12. September 2018

Führung anhand der Wu De Methode verstehen und gestalten

Als Teil ihres Jahrgangstreffens im vergangenen Juni organisierten Mercatori des Jahrgangs 2013/14 einen vom Mercator Stiftung Alumni Fonds unterstützten Workshop zur Wu De Methode. Als alternativer Ansatz in der Organisations- und Prozessentwicklung wollten die Mercatori herausfinden, wie Wu De neue Perspektiven auf den eigenen, oft konfliktreichen Arbeitskontext, besonders hinsichtlich Führungskultur, ermöglicht. Im nachfolgenden Interview diskutieren die Jahrgangsmitglieder Karoline Klose und Renard Teipelke mit Workshopleiterin Susan Kirch von der Wu De Akademie die Methode und ihre Anwendung.

Liebe Frau Kirch, für Kurzangebundene mit wenig China-Erfahrung: Was ist die Wu De Methode in der Organisations- und Prozessentwicklung?

Die Wu De Methode bietet eine systemische Sichtweise gespeist aus klassisch-chinesischen Ansätzen und Modellen in Verbindung mit modernen Ansätzen. Sie ist hilfreich bei komplexen und unübersichtlichen Führungsthemen, um auf analoge Weise und ohne aufwendige Recherche oder Analyse einen Überblick und Orientierung zu erhalten. Die Wu De Methode ist uralt mit ihren klassisch-chinesischen Bestandteilen und gleichzeitig sehr zeitgemäß durch unseren facilitierenden Ansatz, bei dem Nachvollziehbarkeit, Transparenz und das Partizipative eine wichtige Rolle spielen.

Und wie arbeitet die Wu De Akademie mit der Methode?

Nun, das ist tatsächlich sehr vielfältig. Wir beraten und coachen Führungskräfte in Unternehmen und Organisationen zum Beispiel zu Themen von Rollenverständnis, Machtverteilung, strategischem Vorgehen oder einem wirkungsvolleren Umgang mit allen möglichen Herausforderungen. Die Bandbreite an Themen, die wir bearbeiten, ist groß. Wir verstehen uns dabei immer als Facilitatoren, also als „Erleichterer“, um gemeinsam mit dem Kunden Lösungen zu ganz konkreten Fragestellungen zu finden.

Wu De Workshopleiterin Susan Kirch // © Martin Lifka

In unserem Workshop haben wir mit einem speziellen Modell gearbeitet – was ist das genau?

In unserer Wu De Arbeit ist das von Ihnen angesprochene Modell der Fünf Wirkkräfte zentral. Es wurde vor ca. 2.300 Jahren während des Zeitalters der Streitenden Reiche im alten China entwickelt. Für die Denker in dieser Zeit stellte sich die Aufgabe, Wege aus einer schweren und lange andauernden Krise zu finden. Einige von ihnen haben sich dafür die Natur sehr genau angeschaut und den natürlichen Lauf der Dinge als Vorbild für das menschliche Handeln im Kontext von Gesellschaft und Macht genommen. Sie haben aus dieser Naturbetrachtung schließlich fünf zentrale „Wirkkräfte“ herausgefiltert und sie mit den Begriffen Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser erfasst. Diese Begriffe stehen für bestimmte Qualitäten und umfassen bildhafte Bedeutungswelten. Außerdem stehen die Wirkkräfte, wie in der Natur auch, miteinander in Beziehung und beeinflussen sich gegenseitig. Zum Beispiel nähren sie sich untereinander, so wie Wasser das Holz nährt (gemeint ist dabei mehr die wachsende Pflanze). Aber sie „kontrollieren“ sich auch gegenseitig, wie Metall zum Beispiel Holz kontrolliert, wenn ich mit der Axt einen Baum fälle. Das Ganze ergibt einen Kreislauf und gleichzeitig eine dynamische Balance. Die Erkenntnisse dieser Bezüge nutzte man dann, um im politischen und sozialen Kontext frühzeitig Entwicklungstendenzen zu erkennen und sie gezielt mit möglichst wenig Aufwand zu steuern. Ähnlich der Idee, dass man die reife Frucht ohne Mühe vom Baum pflücken kann, es aber nicht hilft, an einem Trieb zu ziehen, damit er schneller wächst.

Dynamische Balance: das klassische Modell der Fünf Wirkkräfte (Wu De) im Zusammenwirken // © Pao Siermann

Was hat so ein altes Modell mit unserer Zeit zu tun?

Das ist das eigentlich Spannende! Die Fünf Wirkkräfte umschreiben Qualitäten, die sich übertragen lassen, und zwar auf unterschiedliche Kontexte und Ebenen. Wir nennen das Resonanzprinzip – Dinge ähnlicher Qualität korrespondieren miteinander. Man kann sich das so vorstellen: Zupft man eine Saite einer Gitarre an, dann schwingen die gleichen Saiten von anderen Instrumenten ganz leicht mit, sie resonieren. Dieses Prinzip haben die Chinesen auf die Wirkkräfte angewendet und so ähnliche Qualitäten verbunden. Die Wirkkraft Holz wird zum Beispiel dem Frühling und damit auch besonders den jungen Trieben zugeordnet. Dazu passt die Kreativität, die Ideen wachsen lässt. Die Wirkkraft Metall wiederum entsteht in einem ganz bestimmten Prozess der Verdichtung, bei dem alles Unreine abgesondert wird. Daher wird es der Perfektion und Struktur zugeordnet, aber es steht auch für Regeln, oder in einem Unternehmen zum Beispiel für die Finanzabteilung. Nach den eben beschriebenen Bezügen ist es so, dass Metall das Holz kontrolliert, beispielsweise beschneidet. Nach den Resonanzen heißt das dann vereinfacht gesagt, dass die Finanzplanung oftmals neue Ideen kappt, weil kein Geld dafür da ist. Dieses Prinzip der Resonanzen haben die Chinesen über Jahrhunderte entwickelt und es gibt eine Menge klassischer Zuordnungen zum Beispiel von Farben, Emotionen, Tugenden oder bis hin zu Rollen im Staatsapparat usw. In der Wu De Akademie haben wir dieses Prinzip zum Beispiel auf heutige Unternehmenskontexte und Prozessabläufe, auf Funktionen oder ganze Abteilungen in Unternehmen, als auch auf Unternehmenskultur übertragen. Die Gesetzmäßigkeiten und Zuordnungen des Modells haben nichts an Aktualität eingebüßt, weil sie so grundlegend sind und mit der menschlichen Alltagserfahrung einhergehen.

Übersicht der Resonanzen der Fünf Wirkkräfte // © Pao Siermann

Und wie überträgt die Wu De Methode dann dieses Modell auf Verhaltensweisen und betrachtet diese im Kontext von Organisations- und Prozessentwicklung?

Zunächst einmal gehen wir unvoreingenommen, mit unverstelltem Blick an die Sache heran und sehen ganz genau hin, was sich in der jeweiligen Situation zeigt. So versuchen wir Festschreibungen und vorgefertigte Annahmen zu vermeiden; das ist uns sehr wichtig. Es gibt natürlich die klassischen Zuordnungen, aber trotzdem muss man in einem konkreten Kontext jedes Mal schauen, was hier wirklich vorhanden ist und wirkt. Die Frage ist dann beispielsweise, ob die Verhaltensweise zur jeweiligen Funktionsrolle passt und wie sie sich in das Team oder die Organisation einordnet, beziehungsweise wie die Prozesse organsiert sind. So kann es also sein, dass jemand holzig agiert und mit viel Kreativität eine metallene Aufgabe angeht, bei der es eigentlich darum geht, sich konsequent an klare Strukturen und Regeln zu halten. Meist fällt das aber dem Holz eher schwer. Entsprechend wird es als anstrengend und nervig empfunden, sich detailliert an das Vorgegebene zu halten. Wenn das Ganze dann auch noch in einer sehr Metall-geprägten Unternehmenskultur stattfindet, dann wird das Holz dieses Menschen eher klein gehalten, was bei der Person zu Frust führen und darüber hinaus in der Organisation massive Reibungsverluste bedeuten kann. Dieses Prinzip der Betrachtung kann man auf die unterschiedlichen Themen anwenden und so schnell ein Verständnis für Zusammenhänge erhalten – auch zwischen einer persönlichen und einer Sachebene, die normalerweise schwer zusammen zu erfassen sind.

Kann man also zum Beispiel auch von fünf Führungsarten sprechen?

Ja, auf jeden Fall. Jemand kann feurig führen, dann spielen zum Beispiel Aspekte wie Kommunikation und Begeisterung eine wichtige Rolle. Oder holzig, dann geht jemand gerne neue Wege und setzt diese auch mal vehement durch. Oder erdig, dann stehen vielleicht Beständigkeit und Gemeinschaftssinn im Zentrum. Aber das sind nur einzelne Aspekte einer Führungsqualität und die können je nach Anforderung oder Situation auch anders ausfallen. Als Wu De Berater ist es uns sehr wichtig, dass man die Menschen nicht ‚schubladisiert‘, also in eine Schublade steckt. Denn jede dieser Wirkkräfte kann je nachdem sowohl positive wie auch schädliche Aspekte haben. Außerdem treten die Wirkkräfte selten in Reinform auf, sondern meist als sich gegenseitig beeinflussende Kombination! Das macht diese Art der Betrachtung so spannend, aber eben auch komplex.

Welche Rolle spielt dann die Persönlichkeit einer Führungskraft, und wie kann man das mit der Wu De Methode untersuchen und für sich nutzbar machen?

Wir gehen immer davon aus, dass Menschen je nach Zusammenspiel von Situation, Rolle, Persönlichkeit, Kontext oder Kultur unterschiedliche Verhaltensweisen zeigen können. Das Verhalten einer Führungskraft steht nach unserer Auffassung in einem ganz speziellen Zusammenhang, den wir anhand von konkreten Situationen oder Themen versuchen herauszuarbeiten. Persönlichkeit ist dabei wichtig, aber wir beziehen alle relevanten Aspekte mit ein und setzen sie in den aktuell erlebten Kontext, ehe wir nach Lösungen oder Ergebnissen suchen. Der dadurch notwendige Prozess der konkret kontextbezogenen Betrachtung bringt eine Reihe von Erkenntnissen für die Kunden und zeigt oft Aspekte, Tabus oder Themen auf, die bisher nicht bewusst oder nicht im Fokus waren. Es können dann Lösungsideen oder Ansatzpunkte auftauchen, die vorher übersehen wurden.

Ist die Methode dann nicht recht subjektiv? Unsere Wahrnehmung der eigenen Persönlichkeit oder der anderer mag nicht übereinstimmen – in unserem Workshop haben wir am Beispiel doch an einigen Stellen diskutiert, wie viel Holz oder Wasser in einer Person stecken?

Für eine Führungskraft ist es aus der Wu De Perspektive besonders wichtig, sich über die Auswirkungen des eigenen Handelns und Verhaltens klarzuwerden. Dazu hilft es, die dahinter liegende individuelle Intention zu kennen und dann zu lernen, die eigene Wirksamkeit bewusst entlang der eigenen Intention auszurichten. Oder anders ausgedrückt: sich über die eigene Haltung bewusst zu werden, zu wissen, welche Werte einen leiten und was man in seiner Führungsaufgabe ganz grundsätzlich bewirken will. Dementsprechend kann man dann Handeln und Haltung in Übereinstimmung zu bringen. Hier kann die Wu De Betrachtungsweise und besonders auch das Modell der Fünf Wirkkräfte helfen. Aber natürlich ist es richtig, dass manche Aspekte und tieferliegende Qualitäten sich nicht sofort zeigen. In unserer Arbeit ist es wichtig, den/die Kunden in den Beratungsprozess jederzeit transparent mit einzubeziehen. Das bedeutet dann beispielsweise, nicht über eine Führungskraft hinweg über ihre Qualitäten zu urteilen, sondern eher zu sagen: „Ich habe Sie in diesem Kontext so und so erlebt, was war Ihre Intention, mit der Sie da unterwegs waren?“ Das ergibt dann eine Reflexionsebene für die angesprochene Person, die wiederum eine Weiterentwicklung möglich macht.

Wie würden Sie denn gemäß des Modells Donald Trump beschreiben?

Aus dem eben Gesagten ergibt sich auch, dass es riskant ist, allgemeingültige Aussagen über eine Person treffen zu wollen. Es würde unserem Verständnis der Wu De Methode nicht entsprechen, hier eine kleine Schublade für einen der mächtigsten Player der Weltpolitik aufzumachen. Wir würden damit auch der weit verbreiteten Illusion erliegen, der Mensch Trump wäre über seine Psychologie hinreichend zu erklären. Vielmehr müsste man auch herausfinden, was bei Donald Trumps Verhalten aus seiner Psychologie kommt, was er aus einer Strategie für sein Land tut, und was für Bestrebungen und Intentionen ihn darüber hinaus umtreiben. Es gilt außerdem der Satz aus Sunzis Werk über die Kunst des Krieges: „Wenn du dich selbst kennst und die andere Seite, wird dein Handeln von Erfolg gekrönt sein. Wenn du nur dich kennst und nicht die andere Seite, wirst du bisweilen gewinnen, bisweilen verlieren. Wenn du weder dich kennst noch die andere Seite, wirst du jede Auseinandersetzung verlieren.“

Hier kommen also auch die Wechselwirkungen ins Spiel?

Genau, im Sinne der Wu De Methode würden wir uns also zuerst fragen: Wie reagieren wir auf Trump? Was löst er bei uns aus? Wir müssen zunächst uns selbst kennen. Das heißt auch, uns zu fragen, auf welches Verhalten unsererseits, als Deutschland, als EU, reagiert er wiederum? Und dann könnte man herausschälen, was sein persönliches Verhalten ausmacht, und was davon in seiner Rolle als US-amerikanischer Präsident liegt. Daher würden wir hier, wie wir es sonst auch tun, eine konkrete, für die Teilnehmer relevante Situation anschauen. Dabei nehmen wir auch die Wechselwirkungen der eigenen Seite mit der von Trump unter die Lupe, um für den jeweiligen Kontext zu schauen, welche Qualitäten auf seiner Seite mit was für welchen auf der eigenen Seite wechselwirken. Dann zeigt sich, welche Qualitäten er in diesem Kontext einsetzt, um welche Ziele zu erreichen.

Wie sehr kann man sich denn selbst in seinem Führungsstil wandeln? Und welche Rolle besteht zwischen dem Einzelnen und dem Team?

Natürlich gehen wir grundsätzlich davon aus, dass man sich ändern kann. Wir machen es so, dass wir mit den jeweiligen Personen gemeinsam relevante Situationen oder Ereignisse oder Konflikte ganz konkret anschauen. Dabei zeigen sich viele Aspekte, die man sonst vielleicht gar nicht beachtet. Das gleichen wir dann mit der schon erwähnten Frage nach der Intention ab. So zeigen sich den Beteiligten oft klare und nachvollziehbare Möglichkeiten, wie man in dem konkreten Fall vorgehen kann, und wie mit einer geänderten Haltung oder durch einen alternativen Stil auch die Folgen andere sein können. Auf diese Weise lernt man sich selbst und die eigenen Motive besser zu verstehen und kann Stück für Stück das eigene Verhalten ändern.

An welchen Haltungen fehlt es Ihrer Erfahrung nach häufiger in Teams?

Nun, das ist sehr unterschiedlich und von einer Reihe von Faktoren abhängig. Manchmal sind Teams einseitig zusammengestellt und bestimmte Qualitäten dominieren und andere fehlen dann oder können nicht zum Tragen kommen. Ob das allerdings zu einem Problem wird oder nicht, hängt wieder vom spezifischen Kontext ab.

Was kann man denn dann tun, wenn im eigenen Team oder in der Beziehung zum/r Chef/in eine Wirkkraft zu schwach ausgeprägt ist oder die Kräfte sich gegenseitig blockieren, anstatt sich zu unterstützen? Kann man an seiner Situation irgendetwas ändern, beziehungsweise was kommt nach der Wu De Analyse?

Wenn wir eine Wu De Analyse machen, dann visualisieren wir die relevanten Aspekte mit farbigen Karten und unterschiedlichen Kartenformen – meist auf dem Boden. Dadurch entsteht ein Bild oder eine Landkarte zu dem Thema. Dann kann man damit spielen und schauen, welche Intervention wiederum welche Auswirkung haben könnte. So kommt man auf neue Lösungswege und hat auch gleich eine Idee davon, was dieser nächste Schritt auslösen könnte, wie man ihn genau gehen und was man dabei beachten sollte. Das Gute daran ist, dass es jederzeit visuell dokumentiert wird und damit nachvollziehbar bleibt.

Beispiel der Visualisierung eines realen Beratungsfalls (anonymisiert) // © Susan Kirch

Die Methode geht also über das reine Beschreiben hinaus? Für unsere AdHoc-Leserschaft vielleicht interessant: Kann man mit der Methode denn Diplomatie betreiben?

Auf jeden Fall! Da das zugrundeliegende Modell so anschaulich ist, ist es auf jede Kultur anwendbar und grundsätzlich für alle Menschen verständlich. Besonders wichtig ist aber eben auch die Haltung, die für uns zentral ist. Wir schauen immer auf die Intention, also auf das, was man bewirken will. Das ist etwas anderes als ein kurzfristiges Ziel, es ist viel grundlegender und damit auch verlässlicher. Wie eine Art „Wurzel“, die einen auch bei Wind und Sturm festhält und den angestammten Platz weist. Ganz im Sinne des bei der Frage nach Trump schon erwähnten Sunzi: vor allem erst einmal sich selbst und die eigene Intention zu kennen und dann auch den anderen zu kennen, ehe man nach Lösungswegen sucht.

Das heißt also, dass ich im diplomatischen Alltag mit dieser Methode ein besseres Verständnis von meinem Team und dem Gegenüber erhalten kann, aber nicht konkrete Einzelfälle durchdeklinieren würde, weil die Methode auf einer etwas höheren Ebene ansetzt?

Doch natürlich – gerade! Unsere Methode eignet sich insbesondere dafür, sich möglichst klar formulierte Fragestellungen und Einzelfälle anzuschauen. Am Anfang steckt man so das Feld ab, damit die Frage einen Bezug bekommt und ganz konkret bearbeitet werden kann. Dann sammeln wir und beziehen alles mit ein, was in dieser Thematik relevant ist, oder wie wir sagen würden: was hier wirkt. Dabei wird sehr spezifisch ermittelt, was es braucht, damit die Führungskraft oder das Team – oder in einem Kontext zwischen Staaten der eigene Staat – im gewünschten Sinne wirksam werden kann.

Wird das Modell im heutigen China eigentlich aktiv erlernt und angewendet?

Überwiegend eher nicht. Höchstens in Rudimenten in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Einige Grundlagen, wie die Lehren von Sunzi, sind hingegen allgegenwärtig und in den Führungskreisen wichtig. Das Modell der Fünf Wirkkräfte galt lange Zeit in der Volksrepublik China als alter Aberglaube und läuft auch heute eher unterschwellig mit. Während die Kulturrevolution in China zu einem großen Bruch führte, sind in Taiwan und auch in Ländern wie Japan, Korea, Singapur oder Malaysia diese alten Modelle noch viel vertrauter.

Wo liegen die Unterschiede zwischen dem Wu De Modell und anderen systemischen und prozessorientierten Modellen in der Führung und Organisation?

Die Wu De Methode ist von vornherein durch und durch systemisch angelegt. Die zugrunde liegende chinesische Denkweise der Naturalistenschule betrachtet seit jeher Systeme der Natur, des menschlichen Organismus‘ oder soziale Systeme. Ein großer Unterschied zu modernen systemischen Ansätzen ist, dass wir mit den Fünf Wirkkräften und der Systematik ihres Zusammenwirkens ein Referenzmodell haben, das sich nunmehr über 2.000 Jahre hinweg bewährt hat und auf das wir uns in jedem Kontext beziehen können. Dieses Referenzmodell ist zugleich auch ein prozessorientiertes Modell, mit dem wir ganz unterschiedliche Arten von Prozessen betrachten können, ob linear, zyklisch, emergent, evolutionär oder disruptiv. Damit betrachten wir Prozesse als solche nicht unbedingt anders als andere Methoden und Ansätze, aber wir können sie über dieses Modell unmittelbar in Zusammenhang mit systemischen Wechselwirkungen bringen.

Wie wird aus Ihrer Erfahrung das Wu De Modell denn von Workshop-Teilnehmern angenommen, die weniger offen gegenüber ‚alternativen‘ Ansätzen sind? Was antworten Sie Skeptikern?

Manchmal sind unsere naturbezogenen Begriffe zunächst ungewohnt für die Arbeitswelt. Es sind jedoch Analogien zu unseren ganz realen Alltagserfahrungen, und so zeigt sich für uns immer wieder, dass der Zugang sich am einfachsten über das konkrete Ausprobieren öffnet. Wie Sie mit mir im Workshop ja auch erfahren haben, hilft die Anwendung auf konkrete Fälle, um die Begriffe und Ideen hinter Wu De zum Leben zu erwecken und den Nutzen für die Findung von Problemlösungen selbst zu erleben.

Wo sehen Sie noch Baustellen beziehungsweise offene Punkte, an denen die Methode weiterentwickelt werden kann?

Aus unserer Sicht ist die grundlegende Methodik ausgereift. Es liegt aber auch in der Natur unseres integrativen Ansatzes, ständig Erkenntnisse aus den einzelnen Aufträgen mit in unsere Arbeit einzubeziehen. Außerdem wenden wir die Wu De Methode in immer wieder neuen Zusammenhängen an und sammeln dabei wichtige Erfahrungen, die wir dann im Rahmen unseres Think Tanks verarbeiten oder in unsere Seminare einbringen. Da wir erleben, dass wir etwas anbieten, das für die unterschiedlichsten Kunden und Auftraggeber sehr hilfreich ist, streben wir an, die Arbeit nach der Wu De Methode noch bekannter zu machen und auch zunehmend international anzuwenden.