22. Januar 2021

Fehlende Vielfalt schadet der Demokratie

22.01.2021 — Essen, Deutschland

„Ich glaube, es geht noch ein Stück vielfältiger — wir sind ziemlich weiß und männlich.“ Aminata Touré ist seit 2019 Vizepräsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtages. Im politischen Kampf gegen Rassismus findet sie klare Worte. Der Bericht über einen Mercator Salon zu Facetten des Rassismus in Deutschland.

Landtagsabgeordnete Aminata Touré beim digitalen Mercator Salon, Januar 2021

Weil Politik Entscheidungen für die gesamte Gesellschaft trifft, sollten dort auch alle unterschiedlichen Lebensrealitäten vertreten sein. Trotz dieses demokratischen Anspruchs auf universelle politische Teilhabe und Repräsentation sieht die Realität oftmals anders aus.

Aminata Touré vereint als erste afrodeutsche und jüngste Vizepräsidentin eines deutschen Landtages die Perspektiven einiger Gruppen, die — trotz ihres teilweise hohen Anteils an der Gesellschaft — in politischen Räumen hochgradig unterrepräsentiert sind. Diese Verzerrung und den Ausschluss von Minderheiten aus politischen Entscheidungsprozessen kritisiert sie in einem digitalen Mercator Salon, einer Veranstaltung der Stiftung Mercator, unmissverständlich: „Wir haben verdammt noch mal das Recht darauf, hier in dieser Gesellschaft mitgestalten zu können.“

Mitgestalten — aber wie?

Die junge Politikerin macht keinen Hehl aus ihrer Wut — denn die ist es auch, die sie dazu antreibt, für sich und ihre Mitmenschen in politischen Räumen etwas Wichtiges einzufordern: gehört und gesehen zu werden. „Wie kann man immer wieder über Menschen sprechen, ohne sie selbst sprechen zu lassen?“

Dieser Paradigmenwechsel beginne mit der Arbeit der Parteien — diese sollten Personen in die Parlamente entsenden, welche dort bewusst reflektierte Entscheidungen für die gesamte Gesellschaft treffen können: „Die inhaltliche Ausrichtung verändert sich, wenn Menschen ihre eigenen Erfahrungen und ihr eigenes Wissen in die Partei einbringen. Und das bringt wiederum eine Veränderung der Parlamente hervor.“ Es sei ausschlaggebend, dass die Gesellschaft sich auch im politischen Raum repräsentiert sehe.

Rassismus bewusst machen

Rassismus werde meist als etwas verstanden, das bewusst und aktiv passiere — aber das greife zu kurz, erläutert Touré. „Sehr viele weiße Menschen reagieren beispielsweise überrascht, wenn man ihre Hautfarbe benennt — da zeigt sich schon das erste Privileg: dass die eigene Hautfarbe in der Regel keine Rolle spielt.“ Von einem solchen Privileg profitierten weiße Menschen meist ohne es zu wollen, während Black and People of Color (BPoCs) wie sie selbst tagtäglich die Erfahrung machten, über ihre Hautfarbe definiert zu werden.

Unsere Gesellschaft sei von Rassismus geprägt. Aminata Touré fordert, dieses Problem zu benennen und sich aktiv dagegen zu stellen. Dies gelte für staatliche Institutionen ebenso wie für Bildungseinrichtungen, die Justiz sowie die Institution, welche das Gewaltmonopol in der Hand hat: die Polizei.

Tourés Vision: Menschen sollten nicht immer den Druck spüren, beweisen zu müssen, dass sie Teil der Gesellschaft sind. „Was ich mir wünsche, ist eine Gesellschaft, aber auch eine Politik, die die Vielfalt in unserer Gesellschaft in ihrer Facettenreichheit anerkennt. Und dass Menschen wie ich als selbstverständlicher Teil dieser Gesellschaft gesehen werden — auch in ihrer Komplexität: vom Grund, warum man hier ist, bis hin zur Selbstverständlichkeit, dass man da ist. Dass man Möglichkeiten und Chancen hat, respektiert und anerkannt zu werden für das, was und wer man ist.“

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