18. März 2020

Das Virus als Chance

18.03.2020 — Freiamt, Deutschland

Es gibt ein paar Sachen, die wir von Corona lernen können, und die uns helfen, besser mit dieser Situation umzugehen. Und zwar auf ganz verschiedenen Ebenen.

Dazu habe ich drei Thesen:

Wir alle werden die nächsten Wochen mehr Zeit mit uns selbst und unserem engen Umfeld verbringen, und weniger mit Arbeit, Einkaufen und Schule. Es ist einfach, die freie Zeit am Bildschirm zu verbringen, und Neuigkeiten und Meinungen zum Virus und das neuste Politiker-Fettnäpfchen zu dem Thema nachzulesen und aufgeregt über WhatsApp mit Freunden zu diskutieren. So bleiben wir ja auch schön in unseren Hamsterrad der Gedanken, ohne dass wir uns mit unseren eigentlichen Gefühlen auseinandersetzen müssten. Aber wie wäre das, wenn wir diese Freizeit nutzen, um mal so richtig mit uns selbst Kontakt zu kommen? Zu merken, wo ich Angst habe? Wo ich unsicher bin, wo ich vielleicht andere Menschen schnell verurteilt habe für ihre Meinung, und welche Ängste bei mir eigentlich hochkommen, wenn ich an die Zukunft denke? Und auch, was meine Ressourcen sind, was mich innerlich wach und freudig hält, auch wenn ich zu Hause bleiben muss und mir die Kinder auf der Nase rumtanzen;-)?

Dies ist eine Riesen-Chance, dich mit deinem Leben auseinander zu setzen! Zum Beispiel mit Fragen wie diesen hier:

  • Lebst du das Leben, das du leben willst?
  • Hast du Menschen um dich, die sich um dich kümmern, und umgekehrt, auch in so einer Ausnahmesituation?
  • Gibt dein Beruf dir Sinn?
  • Freust du dich, wenn deine Arbeit ausfällt, oder tust du deine Arbeit gerne?
  • Freust du dich, freie, unverplante Zeit alleine zu haben oder kommst du schlecht mit dir selbst klar?

Wie bildest du dir deine Meinung über das Virus? Hast du darüber einmal in Ruhe nachgedacht? Gerade in dieser Situation, die uns alle angeht, die uns sofort emotional macht und wo wir oft nicht die innere Ruhe haben, verschiedene Fakten zu vergleichen, sind wir extrem anfällig für vorgefertigte Meinungen und destruktive Auseinandersetzung. Wenn wir uns selbst beobachten, dann merken wir, wie sehr unsere Meinungsbildung von unserem emotionalen Zustand und von unseren Werten beeinflusst ist, genauso wie von den Menschen, mit denen wir uns umgeben, und deren Meinung, oder davon, was ein bestimmter Politiker sagt, den ich sowieso nicht leiden kann.

So sehr wir es uns innerlich vormachen: Wir sind keine rationalen Wesen, die objektiv verschiedene Informationsquellen vergleichen. Ganz im Gegenteil, was wir innerlich als rationale Meinung wahrnehmen, ist von inneren Automatismen und emotionalen Prägungen bestimmt – und das merken wir nur, wenn wir ganz genau hinschauen!

Das heißt aber auch: Fake News ist nicht nur etwas, was dort draußen von bösen Meinungsmachern fabriziert wird, sondern sie entsteht und verbreitet sich auch dadurch, dass ich emotional reagiere und unreflektiert Meinungen und Informationen weitersende in mein Umfeld.

Was wir da gerade erleben, nämlich eingeschränkte Bewegungsfreiheit, Angst in der Bevölkerung, Unsicherheit, Konfrontation mit Krankheit und Tod, öffentliche Meinungsmache, Hamsterkäufe usw., das sind Realitäten, die wir in Zukunft nicht nur durch Corona erleben werden: Extreme Wetterereignisse durch den Klimawandel, damit zusammenhängend eingeschränkte Versorgung oder Nahrungsmittelknappheit, Migration im großen Stil, internationale Konflikte, eingefrorene Konten durch eine Finanzkrise – vielfältige Dinge könnten in Zukunft passieren, die uns in ähnliche Situationen bringen. Die Frage ist doch: Wie gehen wir damit um?

Verfallen wir in Panik und Egoismus und schließen uns zu Hause mit Vorräten und Gewehr ein, wie das in den USA heute schon passiert, sodass wir die Lage für uns selbst und die anderen nur noch schlimmer machen? Oder aber nutzen wir diese Extremsituation, um wieder ureigene menschliche Eigenschaften wie gegenseitige Unterstützung und Teilen von Zeit und Nahrungsmitteln einzuüben? Das wäre letztlich die einzige sinnvolle Reaktion, die uns auch als Menschheit weiter bringt.

Ich bin wirklich fest überzeugt, dass das diese Virussituation nur ein Vorgeplänkel ist für das was uns noch erwartet die nächsten Jahre. Und ich will da gar kein Pessimist sein – im Gegenteil, ich glaube, dass darin auch eine riesige Chance steckt: Nämlich zu merken, was alles falsch läuft in dieser Welt gerade und wie absurd viele Bereiche unseres Lebens und unserer Zivilisation geworden sind. Und auch, wie wir alle Teil davon sind und dazu beitragen: Mit unserem Konsumverhalten, aber auch damit, wie wir denken und handeln, jeden Moment.

Und wenn wir das einmal eingesehen haben, dann können wir auch anfangen, Alternativen zu entwickeln: Nämlich mehr Einfachheit, menschliche Begegnung und gegenseitige Anteilnahme. Das wünsche ich uns allen.

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