15. Juli 2014

Der Schutz von Flüchtlingen im südsudanesischen Bürgerkrieg

Beinahe zwei Drittel aller Flüchtlinge suchen innerhalb ihres Landes Schutz. Der UNHCR spricht aktuell von etwa 28 Mil­lionen Binnenvertriebenen weltweit. Der erst vor Kurzem als Staat gegründete Südsudan wird zur Zeit von einem Bürgerkrieg zerrüttet. Als Privatperson beschreibt Nicolai von Hoyningen­ Huene, Mitarbeiter der dortigen UN­Mission, die Auswirkungen der Binnenvertreibung auf die Menschen im jüngsten Staat der Welt.

Juba, Dezember 2013.

Ich wache frühmorgens von Gefechts­lärm auf. Ich höre Feuer von Maschinengewehren und spüre dumpfe Einschläge, die in meiner Brust vibrieren; Panzer­ geschosse, wie sich später herausstellt. Ich springe aus dem Bett und schalte mein Funkgerät an. Von diesem Moment an erlebe ich, wie der Südsudan von einem Tag auf den anderen in einem blutigen Bürgerkrieg versinkt.

Ich arbeite für die UN­ Mission im Südsudan, die zum Depart­ment of Peacekeeping Operations gehört, und bin in der Hauptstadt Juba stationiert. Am 15. Dezember 2013 brechen Kämpfe zwischen den Truppen des Präsidenten Salva Kiir und denen seines ehemaligen Stellvertreters Riak Machar aus. Kiir stammt aus der bevölkerungsreichsten Ethnie der Dinka. Machar gehört zur zweitgrößten Volksgruppe der Nuer. Er steht an der Spitze von Antiregierungstruppen, die sich vor­ nehmlich aus desertierten Nuer­ Soldaten sowie Milizen zu­ sammensetzen. Vereinfacht gesehen kämpfen beide Seiten um die Macht im Südsudan. Innerhalb von Tagen schwappt eine brodelnde Welle der Gewalt auf andere Bundesstaaten des Landes über. An einer politischen Lösung scheint niemand ernsthaft interessiert zu sein, auch wenn die Konfliktparteien unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft Abkom­men unterschreiben, die Gegenteiliges versprechen.

Neben Syrien herrscht im Südsudan die weltweit größte huma­nitäre Krise. Etwa 10 % der Bevölkerung, mehr als eine Million Menschen, wurden gezwungen, ihre Häuser zu verlassen. Davon sind 800000 Binnenvertriebene. Weit mehr als 10000 Menschen wurden getötet. Genaue Zahlen gibt es nicht. Bei­ den Konfliktparteien werden Massaker und Kriegsverbrechen vorgeworfen. Es wird von Massentötungen, Folter und Vergewaltigung be­richtet. Die Nachrichten aus den Kampfgebieten erschütterten mich bis ins Mark. Noch nie in meinem Leben wurde ich mit so viel Tod und Elend konfrontiert.

IDP-Camp in Minkaman, Awerial, Südsudan © DG ECHO

Innerhalb weniger Tage nach Ausbruch der Kämpfe strömten zehntausende Menschen in unsere Stützpunkte in verschie­denen Landesteilen, weil sie sich nirgendwo anders im Land mehr sicher fühlten. Die Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge schwankt zwischen 70000 und 90000, je nachdem wie heftig die Kämpfe sind. Beobachter gehen davon aus, dass tausende von ihnen getötet worden wären, hätte die UN­ Mission nicht ihre Pforten geöffnet. Noch nie in der fast 70­-jährigen Ge­schichte der UNO beherbergte eine Friedensmission so viele Menschen.

Unsere Stützpunkte waren in keiner Weise darauf ausgerichtet, derart viele Menschen zu beherbergen. Die Flüchtlinge brau­chen Wasser, Nahrung, sanitäre Einrichtungen, Unterkünfte, eine medizinische Grundversorgung und Schutz durch UN­ Blauhelme. Die einem Flüchtlingslager entsprechende Infra­struktur musste innerhalb kürzester Zeit aus dem Erdboden gestampft werden. Diese Herkulesaufgabe konnte nur mit der Hilfe humanitärer Organisationen, beispielsweise Ärzte ohne Grenzen, dem Internationalen Roten Kreuz, sowie auf Flücht­linge spezialisierte NGOs, notdürftig gemeistert werden.

Unsere größten Herausforderungen sind der Mangel an Platz für Flüchtlinge, die Regenzeit, die Teile der momentanen Flüchtlingslager überfluten wird, sowie die damit einherge­henden Seuchengefahren. Wir arbeiten mit Hochdruck an einer Reihe von Maßnahmen, um diese Katastrophe abzuwenden. Ein Wettlauf gegen die Zeit. Nach zähem Ringen ist es uns ge­lungen, zusätzliches Land zu bekommen. Dadurch können wir mehrere UN­ Basen erweitern und den Flüchtlingen mehr Platz einräumen.
Die ca. 70 000 Menschen in den UN­ Basen sind nur die Spitze des Eisbergs. Mehr als zehn Mal so viele sind innerhalb des Landes vertrieben worden. Sie harren ohne den Schutz von Blauhelmsoldaten und ohne eine gesicherte Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln aus. Diese Menschen konnten ihre Felder nicht bestellen. Hilfsorganisationen warnen, dass zwi­schen Ende 2014 und Anfang 2015 eine Hungerkatastrophe über die Menschen hereinbrechen könnte.

Zur Lösung des Konflikts sollte die internationale Gemeinschaft, vor allem die USA und die EU, kontinuierlich Druck auf die beiden Kontrahenten ausüben, um eine politische Lösung zu finden und diese umzusetzen. Ein Friedensprozess müsste die ethnische und politische Vielfalt des Südsudans widerspiegeln und die Zivilgesellschaft miteinbeziehen wie beispielsweise Vertreter aus Religion, Jugend­ und Frauenorganisationen. Bis dahin werden viele Menschen sterben.