31. Oktober 2012

Ein Monarch stirbt

Vor zwei Wochen ist der ehemalige König von Kambodscha, Norodom Sihanouk, gestorben. Heute ist sein Geburtstag; er wäre 90 Jahre alt geworden. 

Schon im Alter von 19 Jahren  (1941) übernahm Sihanouk den Thron von seinem Vater. Während der Khmer Rouge Zeit im Exil, kehrte er 1993 als König zurück. Obwohl seine Rolle als Unterstützer der frühen Roten Khmer umstritten bleibt und er den Thron an seinen Sohn Nordom Sihamoni 2004 abgetreten hat, war und ist Sihanouk der Held, Heilige und König der Herzen der kambodschanischen Bevölkerung. Die Menschen verehren und respektieren ihn wie keinen Anderen.

Der Tod des Königs ist daher ein tiefer Schlag für das gesamte Land, trotz der langjährigen Erkrankung des Königs. Niemals zuvor habe ich das Land so traurig, bewegt und still erlebt. Der Todestag fiel auf den letzten Tag des dreitägigen Ahnenfestes, in dem die Menschen der Verstorbenen gedenken – keiner glaubt hier an einen Zufall.

Als der König, der in einem Krankenhaus in China starb, zwei Tage nach seinem Tod nach Kambodscha überführt wird, versammeln sich über zwei Millionen Menschen in der Hauptstadt Phnom Penh, um seinen Trauerzug vom Flughafen bis zum Königspalast zu verfolgen. Sie sind aus dem ganzen Land angereist und strömen in die Hauptstadt, bis die Polizei die Zufahrtsstraßen sperren lässt. Phnom Penh ist überfüllt. Trauernde, schwarz-weiß gekleideten Gestalten weinen, wehen Fähnchen und knipsen ununterbrochen Fotos auf ihren Kameras und I-Phones, als der Sarg des Königs in einem großen, goldenen Phoenix-artigen Fahrzeug durch die Straßen bis hin zum Palast rollt, gefolgt von einem langen Konvoy aus Familie, Politikern und Botschaftern.

Eine Woche Nationaltrauer folgt. Auf allen lokalen Fernsehsendern werden die gleichen Bilder immer wieder übertragen. Bilder, die den toten König in China zeigen, wie sein Sohn und seine Frau in tiefster Trauer über ihm lehnen und weinen, sowie alte Filme über das Leben im Kambodscha der 50er und 60er Jahre, in denen der König selber Regie führte. Die Stadt ist selten still geworden, viele Geschäfte haben zeitweise geschlossen und überall hängen große Portraits des verstorbenen Königs, die mit schwarz-weißen Schleifen und Trauerkränzen verziert sind.  Vor dem Palast versammeln sich ununterbrochen von morgens bis in die späte Nacht Menschen, um zu beten, trauern oder eines der neusten „Souvenirs“ in Form von Trauerschleifen, Fotos oder T-Shirts mit Aufdruck des Königs zu kaufen. Es ist eine seltsame Mischung aus trauern um einen „Heiligen“ und ihn feiern wie einen Popstar; Prinzessin Diana trifft auf Michael Jackson.

Auch ich gehe am letzten Tag der einwöchigen Nationaltrauer mit ein paar Freunden zum Palast. Etwa 2000 Mönche haben sich an diesem Tag vor dem Palast versammelt und ihre orange bis weinrot farbigen Roben sehen unglaublich schön aus. Überraschenderweise kommt die Königin Mutter, die Frau des Verstorbenen und Mutter des jetzigen Königs aus dem Palast, um die Menschen zu grüßen und eine Runde über den Vorplatz mit den Mönchen zu machen. Sie ist Halb-Kambodschanerin, ein Viertel Französin und ein Viertel Italienerin und zudem eine bildhübsche ältere Dame. An diesem Tag sieht sie erschlagen aus, ihre Augen sind aufgequollen und sie wird von den Bodyguards regelrecht durch die Menge getragen.

Als die Dunkelheit einbricht, sehe ich überall Menschen, die hoch in den zunehmenden Mond schauen. Es wird behauptet, man könne das Gesicht des Königs darin erkennen. Am nächsten Tag findet man unter den Bildern, die am Palast verkauft werden, auch Bilder vom Mond –  ein Andenken für einen halben Dollar.

Heute am Tag seines Geburtstages ist der Himmel bewölkt, dafür leuchtet ein helles Feuerwerk über dem Palast zu seinen Ehren. Die Leiche des Königs wird 3 Monate lang aufgebahrt werden, damit seine Anhänger ihn ein letztes Mal besuchen können. Es scheint, als würde der Tod dieses Monarchen das Land noch einige Zeit beschäftigen.

Es ist eine seltsame Zeit in Kambodscha. Ich frage mich, ob die Menschen, vor allem die der älteren Generation, es in diesen Tagen sich erlauben, die Trauer und Schrecken der Khmer Rouge Zeit, die sie sonst so gut unterdrückt halten, hochkommen zu lassen und der Tod des Königs nicht nur den eines Einzelnen, sondern den einer ganzen Generation symbolisiert. Während es die Menschen in Kambodscha sonst meiden, in der Öffentlichkeit tiefe Emotion zu zeigen, ist es genau das, was die Menschen in diesen Tagen verbindet.