Visiting a Place of Horror
What a nice sunset. I am strolling along the sea on a very long stretch of beach. A perfect setting. (…)
21. Februar 2013
Ein Beitrag von Sarah Hasselbarth
Es sind 10 Frauen und fast doppelt so viele Kinder. Sie sind gekommen, um zu reden. Über ihr Leben in Syrien. Über die Veränderungen, die der Krieg und die Flucht mit sich brachten. Über ihr Leben hier in Mafraq, der kleinen Wüstenstadt im Norden Jordaniens. Sie sind 10 von 270 000 Flüchtlingen in Jordanien. Täglich kommen über 2000 Menschen über die Grenze. Sie kommen, um zu bleiben. Für Monate, wahrscheinlich Jahre.
Die kleine Frauengruppe hat sich in den Büroräumen der NGO versammelt. Ziel der Gesprächsrunde ist es, herauszufinden, was diese Frauen beschäftigt und bedrückt. Mit welchen Herausforderungen sie hier konfrontiert werden, wie sie damit umgehen und was man tun kann, um sie zu unterstützen. Die Frauen sind überwältigt: „Zum ersten Mal seit unserer Ankunft werden wir ebenbürtig behandelt. Noch nie hat uns jemand gefragt, wie wir uns fühlen und was wir brauchen. Jeden Tag stehen wir früh auf und klappern die Hilfsorganisationen ab, um Essen, Decken und andere Dinge zu bekommen. Oft werden wir zusammengetrieben wie Vieh und am Ende bekommen wir nichts ab. Es ist ein unbeschreiblich erniedrigendes Gefühl“, sagt eine Frau mittleren Alters mit Tränen in den Augen.
Als sie den Raum betrat, war ihr Gesicht verhüllt. Als sie den Schleier abnahm, schweifte ihr Blick zaghaft und ängstlich umher. Doch nach kurzer Zeit hat sie Vertrauen gefasst, versteht, dass man ihr hier zuhört. Dass ihre Geschichte hier ernst genommen wird. Sie erzählt von ihrem Leben in Syrien. Ihrem Leben vor dem Krieg. Die anderen fallen ein. Nicken. Schütteln den Kopf. Widersprechen. Eine lebhafte Diskussion entwickelt sich unter den Frauen. Manche sind bereits älter. Die meisten sind völlig ungeschminkt, die Augenbrauen sind ungezupft. Nur zwei haben Make-up aufgetragen.
Die Leiterin der Gesprächsrunde fragt die Frauen, wie ihr Leben in Syrien aussah. Wie ihr Leben sich in Jordanien verändert hat. „Die Männer haben gearbeitet. Wir Frauen waren zu Hause und haben gekocht. Unsere Kinder sind in die Schule gegangen. Nachmittags haben sie auf der Straße gespielt. Hier wollen wir nicht, dass sie draußen spielen. Oft gibt es Streit mit jordanischen Kindern und wir haben Angst, dass die Spannungen eskalieren“, berichtet eine Frau. Viele Kinder gehen in Jordanien nicht zur Schule, obwohl die Kosten von Unicef übernommen werden. „Der Weg ist oft gefährlich. Hier laufen viele Hunde herum“, begründen die einen. „Die Schulen sind überfüllt und die Kinder werden von den jordanischen Mitschülern gehänselt“, ergänzen andere. Doch die meisten Kinder sind traumatisiert vom Krieg. „Mein Sohn sitzt oft im leeren Zimmer und starrt die Wand an. Er spricht nicht“, der jungen Mutter versagt die Stimme.
„In Syrien sind wir Frauen abends in den Dörfern spazieren gegangen. In Mafraq ist das haram (eine Schande). Wir wurden angestarrt und als Huren beschimpft. Jordanische Männer belästigen uns auf der Straße und im Taxi. Sie haben keinen Respekt vor uns. Dabei sind wir schon völlig verschleiert. Jetzt bleiben wir in unseren Häusern“, berichtet eine Mutter, die ihr Baby stillt. „Außerdem wollen jordanische Männer unsere Töchter heiraten. Sie bieten viel weniger Geld als angemessen wäre, weil sie wissen, dass wir in einer verzweifelten Lage sind. Aber das lassen wir nicht zu. Wir werden sie nur an Syrer verheiraten“, sagt eine der älteren Frauen.
Wer die Entscheidung über Verheiratung in Syrien getroffen habe und wer dies hier tut? „In Syrien haben die Väter entschieden. Hier entscheiden wir, denn die Väter sind nicht da.“, lautet die Antwort und einige Frauen lächeln. Eine andere Frau widerspricht: „In der Gegend, aus der ich stamme, werden die Mädchen gefragt, ob sie heiraten wollen und wen.“ Dann reden alle aufgeregt durcheinander und diskutieren, welche Entscheidungen „früher“ von ihren Männern getroffen wurden und welche von ihnen und inwiefern sich dies nun geändert hat.
Irgendwann kommt das Thema Kinder auf. „In Syrien ist üblich, zwischen 12 und 18 Jahren zu heiraten. Ich war 12, als ich heiratete. Ich habe jetzt 10 Kinder und eigentlich möchte ich keine mehr. Aber mein Mann liebt Babies und will weiter machen. Also bekomme ich noch mehr Kinder. Er entscheidet“, sagt die älteste und stillt ihr Jüngestes. „Ich habe zwei und das reicht, habe ich meinem Mann gesagt. Er ist einverstanden“, erzählt eine der beiden geschminkten Frauen. Dann berichten sie, dass es in den Jahren vor dem Krieg Kampagnen gab, in denen die Regierung für kleinere Familien warb. „Sie sagten, kleine Familien könnten finanziell besser leben und man hat mehr Zeit für die einzelnen Kinder. Dies wäre gut für ihre Entwicklung. Seitdem entscheiden sich viele Familien dafür, weniger Kinder zu bekommen.“
Wir lernen viel an diesem Tag – über Traditionen, denen sie unterworfen sind, aber auch über die Individualität jeder einzelnen der 10 Frauen. Darüber, dass sie alle starke Frauen sind, die allein gelassen werden, mit der Last, die die Flucht und der Verlust der Heimat mit sich gebracht haben. Wenn die Männer nicht mehr da sind, obliegt ihnen die Verantwortung, die Familie zu ernähren, auf die Kinder aufzupassen und Entscheidungen zu treffen, die früher von den Ehemännern getroffen wurden. Sind die Männer mitgekommen, so sind sie meistens arbeitslos und lungern vorm Fernseher, schlecht gelaunt, depressiv und aggressiv. „Dann ist es an uns, den Alltag zu organisieren und den Kindern ein Gefühl von Geborgenheit und Hoffnung zu geben. Die ganze Last liegt jetzt auf unseren Schultern.“