5. August 2012

Die Chimäre des „Capacity Development“

Capacity Development und dessen Vorläufer, Capacity Building, sind sicherlich zwei der berühmt-berüchtigtsten “Buzzwörter” internationaler Entwicklungszusammenarbeit. Jede Entwicklungsorganisation schreibt sich Capacity Development auf die Fahnen, und besonders seit „Hilfe zur Selbsthilfe“ ist das Konzept nicht mehr aus Projekten internationaler Entwicklungszusammenarbeit hinwegzudenken. Doch was ist eigentlich damit gemeint?

Die OECD definiert Capacity Development als “the process by which individuals, groups and organizations, institutions and countries develop, enhance and organize their systems, resources and knowledge; all reflected in their abilities, individually and collectively, to perform functions, solve problems and achieve objectives”[1]. Durch internationale Entwicklungszusammenarbeit sollen also Kapazitäten in Entwicklungsländern entwickelt werden, so dass die Akteure vor Ort ihre Entwicklung in die eigene Hand nehmen können. Das klingt alles schön und gut – doch wie kann Capacity Development überhaupt gefördert werden?

Uganda 2009. Während eines Praktikums bei UNDP organisiere ich eine Maßnahme zum Capacity Development in der Katastrophenrisikoreduzierung mit. Eine britische Expertin aus London fliegt ein und führt einen zweitätigen Trainingsworkshop mit verschiedenen ugandischen Akteuren der Regierung und von Nichtregierungsorganisationen durch. Im Abschlussbericht von UNDP steht, dass die Kapazitäten der Akteure entwickelt worden sein. Aber wurden sie das wirklich? Ob die Workshop-Teilnehmer die übermittelten Konzepte wirklich verinnerlicht haben, wird nicht gemessen. Genauso wenig, ob sie von ihnen angewendet werden. Einen Nachfolgeworkshop gibt es auch nicht, da das einmalige Training als ausreichend angesehen. Außerdem war es auch teuer, da man sich einem Luxushotel verköstigte und die Teilnehmer eine Aufwandsentschädigung erhalten haben. Ganz abgesehen von dem horrenden Gehalt und den Flugkosten der europäischen Expertin, welche aufgrund kultureller Gegensätze ohnehin keinen optimalen Draht zu den Teilnehmern zur Übermittlung ihrer Kenntnisse gefunden hatte.

Kolumbien 2012. Während meiner Mercator-Stage bei UNDP nehme ich an einer intensiven Debatte zum Capacity Development teil. Die Regierung setzt ein Programm zur Verbesserung lokaler Regierungsführung um und schickt Hunderte von lokalen Beratern in alle Dörfer des Landes, um die dortigen Lokalregierungen in verschiedenen Praktiken guter Regierungsführung zu trainieren. Mehrere Workshops pro Lokalregierung sollen stattfinden, um die Nachhaltigkeit der übermittelten Kenntnisse zu sichern. Mein Team bei UNDP sträubt sich. Dutzende solcher Programme hätten in den vergangenen Jahren bereits stattgefunden, die langfristigen Effekte seien jedoch minimal. Mein Team beharrt darauf, dass Capacity Development nicht durch simple Trainings zu machen ist, nicht einmal durch Trainings von lokalen Experten und mit hoher Wiederholungs- und Überprüfungsfrequenz. Ein lokaler Experte müsse dauerhaft vor Ort bei der Lokalregierung sein und sowohl Trainings durchführen als auch persönliche Beziehungen und ein Vertrauensverhältnis zu der Lokalregierung aufbauen, um die tatsächliche Umsetzung der Reformmaßnahmen zu gewährleisten. Dies sei zwar teuer, aber der einzige langfristig effektive Weg zum Capacity Development. Was passiert, wenn auch dieser Experte nach einigen Monaten oder Jahren aus Finanzgründen abgezogen wird, kann mein Team auch nicht beantworten.

Beide Schlaglichter repräsentieren Beispiele, wie internationale Entwicklungszusammenarbeit Capacity Development betreibt. Maßnahmen zum Capacity Development reichen von punktuellen Trainings von europäischen Experten über regelmäßige Trainings und Überprüfungsbesuche von lokalen Experten bis zur kontinuierlichen Beratung durch lokale Experten vor Ort. Und dies ist noch lange nicht alles: Die Kombination dieser Trainingsmaßnahmen mit verschiedenen Arten von materieller und technologischer Unterstützung und Anreizsystemen führen zu einem weiten Spektrum von Maßnahmen, welche alle unter demselben Titel des Capacity Development zusammengefasst werden.

Traurig ist, dass die Auswirkungen dieser Maßnahmen in der Regel nicht evaluiert werden sondern bei jeder Maßnahme im Anschluss einfach behauptet wird, Kapazitäten seien entwickelt worden – obwohl die Potentiale offensichtlich stark auseinanderklaffen. Noch trauriger ist, dass wohl die übergroße Mehrheit derzeitiger Maßnahmen zum Capacity Development in der Kategorie der punktuellen Trainings angesiedelt ist, deren langfristigen Effekte getrost als minimalst zu werten sind. Am Traurigsten ist jedoch, dass es so gut wie keine Anstrengungen gibt, wirklich herauszufinden, wie denn effektiv und langfristig Kapazitäten entwickelt werden können. Und das, obwohl Capacity Development tatsächlich der Schlüssel zu selbständiger und damit nachhaltiger Entwicklung ist. Vielleicht sollte ich meine Doktorarbeit dem Thema widmen.