tiefgreifend gesellschaftliche Umstrukturierungen in Kriegs- und Nachkriegssituationen sind. Mein maoistischer Freund erzählt weiter. Er beklagt den Verlust von Freunden und Familie (die Familie seiner Frau hat vier Familienmitglieder durch den Konflikt verloren) und der investierten Zeit. Er habe seine produktiven Jahre für den People’s War geopfert und, so wie viele seiner Kameraden, leidet er unter den sozialen, wirtschaftlichen, und direkten Folgen des Krieges. „Wofür?“, fragt er sich. Die erhofften strukturellen Veränderungen, welcher der Friedensprozess mit sich bringen sollte, sind ausgeblieben. Die Desillusion mit dem politischen Prozess in Kathmandu und die mangelnde Unterstützung vom Staat lässt die Frustration unter der Bevölkerung steigen. Damit einhergehend sinkt das Vertrauen in staatliche Institutionen auf nationaler und lokaler Ebene. In akademischen Zirkeln spricht man von einem Governance Defizit.
Im Januar findet der erste Parteitag der Roten Fraktion statt. Teil des Programms ist die Strategie der neuen Partei. „Nein, der politische Prozess habe keine Legitimität mehr und Möglichkeiten zur Einflussnahme werden wieder anders aussehen müssen“, fährt mein maoistischer Freund fort. Wiederholt sich hier der Prozess von 1996, als die Maoisten aufgrund der Ablehnung ihrer vierzig Forderungen an die Regierung den People’s War ausgerufen haben? Vor kurzem hat die neue maoistische Partei ein Dokument mit siebzig Forderungen eingereicht – haben sich die Konfliktgründe vermehrt, statt vermindert? Es gehen Gerüchte um, dass die neue Fraktion am Anfang einer neuen Mobilisierungsphase steht. „Urban Guerilla Warfare“ – damit hätte der derzeitige latente Konflikt wieder Kathmandu erreicht.
Wie viele Menschen diese Linien unterstützen ist zurzeit schwer zu sagen. Klar ist aber, dass die Geschichte meines neuen Freundes kein Einzelfall ist. Seit Wochen besetzten ehemalige maoistische Kämpfer die Parteizentrale der maoistischen Partei in Kathmandu, welche derzeitig die Regierung stellt. Viele der ehemalige Kämpfer haben sich bereits der neuen Roten Fraktion angeschlossen. Was sich in Nepal abspielt, ist ein Friedensprozess, welcher immer korruptere Züge annimmt und sich zu einem Machtspiel zwischen Kathmandus politischer Elite entwickelt hat. Unabhängig davon was man von den Strategien der Maoisten hallten mag, sie weisen unabdingbar auf, dass die Befriedung eines Landes nur unter Einbezug eben jener Bevölkerung stattfinden kann. Die Anstrengungen der Zivilgesellschaft die Konfliktbewältigung in Nepal dennoch voran zu bringen, finden demnach nicht wegen, sondern trotz, des nationalen Friedensprozesses statt. Ob diese aber stark genug sind gegen die Auswirkungen der Politisierung und zunehmenden Frustration entgegen wirken zu können, bleibt abzuwarten. „Es bedarf einer fundamentalen Reform des Friedensprozesses“, fährt mein Freund fort, „wenn dieser nicht die Bedeutung seines Wortes verlieren soll“.
Spät am Abend erreichen wir endlich unser Ziel. Es waren am Ende wohl doch mehr als sechs Stunden Busfahrt. Die Genossen wollen mit mir Weihnachten feiern. Bei der Ankunft werde ich herzlich umarmt und mir wird ein schönes Neues Jahr gewünscht. Ich lasse es mal so stehen, ich habe heute wirklich schon verwunderlichere Dinge erlebt. Wir begeben uns in eine proletarische Bar, mit einer Speisekarte die von „Monarchial Set“ bis „Multi-Party Democracy Mixed Plate“ alles bietet. Wir bestellen etwas, was man eigentlich nur als „Failed Revolutionary Shambles“ beschreiben kann. Mein Bekannter, der maoistische Genosse und ich stoßen an. Dann erhalte ich mein erstes Weihnachtsgeschenkt – eine kleine, verzierte Holzbox „filled with revolutionary love“.