7. September 2017

Großer Wandel, der sich im Kleinen widerspiegelt

Myanmar?

Damit verbinde ich nun vor allem Eines: Wandel. Drei Monate lebte und arbeitete ich in der ehemaligen Hauptstadt Yangon, näherte mich Geschichte und Gegenwart, Kultur und Leuten. Viel habe ich in dieser Zeit gelernt. Was mich vor allem faszinierte? Großer Wandel der sich im Kleinen widerspiegelt.

Jahrzehntelang befand sich das südostasiatische Land fest im Griff der Militärs. Seit einem Putsch in den frühen 60ern kontrollierten die Generäle Güter und Gedanken. Zahlreiche ethnische Gruppen – meist aus der Peripherie des Landes – befanden sich im bewaffneten Widerstand. Sie forderten mehr politische Autonomie und Teilhabe. Über Jahrzehnte hinweg kam es zu blutigen Auseinandersetzungen. Zehntausende flohen vor der Gewalt, viele von ihnen überschritten die Grenzen zu benachbarte Staaten wie China oder Thailand.

Ende der 80er, ein Jahr bevor in Berlin die Mauer fiel, erschütterten Proteste Yangon: Tagelang zogen Student*innen durch die Stadt. Lautstark verlangten sie nach Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie. Aung San Suu Kyi, die heutige Friedensnobelpreisträgerin, hielt ihre erste öffentliche Rede und forderte einen politischen Neuanfang. Das Streben nach Freiheit fand jedoch ein jähes Ende. Ein brutales Eingreifen der Streitkräfte zerstreute die Proteste und zwang viele ins politische Exil. Tausende Oppositionelle wurden für Jahrzehnte weggesperrt, Suu Kyi selbst unter Hausarrest gestellt.

Im Jahr 2010 dann zog ein Umschwung durchs Land. Die Militärjunta läutete einen politischen und wirtschaftlichen Reformprozess ein. In Kombination mit Verhandlungen um ein nationales Waffenstillstandsabkommen sollte dieser den Weg ins 21te Jahrhundert ebnen: Nach und nach wurde die Zensur der Medien gelockert, Rede- und Versammlungsfreiheiten gestärkt.  Pluralität wurzelte im Einparteienstaat. Die Internationale Gemeinschaft begrüßte die Öffnung des Landes und lockerte schrittweise wirtschaftliche und politische Sanktionen.

Zu den ersten freien Wahlen kam es im Jahr 2015. Die Partei der Lady – die National League for Democracy (NLD) – verzeichnete mit über 80% der Stimmen einen Erdrutschsieg. Seitdem leitet Suu Kyi de facto die Regierungsgeschicke des Landes. Doch ihr Handlungsspielraum ist begrenzt: Per Verfassung sicherten sich die Generäle 25% der Sitze im Parlament. Schlüsselministerien wie das der Verteidigung bleiben weiterhin fest in der Hand des Militärs. Der NLD fehlt es zudem an Ressourcen und Erfahrung, viele Parteimitglieder übernehmen das erste Mal ein politisches Mandat.

Unter Suu Kyi hat die neue Regierung den Friedensprozess mit den bewaffneten Minderheiten zur Priorität erklärt. Doch in vielen Gebieten kommt es nach wie vor zu offenen Kampfhandlungen, vor allem im Kachin- und im Shan-Staat. Gleichzeitig sehen sich die Rohingya – eine muslimische Minderheit aus dem Rakhine Staat – weiterhin massiver Unterdrückung ausgesetzt. Auch unter Suu Kyi wird ihnen die Staatsangehörigkeit verwehrt. Erst in diesen Tagen flammte die Gewalt in Rakhine erneut auf, hunderte starben, tausende fliehen derzeit in Richtung Bangladesch um Schutz zu suchen.

In Myanmar müssen sich Minderheiten und Andersdenkende trotz demokratischer Reformen Sorgen um ihre Rechte und Freiheiten machen. Artikel 66(d) des Telekommunikationsgesetzes, welcher es ermöglicht, Personen wegen Verleumdung zu verklagen, wird weiterhin genutzt, um vor allem Journalist*innen einen Denkzettel zu verpassen. So muss sich gegenwärtig der wohl berühmteste Journalist des Landes Swe Win vor Gericht verantworten, weil er einen bekannten buddhistischen Mönch offen kritisierte. Frauen und Mitglieder sexueller Minderheiten werden im öffentlichen und privaten Leben stark diskriminiert und benachteiligt. Nur 9,7% des Parlaments ist weiblich. Für viele Mitglieder der LGBTQI Gemeinde gehören Beschimpfungen, Schikane und Polizeigewalt zum Alltag. Macht, Einfluss und Kapital steht mehrheitlich Männern zur Verfügung.

Die bestehenden Herausforderungen sind also enorm, der Weg hin zu einer freiheitlich-demokratisch-gleichgestellten Ordnung noch weit. Manchmal scheint es so, als ob nicht viel fehle, um den fragilen Fortschritt im Land zu brechen. Ungeachtet dessen hält Wandel Einzug im einstig so isolierten Myanmar: Sonderwirtschaftszonen, jeweils durch regionale Schwergewichte wie Japan, China oder Südkorea gesponsert, sollen ausländische Investitionen anlocken und die Wirtschaft ankurbeln. 2010 noch besaß lediglich 1% der Bevölkerung ein Mobiltelefon. Heute erstrecken sich Telekommunikationsnetze bis in entlegenste Ecken, Zugang zu Information ist für viele nur noch einen Klick entfernt. Der Tourismus wächst exponentiell, Jahr für Jahr kommen mehr Urlauber*innen, bringen Devisen ins Land und tragen Bilder von goldenen Pagoden zurück in ihre Heimat.

Auch im Kleinen, Alltäglichen zeigt sich dieser Wandel: Nach Jahren der Abschottung geben sich nun in Yangons hippen Viertel Sanchaung Westler die Klinke in die Hand. Facebook, Instagram, Viber oder Youtube gehören zum Standardrepertoire der jungen Generation. Jeden Abend aufs Neue verspricht die TV-Serie „The Money Drop“ das große Geld, während im Anschluss thailändische Soaps eine Welt von Luxus, Liebe und Intrige zeichnen. An zahlreichen Ecken der Stadt bewerben riesige Anzeigetafeln Produkte westlicher Prägung, und in den Kinos kämpft WonderWomen auch in Myanmar für eine gerechtere Welt.

Nach 3 Monaten nehme ich nun Abschied von Yangon und Myanmar, von einer Zeit, in der ich gesellschaftlichen Umbruch ein Stück weit hautnah miterleben durfte. Zahlreiche Momente bleiben mir in Erinnerung und begründen meine Faszination für Land und Leute, wohl vor allem jene, in denen sich großer Wandel im Kleinen widerspiegelte.