Von Oberflaechen und tief sitzendem Schrecken – Counter-Trafficking bei der IOM in Bangkok
In meiner letzten Stage, im Regional Office der IOM in Thailand, eroeffnen sich mir neue Horizonte. Wortwoertlich, denn dies ist (…)
20. März 2013
Ein Beitrag von Sarah Hasselbarth
Frankreich, Großbritannien und die USA diskutieren über ein Aufheben des Waffenembargos an syrische Rebellen im Kampf gegen Assad. Doch der ursprünglich demokratische Aufstand entwickelt sich zu einem konfessionellen Krieg zwischen Sunniten und Schiiten, in den sämtliche regionale Akteure involviert sind. Die Rebellen sind nach wie vor zersplittert in kleine Gruppen und nicht in der Lage, eine einheitliche Linie zu verfolgen. Einer solchen Konstellation Waffen zu liefern ist unverantwortlich. Gleichzeitig stehen humanitäre Helfer in Syrien und dessen Nachbarländern vor einer Katastrophe, die kaum noch in den Griff zu bekommen ist. Diejenigen, die politische Verantwortung tragen, müssen diesen Krieg beenden bevor es zu spät ist.
Die Berichte von Flüchtlingen, die über die Grenze nach Jordanien kommen, sind alarmierend. Viele erzählen von brutalen Überfällen von Assads Armee und verbündeten Milizen, die keine Syrer sind: Angehörigen der Hizbollah, jener Assad-treuen Miliz aus dem Libanon, sowie Kämpfern aus dem Iran. Doch es gibt auch Berichte von Männern, die Dialekte der Golf Region sprechen. Von Männern, deren Erscheinung und Sprache auf eine Herkunft aus Afghanistan und Pakistan schließen lassen: Sunniten, Gegner von Assad.
Diese Berichte bestätigen, was viele längst vermuten. Der Aufstand der Syrer mag als demokratischer Aufstand begonnen haben. Die Infiltrierung von Kämpfern aus dem Libanon und dem Iran auf der einen Seite, sowie Kämpfern aus den Golf Regionen und Zentralasien auf der anderen Seite, zeigt jedoch, dass sowohl schiitische als auch sunnitische Akteure den syrischen Aufstand nutzen, um ihre Interessen im Machtkampf um Vorherrschaft in der Region durchzusetzen.
So handelt es sich auch bei den Rebellen nicht nur um Aufständische, die für mehr demokratische Rechte auf die Straße gehen: In den von der Freien Syrischen Armee kontrollierten Gebieten der Provinz Aleppo wurden vor ein paar Wochen erstmals lokale Vertretungen gewählt. In der Stadt Aleppo gewannen moderate Islamisten. In ländlichen Gebieten dominierten radikale Islamisten. Kein säkularer Vertreter wurde gewählt. Keine Frau wurde gewählt.
In den Golanhöhen wurden 20 Blauhelme entführt: UN Soldaten, die seit über 40 Jahren den Waffenstillstand zwischen Syrien und Israel beobachten. Die Entführer sind Rebellen.
Nun fordern diese Rebellen Waffenlieferungen aus Europa. Mit entsprechenden Waffen, so die Forderung, wäre das Regime von Assad innerhalb eines Monats besiegt.
Gemeinsame Sympathie – unterschiedliche Interessen
Syriens engster Verbündeter ist der Iran. Oder: Syrien ist Irans engster Verbündeter. Für die sunnitischen Regime ist Iran der größte politische Gegenspieler der Region. Die sunnitisch-schiitischen Beziehungen sind auf politischer, religiöser und gesellschaftlicher Ebene nicht unbedingt von herzlicher Natur. Auch aus Sicht von USA und EU stellt Iran mit seinen Plänen zum Bau einer Atombombe den gefährlichsten Gegner im Nahen und Mittleren Osten dar. Erst diese Woche betonte Präsident Obama erneut, dass er notfalls zu militärischen Mitteln gegen den Iran greifen werde. Der Niedergang seines Verbündeten Assad wäre ein schmerzlicher Verlust für Iran und würde das Kräftegleichgewicht der Region dramatisch zu Ungunsten des Ayatollah-Staates verschieben. Nicht nur die USA und Europa würden eine Schwächung des iranischen Regimes begrüßen. Vor allem die sunnitischen politischen und religiösen Führer sympathisieren mit denjenigen oppositionellen Kräften, die Assads Regime zu Fall bringen wollen. Ihr Ziel ist ein sunnitisches Syrien nach Assad, welches sicherlich konservative bis islamistische Züge aufweisen wird.
Gemeinsame Sympathie – unterschiedliche Interessen. Frankreich, die USA und Großbritannien sollten äußerst vorsichtig sein mit ihren Forderungen, die Opposition mit Waffenlieferungen zu unterstützen. Denn an eine Opposition Waffen zu liefern, der zumindest teilweise islamistische Kräfte angehören, ist gefährlich. Einer zersplitterten Opposition zu vertrauen, die zusichert, dass diese Waffen nicht in falsche Hände geraten werden – wie jene Waffen, die nach Libyen gesendet wurden und sich heute in den Händen malischer Islamisten befinden – ist leichtsinnig.
Letztendlich wäre es nicht das erste Mal, dass westliche Staaten islamistische Kräfte unterstützen, die sich später gegen sie (oder ihre Interessen) richteten, wie im Falle Afghanistans oder der Hamas.
„Wenn die Welt jetzt nicht handelt, werden wir bald eine Explosion erleben, die keine internationale Reaktion mehr in den Griff bekommen wird.“
Doch während die EU diskutiert, ob Waffen geliefert werden sollen und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nach einer gemeinsamen Linie ringt, verschlimmert sich die humanitäre Lage zusehends. Über 70 000 Tote soll der Bürgerkrieg bereits gekostet haben. Nach 20 Monaten des Aufstandes hatte der UNHCR Anfang Dezember 2012 500.000 Flüchtlinge in Syriens Nachbarländern registriert. Nur drei Monate später hat sich diese Zahl verdoppelt. Die Hilfsgelder, die im Januar auf einer Geberkonferenz in Kuwait versprochen wurden – und hauptsächlich aus Kassen der Golfstaaten kommen – sind noch nicht bei den Hilfsorganisationen angekommen. Die Situation im Flüchtlingslager Zaatari wird von den Helfern folgendermaßen beschrieben: „Wir helfen ihnen zu überleben. Aber das ist es auch schon.“ In Jordanien leben 60% der Flüchtlinge in jordanischen Dörfern und Städten. Damit strapazieren sie die Ressourcen des ohnehin armen Landes. Die zunächst äußerst gastfreundliche Stimmung gegenüber den syrischen Flüchtlingen schlägt langsam um. Die Situation im Libanon ist noch fragiler. Dort kommt hinzu, dass die Bevölkerung des Zedernstaates eine ähnliche konfessionelle Konstellation aufweist wie in Syrien: Der konfessionelle Krieg im Nachbarland greift bereits auf den Libanon über. An der Grenze der Türkei kommt es immer wieder zu Gefechten. Ähnliche Situationen werden von der irakischen Grenze gemeldet. Nicht zuletzt blickt Israel noch reglos, aber hoch angespannt auf die Entwicklungen in Syrien.
Der Krieg in Syrien hat sich zu einer tickenden Zeitbombe entwickelt: „Die Syrien Krise wäre an jedem Ort der Welt ein enormes Desaster. Aber dieser Konflikt findet in einer Region statt, die so fragil ist, dass wir Gefahr laufen, ihn nicht mehr kontrollieren zu können, sollten sich die Kämpfe über die Grenzen hinaus ausbreiten“, schrieb der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, in der New York Times. „Wenn die Welt jetzt nicht handelt, werden wir bald eine Explosion erleben, die keine internationale Reaktion mehr in den Griff bekommen wird.“
Mehr als Waffen liefern
Es ist verständlich, dass die internationale Gemeinschaft zögert, sich in diesen Konflikt einzumischen, der hochsensibel ist und dessen Ausgang sich auf das Mächteverhältnis des gesamten Nahen und Mittleren Ostens auswirken wird, mit unabsehbaren Folgen.
Doch der Krieg hat dramatische Dimensionen erreicht. Neben über 70 000 Toten und mehr als 1 Million Flüchtlingen erreichen erste Berichte vom Einsatz chemischer Waffen die Medien. Selbst wenn dies nur Propaganda sein sollte – es hebt den Krieg erneut auf eine andere Ebene. Diejenigen, die politische Verantwortung tragen, die UN, die NATO, die EU, müssen diesen Krieg beenden bevor es zu spät ist. Dabei dürfen nicht kurzfristige Interessen bestimmend sein, sondern das langfristige Ziel, die Region zu stabilisieren. Das impliziert, die Machtbalance zwischen Schiiten und Sunniten zu erhalten. Versinkt Syrien im konfessionellen Chaos, versinkt ein großer Teil des Nahen und Mittleren Ostens im Chaos.
Ein Waffenstillstand zwischen Regierungstruppen und Rebellen muss erreicht, notfalls erzwungen und anschließend überwacht werden. Dies wird auch eine militärische Präsenz ausländischer Truppen fordern. Die Angst diesbezüglich ist berechtigt: Ein solcher Einsatz wird teuer. Die Folgen einer militärischen Intervention sind unabsehbar und bergen ein hohes Risiko. Es wird Fehler geben. Zivilisten werden sterben.
Eine solche Intervention darf nicht eine Seite stärken, sondern muss alle Akteure miteinbeziehen. Assads Zeit ist vorbei, unter seiner Regierung wird es in Syrien keinen Frieden mehr geben. Dennoch muss gewährleistet werden, dass alle Konfessionen und Ethnien, alle Interessen in einem neuen Syrien geschützt werden und gleiche Rechte besitzen. Auch diejenigen der Alawiten und jener Minderheiten, die Assads Regime unterstützen. Ein sektiererischer Bürgerkrieg nach Assad muss verhindert werden. Ein Plan für danach muss umgehend umgesetzt werden und Institutionenaufbau beinhalten sowie einen nationalen Versöhnungs- und Friedensprozess fördern.
Ein derartiges umfassendes Engagement ist äußerst riskant und mit unabsehbaren Kosten. Doch die Alternative ist keine Alternative: Unter den Syrern, die bereits gestorben sind, waren auch Zivilisten. Frauen und Kinder. Je länger der Krieg dauert, desto mehr Menschen werden sterben. Desto mehr Menschen werden aus Syrien fliehen, die humanitäre Lage in den Nachbarländern wird sich verschlimmern. Letztendlich wird der Krieg früher oder später auf die Nachbarländer übergreifen und weitere humanitäre Katastrophen auslösen. Von den politischen Folgen ganz zu schweigen. All diese Folgen werden wir zu tragen haben. Sie könnten am Ende schwerwiegender sein als die eines riskanten Eingreifens.
Eine bloße Lieferung von Waffen an eine Gruppe von Rebellen, deren langfristige Absichten für Syrien wir nicht kennen und die nicht einheitlich agieren, kann keine Lösung als Beitrag der internationalen Gemeinschaft zur Beilegung des Syrien-Konfliktes sein. Im Gegenteil: Ein solcher Schritt wäre geradezu unverantwortlich.