17. April 2014

Eine Reise nach Kirgisistan

Für ein Projekt der Asian Development Bank (ADB), das im Sommer 2014 anlaufen soll, hatte ich im Rahmen meiner Stage bei der ADB die Möglichkeit, das Projekt-Team zu einer ersten Fact Finding Mission nach Kirgisistan zu begleiten.

Kirgisistan – als es an die Vorbereitung der Dienstreise ging musste ich auch erst einmal auf der Landkarte nachsehen, wo das Land überhaupt liegt. Mit Grenzen zu Chinas Westen, Kazhazstan, Tshadikistan und Uzbekistan ist es ein sogenanntes “landlocked country”, ohne Zugang zu Seehäfen und recht weit von den globalen Handelszentren entfernt. Das Land ist sehr reich an Gold, dessen Export auch über 30 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmacht. Im Gegenzug hat Kirgisistan allerdings weder Gas- noch Petroleumvorkommen, sodass es für die Energiegewinnung von Hydrodämmen und Importen vor allem aus Usbekistan abhängig ist. Neben Gold sind Geldsendungen von Arbeitsmigranten in Russland die Haupteinnahmequelle des Landes, die Geldsendungen machen sogar 40 Prozent des Bturroinlandsproduktes aus.

Kirgisistan ist hauptsächlich muslimisch geprägt, 75% der Einwohner sind Sunniten und auch der Gross­teil  der Minderheiten von Uzbeken, Uiguren und Dunganen ist muslimisch. 20% der Bevölkerung sind russisch-orthodox, sie bilden nach den Christen die drittgrößte Gruppe im Land. Da man oft nicht genau weiss, welcher Religion jemand angehört, ist es auch bei jedem Treffen erneut eine Herausforderung, zu erspüren ob man dem Gesprächspartner als Frau nun die Hand geben sollte oder nicht. Russisch ist neben Kirgisisch zweite Amtssprache, Englisch ist nur sehr rudimentär verbreitet. Bei vielen Gesprächen mit der Regierung, Behörden oder Vertretern des Privatsektors musste ein Dolmetscher hinzugezogen werden. In Restaurants oder auf öffentlichen Plätzen spricht so gut wie niemand Englisch, auch die jungen Leute nicht. Mit unseren Fahrern konnten wir nur per Telefon über die Mitarbeiter der ADB Resident Mission kommunizieren.

Unsere Termine führten uns von Regierungsbüros zu Aufsichtsbehörden, der Zentralbank, privaten Banken und den Büros internationaler Organisationen wie der Weltbank, dem IWF oder der Europäischen Bank für Entwicklung und Wiederaufbau (EBRD). Die Büros variieren von imposanten, mit Säulen gerahmten Eingangshallen bei Regierungsbehörden zu Hinterhöfen, die man nur durch eine Sicherheitskontrolle in einem Stahlcontainer betreten kann, bei Aufsichtsbehörden. Als wir einen Abteilungsleiter des Wirtschaftsministeriums treffen sitzen wir dicht gedrängt an einem Holztisch, der eher für vier statt für acht Leute ausgelegt ist; unter dem Fensterbrett prangt ein grosser Schimmelfleck, das Sofa ist schon recht durchgesessen. Überall werden wir sehr freundlich empfangen, bekommen positive Rückmeldungen für das geplante Projekt und von den meisten Gesprächspartnern auch Empfehlungen, mit wem wir uns noch treffen sollten.

Nach dem offiziellen Teil bleibt auch noch etwas Zeit, um die Landeshauptstadt Bishkek und ihre Umgebung zu erkunden. Kirgisistan ist weithin als “die Schweiz Zentralasiens” bekannt – die schneebedeckten Berge erlauben in der Tat erholsame Ausflüge in die Umgebung. Auf dem Weg zur Ala-Archa Gorge 30 Kilometer ausserhalb Bishkeks muss unser Fahrer plötzlich bremsen: auf der Kreuzung stehen drei Kühe und schauen unser Auto erwartungsvoll an. Nachdem wir langsam um die Kühe und die zahllosen, tiefen Schlaglocher die nicht nur an dieser Kreuzung eher die Norm als die Ausnahme sind, herumgefahren sind, erreichen wir bald den Eingang zum Nationalpark der Schlucht. Nach einer Wanderung die Schlucht hinauf und einigen Fotos vom traumhafen Panorama fahren wir zurück in die Stadt um den bekannten Osh Market zu besuchen.Dort kann man von Küchenutensilien, frischem Fleisch, Fisch und Obst auch die lokalen Spezialitäten wie Honig oder traditionelle Trachten­hüte (siehe Foto) erstehen.

Ein zentraler Bestandteil eines jeden Essens in Kirgisistan ist Brot, eine Art Fladenbrot mit Sesam, und das ist natürlich auf dem Markt erhältlich. Um Transport und Verkauf zu vereinfachen, werden die Brote in alte Kinderwägen gestapelt (siehe Foto), die dann quietschend und wippend über den Markt geschoben werden.

Am auffälligsten ist, dass außer den älteren Damen mit Goldzähnen kaum jemand lacht, auch wird man nicht wie so häufig in Südostasien angestarrt. Vor allem jedoch beeindruckt mich, wie trostlos die Stadt insgesamt wirkt. Selbst im Shopping-District wirken Menschen, Straßen, Autos und Geschäfte grau, man spürt keine Aufbruchsstimmung und nur wenig Lebens­freu­de. Wahrscheinlich fallen mir diese Dinge extreme auf, weil das farbenfrohe Südostasien mit seinen freundlichen Menschen und dem wirtschaftlichen Erfolg, der für jeden erreichbar scheint, das genaue Gegenteil darstellt. Diese Perspektiven scheinen in Zentralasien zu fehlen, der viel gepriesene “trickle down effect” der Entwicklung greift hier (noch?) nicht. In einem Land, in dem der Großteil des Einkommens durch Goldmienen oder im Ausland genereiert wird, ist es sicherlich auch schwierig solche Effekte anzustossen. Es gibt ebenso wenige kleine und mittelständische Unternehmen wie Industrie­projekte, so dass es auch wenige Möglichkeiten gibt, über Inves­titionen Wachs­tum und Arbeitsplätze zu generieren. Der Mikro­kre­dit­sektor ist bereits recht weit ausgeprägt und expandiert auch erfolgreich, Kredite für Nutztiere oder Konsumgüter werden in ländlichen Gegenden stark nachgefragt. Dort, so wird uns berichtet, haben die Menschen oftmals noch nie einen US Dollarschein gesehen.

Ich freue mich sehr, diese vielen neuen Eindrücke mitnehmen zu können. Nicht nur, weil ich Gelegenheit hatte ein zentralasiatisches Land kennen zu lernen, sondern vor allem weil es mir erneut, und dismal noch deutlicher als zuvor, vor Augen führt dass es nicht sinnvoll ist von “Asien” allgemein zu sprechen: allein Zentralasien und Südostasien sind als Regionen so unterschiedlich, dass es schwer fällt außer dem “-asien” im Namen Gemeinsamkeiten festzustellen. Auch wenn diese Beobachtung zunächst trivial erscheint, so drängt sich doch bei jeder Konferenz, bei jedem Workshop und bei jedem neuen Projekt doch die Frage auf, was dieses Asien den eigentlich ist. Die Region, für die der Begriff teilweise verwendet wird, ist meiner Meinung nach viel zu groß, um ein sinnvolles Gebilde zu sein.

Doch zurück zur Reise nach Kirgisistan – auch wenn das Land nicht unter den Top Urlaubszielen rangiert, wer immer eine Chance hat dort hinzu reisen, sollte dese Chance wahrnehmen, einfach weil sie den Blick in ein Land ermöglicht, das seine sowjetische Vergangenheit mit den Anforderungen einer kleinen, offenen Volkswirtschaft zu verbinden sucht.