Peacekeeping in New York
Als Mercator Fellow darf ich für knapp drei Monate bei der UN in New York, im Department of Peacekeeping Operations, (…)
5. April 2013
Ein Beitrag von Christoph Vogel
Die neue Kongo-Strategie der Vereinten Nationen: Kakophonie oder Kohärenz?
Wie von vielen erwartet, hat die plötzliche Kapitulation Bosco Ntagandas in der US-Botschaft und seine anschließende Überweisung an den IStGH in Den Haag die laufenden politischen Dynamiken in der Region der Großen Seen nicht gestoppt. Kurz nach seinem Erscheinen in Kigali, ernannte die UN eine neue Sondergesandte für die Region der Großen Seen, Mary Robinson, eine ehemalige irische Regierungschefin und UN-Hochkommissarin für Menschenrechte. Zehn Tage später, am 28. März verabschiedete der Sicherheitsrat die Resolution 2098. Sie umfasst die Errichtung einer robusten Interventionsbrigade von 2500 Soldaten (drei Infanterie-Bataillone, ein Artillerie-Bataillon und zwei Kompanien Spezial- und Aufklärungskräfte) um alle Rebellengruppen, die sogenannten „negativen Kräfte“ im Osten der Demokratischen Republik Kongo aufzusuchen und zu neutralisieren, insbesondere FDLR und M23, aber auch diverse Mayi-Mayi Gruppen, Raia Mutomboki, und andere. Die Verhandlungen zwischen M23 und Regierung in Kampala haben in der Zwischenzeit noch nicht wieder begonnen, allerdings besagen Gerüchte, dass dies zum Wochenende geplant ist. Vor diesem Hintergrund wirkt es momentan, als ob die Vereinten Nationen eine doppelte, wenn nicht dreifache Strategie verfolgen. Dies wäre in einem derart fragilen Moment jedoch nicht ohne Gefahr, inkonsistentes Handeln kann gar kontraproduktives Potenzial für den regionale Friedensprozess bergen. Einige Gedanken hierzu:
Die erwähnte Überweisung von Bosco Ntaganda ist sicherlich ein Sieg der Menschenrechte und der Justiz über die Straflosigkeit. Ohne Zweifel freuen sich sowohl die Kongolesen als auch die internationale Gemeinschaft über sein vorläufiges Karriereende. Allerdings ist seine Auslieferung kein automatischer Anstoß für dauerhaften Frieden. Besonders in den letzten zwölf Monaten war er immer mehr vom Jäger zum Gejagten und zugleich auch ein Instrument für andere mächtige Akteure geworden. Damit seine Verhaftung langfristig positiven Einfluss auf den Friedensprozess im Kongo nehmen kann wird es entscheidend sein, wie sorgfältig und umsichtig die Richter in Den Haag vorgehen. Der aktuelle Haftbefehl gegen Ntaganda befasst sich mit Verbrechen in Ituri wo er Militärchef der UPC des jüngst verurteilten Thomas Lubanga war. Es ist alles andere als sicher, dass diese Anklage ausreichen wird, den sogenannten Terminator für schuldig zu befinden. Weitere Untersuchungen zu seiner Rolle in Nkunda’s CNDP (zum Beispiel zum Kiwanja-Massaker 2008) sollten dringend zum Zwecke einer Erweiterung der Anklage unternommen werden.
Die Ernennung von Mary Robinson als neue Sondergesandte wurde von vielen Beobachtern positiv aufgenommen. Zum einen gilt sie als eine gute Wahl für eine derart heikle Mission. Darüber hinaus beendete ihre Ernennung eine lange Hängepartie in New York. Die große Frage ist nun, woran und wie wird sie arbeiten? Die Verhandlungen in Kampala sind noch eingefroren, nachdem sie aus mehreren Gründen „gestört“ wurden. Den internen Kämpfen innerhalb von M23 nach der Entlassung des ehemaligen Präsidenten Jean-Marie Runiga folgte eine de facto Beendigung der Gespräche, auch aufgrund von Missverständnissen zwischen der Delegation der Demokratischen Republik Kongo und der M23. M23-Anführer Sultani Makenga ersetzte Runiga durch Bertrand Bisimwa, nach heftigen internen Kämpfen floh Runiga schließlich, wie auch Bosco Ntaganda, Baudouin Ngaruye, Innocent Zimurinda und andere Vertreter des unterlegenen Flügels nach Ruanda. Zugleich gab es Gerüchte über eine bevorstehende Einigung zwischen Präsident Kabila und Sultani Makenga. Eine solche Einigung zwischen Regierung und M23 ist letztlich das Ziel des sogenanntes 11+4-Rahmenabkommens (UN, vertreten durch Robinson, sowie AU, SADC, der ICGLR, und ihre 11 Mitgliedsstaaten). Ein umfassender Friedensprozess, indem das in Addis Abeba unterzeichnete Rahmenabkommen und eine neue, zweite Verhandlungsrunde in Kampala auf zwei Ebenen zusammenspielen könnten (wobei die lokalen Komponente weiterhin unterrepräsentiert bliebe, da es bislang keine Bemühungen gibt, alle Konfliktakteure an einen Tisch zu bringen. Derzeit gibt es lediglich diverse Integrationsversuche von Rebellengruppen, die jedoch mehr schlecht als recht koordiniert werden, wie die Beispiele der Mayi Mayi Yakutumba, Nyatura oder APCLS zeigen).
Zur Resolution 2098: Gefeiert als Revolution von vielen, wird ihre Umsetzung ein harter Prüfstein für die Vereinten Nationen. Vorgesehen ist die Schaffung einer Eingreiftruppe innerhalb von MONUSCO bis Ende April. Diese wird unter direktem Kommando des MONUSCO force commander sein und Truppen aus Südafrika, Tansania und Malawi beinhalten. Die Geschichte dieser Brigade begann unter dem Arbeitstitel „Neutral International Force“ der Regionalorganisation ICGLR, die ebenfalls die Verhandlungen in Kampala organisiert. Ungeachtet der Tatsache, dass ein solcher ICGLR-Einsatz unter AU-Mandat nie neutral gewesen wäre, ist offensichtlich, dass dies unter MONUSCO-Mandat ebenso wenig der Fall sein kann. In den Augen der M23 handelt es sich um eine „Kriegserklärung“, wie Bertrand Bisimwa es in einer Pressenmitteilung am 1. April formulierte. Der militärische Befehlshaber Sultani Makenga drückte dies sanfter aus, schien fast gleichgültig, aber erklärt seine Bereitschaft zur Verteidigung im Falls eines Angriffs auf seine Bewegung. Neutralität, ist sicher etwas anderes, angesichts des Mandats der MONUSCO. Die kongolesische Regierung hingegen zeigt sich zufrieden mit der Aufstellung der Interventionsbrigade, es bleibt allerdings die Gefahr einer weiteren Diskreditierung der nationalen Armee FARDC, die bereits jetzt den Ruf hat, das Land nicht verteidigen zu können und stattdessen selbst ein Hauptverursacher von Menschenrechtverletzungen zu sein. Die größten Gefahren liegen jedoch anderswo: Einerseits können die Aktivitäten einer solchen Brigade jede Art von politischen Friedensbemühungen (sowohl Verhandlungen in Kampala als auch die Integration von kleineren bewaffneten Gruppen) stören oder verhindern. Andererseits stellt sich die Frage, ob 2500 Soldaten in Interventionsbrigade überhaupt ausreichen können, alle anvisierten Akteure in Schach zu weisen – geschweige dann die M23, die sich derzeit in einem Neuordnungsprozess befinden und bisher auf dem Schlachtfeld durch hohe Disziplin und Ordnung aufgefallen war (u.a. möglicherweise dank der unterstellten Unterstützung der Nachbarländer).
Zusammenfassend bleibt die Rolle der UN in der aktuellen Kongo-Friedensprozess schwer zu verstehen. Ein Großteil der Aktivitäten auf internationaler Ebene scheint schlecht koordiniert und eher Stückwerk als facettenreiche aber zugleich kohärente Strategie zu sein. Die kongolesische Regierung fungiert mehr als „free-rider“ denn als Partner, je nach den Möglichkeiten, die die aktuelle Struktur des Friedesprozesses für nationale Eliten bietet. Die verschiedenen bewaffneten Gruppen bleiben größtenteils unbeeindruckt, opportunistisch veranlagt und verfolgen meist lokale Ziele, während die regionalen Akteure ebenfalls nicht unzufrieden mit der aktuellen Situation scheinen. Es wird nun darauf ankommen, inwiefern die UN es verhindern kann, sich nicht selbst als Friedenstifter irrelevant zu machen. Grobe Umsetzungsfehler oder fehlende politische Unterstützung im Rahmen der Interventionsbrigade werden im Ernstfall genau dies zur Konsequenz haben. Es sollte hier nicht vergessen werden, dass die Interventionsbrigade letzten Ende nur späte Erfüllung dessen ist, was ohnehin seit Jahren Teil des MONUSCO-Mandats ist, nämlich „mit allen notwendigen Mitteln (…) die Zivilbevölkerung im Kongo zu schützen“. Bedauerlich ist darüber hinaus weiterhin, dass einige der brennendsten Themen, wie Sicherheitssektorreform, Landreform, und Justizreform weiterhin ignoriert oder stiefmütterlich behandelt werden. Es bleibt viel Arbeit für alle involvierten Akteure, insbesondere die UN und MONUSCO. Und es gibt mindestens genauso viele Risiken, gerade mit einer Interventionsbrigade.