Editorial: Recht und Realität

01.11.2022 — Zürich, Schweiz

Ob Gerechtigkeit obsiegt, ist oft eine politische Frage. Ein Blog zum Kampf gegen die Gesetzlosigkeit.

“Justiz ist nicht möglich, wenn der politische Wille fehlt,” schreibt Carla Del Ponte in ihrem Buch zu Syrien. Es ist eine Abrechnung unter dem Titel “Im Namen der Opfer”.

Die ehemalige Chefanklägerin zweier Kriegstribunale war 2012 in eine Kommission berufen worden, um Verstösse gegen die Menschenrechte in Syrien zu untersuchen und belastendes Material sicherzustellen. Fernziel: Die Verantwortlichen vor Gericht zu überführen.

Fünf Jahre später zog sich Del Ponte desillusioniert zurück. Glaubhafte Ermittlungsberichte seien nicht veröffentlicht worden. Sie sah keinen politischen Willen, Syrien zu Gerechtigkeit zu verhelfen.

“Nach den Kriegsverbrecherprozessen von Ruanda und Jugoslawien glaubten wir, die internationale Justiz werde weitere Erfolge feiern. Nie mehr sollten die Verantwortlichen von Völkermord sich schadlos halten können. Stattdessen geriet Syrien zum Skandal für die internationale Gemeinschaft,” schreibt Del Ponte.

Eine Rechtsprofessorin in Genf riet mir einmal, die Uno nicht an einem Idealzustand zu messen, sondern an einer Welt, in der die Institution gar nicht existieren würde. Nur so würden ihre Errungenschaften offensichtlich. Mit der internationalen Justiz ist es wohl ähnlich.

Im aktuellen Blog kommt die Chefin eines von der Uno-Generalversammlung geschaffenen Gremiums zu Wort, auf das Carla Del Ponte bei ihrem Abgang hoffte, um in Syrien die Blockade des Sicherheitsrates zu durchbrechen. Wir besprechen die kleinen Schritte, die zu belastbaren Beweisen, fairen Prozessen und Gerechtigkeit für die Überlebenden führen sollen.

Wahrscheinlich sind sie der vielversprechendste Weg, um die Kluft zwischen Recht und Realität doch immer wieder zu überwinden.