Hilfe! Xeurophobie – die Ergebnisse unserer nefia-Umfrage
Xeurophobie steht für die „Furcht vor dem Fremden/Europa/ dem Anderen als Gegensatz zu der Begeisterung für eine gemeinsame europäische und kosmopolitische Idee".
6. Mai 2017
Ein Beitrag von Cornelius Adebahr
„Selbständig, politischer Analyst und Berater, arbeite zu europäischer Außenpolitik (inklusive EU-Erweiterung, Iran und transatlantischen Beziehungen) sowie zu Bürgerdialog über Außenpolitik“
Am Anfang des Bürgerdialogs „Welches Europa wollen wir?“ standen nicht die Menschen im eigenen Land, sondern die in Großbritannien: Der Schock der dortigen Brexit-Entscheidung saß auch bei den Beamt*innen im Auswärtigen Amt (AA) sehr tief. Doch Abhilfe war zum Greifen nah: Bereits mit der Review 2014 hatte sich das AA für bürgernahe Formate wie Umfragen und innovative Konzepte wie Townhall-Meetings (bei denen Regierungsvertreter einer Gruppe von Bürger*innen Rede und Antwort stehen) geöffnet. Nun konnte es den Schrecken nach der Abstimmung recht schnell in produktive Kanäle lenken.
Die Idee war, genau den sachlichen Dialog über Europa zu führen, der im hitzigen Klima des Referendums auf der Insel nicht möglich war. Zuhören stand also an erster Stelle: Es ging darum, die Sorgen der Bürger*innen aufzunehmen. Auf eine Auftaktkonferenz in Berlin folgten 25 Dialogveranstaltungen quer durch die Republik. Dort stellten sich hochrangige Amtsvertreter*innen der Öffentlichkeit. Von Rostock bis Rosenheim und von Wiesbaden bis Weimar diskutierten die Vertreter*innen des AA im Winter 2016/17 mit Bürger*innen. Dazu gab es fünf halbtägige Sonderveranstaltungen „Open Situation Room“: Teilnehmer*innen entwickeln eigene Projektideen zum besseren Europadialog. Der Abschluss der Gesamtreihe, die zweite „Bürgerwerkstatt Außenpolitik“, widmete sich diesmal ausschließlich dem Thema Europa. Nach einer Diskussion mit dem neuen Außenminister, Sigmar Gabriel, arbeiteten rund 120 Bürger*innen im Weltsaal des AA ihre Vorstellungen von Europa aus.
Unter dem Stichwort „Partizipation“ sind an diesem Vorhaben zwei Dinge bemerkenswert. Erstens erreichte das Amt über die Veranstaltungsreihe selber zwar nicht so viele Menschen wie erwartet – statt 150 Personen pro Diskussion lag der Schnitt bei 80 Teilnehmenden. Dafür erreichten die Berichte in der Regionalpresse und die Social Media-Inhalte des AA zur Dialogreihe fast drei Millionen Adressat*innen. Des Weiteren ließ das Niveau der Beiträge ein gesundes Maß an europapolitischen Vorkenntnissen erkennen, weshalb die Diskussionen auch für die Beamt*innen durchweg gewinnbringend waren.
Das bringt – zweitens – die Frage nach der Zielgruppe der Reihe zutage. Absolute EU-Gegner verirrten sich kaum zu den Veranstaltungen. Grundsätzlich waren alle Bürger*innen angesprochen, an den Dialogen teilzunehmen. Die Townhall-Gespräche waren offene Veranstaltungen ohne Anmeldung. Zwar waren die Veranstaltungsorte bewusst nach ihrer Zugänglichkeit gewählt, aber Rathäuser, Theater und Museen werden eben nicht von allen Menschen gleichermaßen frequentiert.
Doch zeigte sich, dass der Austausch lohnt. Zum einen war genügend Kritik am Zustand der EU sowie einzelnen Positionen der Bundesregierung zu hören; es waren also keine Wohlfühldialoge. Zum anderen ließ das Publikum spüren, für wie wichtig es das Bemühen von Seiten der Regierung um den Dialog hielt. Viele von ihnen äußerten im Vorfeld die Erwartung, ein offenes, friedliches und demokratisches Europa mitgestalten zu wollen. Die Tatsache, dass sich hochrangige Beamt*innen aus der Hauptstadt in die Regionen aufmachten, um dort den Bürger*innen zum Gespräch zur Verfügung zu stehen, ließ sie nicht unbeeindruckt.
Und wie lauten die Antworten der Bürger*innen auf die Ausgangsfrage: Welches Europa hätten Sie denn gern? Um wenigstens eine „Näherungsantwort“ zu erhalten, ließ das Amt die Diskussionen analytisch zusammenfassen: Welche Beiträge machten auf Stärken bzw. Schwächen der EU selbst aufmerksam und welche auf die Chancen oder Gefahren im Umfeld Europas?
Das so entstehende Bild zeichnet weitaus mehr Schwächen als Stärken, mehr Gefahren als Chancen für die EU – so weit, so erwartbar angesichts des öffentlichen Diskurses über die europäische Malaise. Die genannten Schwächen rangierten dann wiederum vom Mangel an Solidarität (auch finanzieller Art), über das Beklagen, 70 Jahre Frieden und Freiheit würden nicht hoch genug geschätzt, bis zur bekannten Bürgerferne des Brüsseler Betriebs. Die einen schalten die EU für ihre Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen, die anderen für ihren Regulierungswahn.
Dabei stellten die Bürger*innen oftmals hohe Erwartungen gerade an solche Politikbereiche, für welche die Entscheidungskompetenz weiterhin bei den Mitgliedstaaten, nicht der EU, liegt,wie etwa Verteidigungs- oder Arbeitsmarktpolitik und Steuerharmonisierung. Gleichzeitig sahen viele Teilnehmer*innen in der derzeit größten Bedrohung auch die größte Chance für die EU: Die Brexit-Entscheidung, die Trump-Wahl sowie das Erstarken populistisch-nationalistischer Elemente in den Mitgliedstaaten sollten Entscheidungsträger als Weckruf begreifen und die Arbeit an einem demokratischen und solidarischen Europa verstärken.
In diesem Sinne wurde das AA über den „Umweg“ des Bürgerdialogs in seinem eigenen Arbeitsauftrag bestärkt. Die Interaktion mit den Bürger*innen bringt nicht notwendigerweise neue Ideen oder Erkenntnisse hervor. Dafür bietet sie den Diplomat*innen direkte Rückmeldung zur eigenen Arbeit und stärkt allein durch das informierte Gespräch das (gefühlte) Mitspracherecht der Bürger*innen. Auch wenn die unmittelbare Einflussnahme derselben über ihre jeweiligen Abgeordneten und deren parlamentarische Mitwirkung laufen sollte, so bietet der Dialog mit der Exekutive eine sinnvolle Ergänzung. Angesichts der gegenwärtigen Verwerfungen im transatlantischen Verhältnis könnte die nächste Frage für eine solche Veranstaltungsreihe lauten: „Welche Partnerschaft mit den USA wollen wir?“