19. April 2021

Grüne Finanzprodukte: Bringen sie etwas für die Umwelt?

19.04.2021 — Moskau, Russland

Es herrscht allgemeine Verwirrung darüber, was jetzt wirklich eine “grüne Firma” ist, und doch verschieben sich bereits Investitionen und Renditen. Insbesondere der Markt für grüne Anleihen boomt. Carsten Sprenger erklärt, was wir bisher wissen.

Die Finanzindustrie hat die Umwelt für sich entdeckt. In den letzten Jahren, und noch einmal verstärkt seit der Corona-Krise, schichten große und kleine Investoren ihre Portfolios um und investieren mehr in grüne Geldanlagen und weniger in Sünden-Aktien (sin stocks), also Anteilsscheine von Firmen mit menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in ihren Lieferketten oder in ethisch und ökologisch fragwürdigen Industrien wie etwa Tabak, Waffenproduktion, oder der Kohleindustrie. Einer der Vorreiter der Exklusionsstrategie — dem Ausschluss von Investitionen in nicht-ethische und umweltschädigende Firmen — ist der norwegische Staatsfond, der größte Investmentfonds weltweit.

Intransparente Ratings

Woran kann sich eine Anlegerin orientieren, die ihre Geldanlage an ethischen und ökologischen Prinzipien ausrichten will? Dies sind in erster Linie die ESG-Ratings, was für ökologisch, sozial und governance, also gute Unternehmensführung steht. Das Problem mit diesen Rating-Noten ist, dass verschiedene Rating-Anbieter intransparente und nicht immer umfassende Methoden verwenden, die den Unternehmen weiten Spielraum lassen, sich den Ratings anzupassen (Stichwort greenwashing).

Wann ist eine Firma wirklich "grün" und wann scheint es nur so? Bild: Ghazaal Hoss­eini.

Eine Gruppe von Wissenschaftlern am Massachusetts Institute of Technology um den Ökonomen Robert Rigobon haben vor zwei Jahren ein Paper mit dem Titel „Aggregate Confusion — The Divergence of ESG Ratings“ veröffentlicht. Die allgemeine Verwirrung um die ESG-Noten manifestiert sich in einer niedrigen Korrelation von 0,61 zwischen den Ratings verschiedener Anbieter, verglichen zu einer Korrelation von 0,92 zwischen herkömmlichen Bonitätsnoten der großen Ratingagenturen. Dies liegt vor allem daran, dass die Anbieter unterschiedliche Konzepte für die drei Bereiche verwenden und dieselben Konzepte unterschiedlich messen. In der EU gibt es gegenwärtig Bestrebungen, den Markt für ESG-Ratings zu regulieren, um deren Qualität zu verbessern.

Reale Verschiebungen

Ist das Interesse für Ökologie und ethische Investitionen nur ein Werbegag der Finanzindustrie oder steckt mehr dahinter? Mehrere Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass es durchaus ernst ist und dass eine kritische Masse von Investoren, die auf die ESG-Kriterien schauen, bereits dazu führt, dass sich die Renditen verschieben.

Eine kritische Masse von Investoren achtet bereits auf ESG-Kriterien. Bild: Ghazaal Hoss­eini.

Olivier Zerbib von der Tilburger Universität umgeht dabei das Problem der verschiedenen Definitionen von „grünen Firmen“ und ESG-Kriterien indem er Daten der Portfolios von knapp 350 grünen Investmentfonds auswertet und Aktien mit großem Anteil in diesen Fonds und Aktien mit geringem Anteil vergleicht. Das Ergebnis ist, dass übergewichtete Aktien eine bis zu 1 Prozent niedrigere, und ganz ausgeschlossene Aktien (also die sin stocks) sogar eine bis zu 3 Prozent höhere Durchschnittsrendite aufweisen.

Dies bedeutet, dass die Kapitalkosten von grünen Firmen niedriger, diejenigen von Firmen mit den höchsten Umweltrisiken jedoch wesentlich höher sind. Dies übt Druck auf diese Unternehmen aus, ihre Geschäftsmodelle in Richtung nachhaltigerem Wirtschaften zu verändern. Die Veränderungen in der Finanzindustrie haben also durchaus reale Effekte.

Boom bei grünen Anleihen

Ein Markt, der es schon zu einer beachtlichen Größe gebracht hat, ist der Markt für grüne Anleihen. Die Gläubiger dieser Anleihen müssen die erhaltenen Mittel für grüne Projekte verwenden, also für erneuerbare Energien, nachhaltiges Wassermanagement, zur Reduzierung von Emissionen und dergleichen.

Weltweit wurden im Jahr 2019 Anleihen im Wert von knapp 267 Milliarden US Dollar ausgegeben, nach 171 Milliarden im Jahr 2018. Im Jahr 2020 ist das Volumen trotz der Corona-Krise noch einmal leicht auf 270 Milliarden Dollar gestiegen. Dies ist zwar nur etwa 3 Prozent des weltweiten Anleihemarktes, aber das schnelle Wachstum wird sich sicherlich in den nächsten Jahren fortsetzen.

Ein Problem dieses Marktes ist es, dass es gegenwärtig keine einheitlichen Standards für grüne Anleihen gibt. Zwei Standards haben sich am Markt weitgehend durchgesetzt:

  1. die Green Bond Principles der International Capital Market Association
  2. der Climate Bond Standard, der von der Climate Bond Initiative entwickelt wurde.

Der letztere schreibt wesentlich detailliertere und sektorenspezifische Kriterien für grüne Anleihen vor.

Weniger Rendite für grüne Anleihen?

Im September 2020 hat die Bundesregierung eine sogenannte Zwillingsanleihe ausgegeben. Beide Anleihen haben dieselben Merkmale, aber eine ist eine konventionelle Bundesanleihe und die andere eine grüne Anleihe. Die grüne Anleihe hatte Ende Oktober 2020 eine um zwei Basispunkte (also 0,02 Prozent) niedrigere Rendite als die konventionelle Anleihe. Mit anderen Worten, der Bund kann seine grünen Projekte etwas billiger finanzieren als seine sonstigen Investitionen.

Die Frage ist nun, ob dies auch generell gilt und ob es sich dabei wirklich um eine negative grüne Prämie handelt, oder ob grüne Anleihen sich lediglich in anderer Hinsicht von konventionellen unterschieden. Zum Beispiel hat sich gezeigt, dass grüne Anleihen weniger riskant sind. So waren ihre Preise während der turbulenten Finanzmärkte im vergangenen Jahr wesentlich stabiler als die von konventionellen Anleihen.

Gibt es eine negative grüne Prämie? Bild: Ghazaal Hoss­eini.

Um diese Frage zu beantworten, haben sich Forscher die Idee der Zwillinge zunutze gemacht. Olivier Zerbib hat in seiner 2019 veröffentlichten Arbeit grüne Anleihen mit konventionellen Anleihen verglichen, die vom selben Emittenten ausgegeben wurden, in derselben Währung, mit demselben Kreditrating, derselben Seniorität usw. Er hat außerdem die eventuell unterschiedliche Liquidität der Anleihenpaare herausgefiltert. Damit sind nun so gut wie alle Risikofaktoren der beiden Anleihen angeglichen und verbliebene Renditeunterschiede können nur mit nicht-monetären Interessen der Anleger erklärt werden.

Für 110 solche Paare im Zeitraum von 2013 bis 2017 kann der Autor zeigen, dass grüne Anleihen eine etwa um zwei Basispunkte niedrigere Rendite aufweisen, zufällig die gleiche Zahl wie bei der Zwillingsanleihe des Bundes. Dies ist zugegeben nicht viel, aber es zeigt doch, dass es bereits eine kritische Masse von Investoren gibt, die neben ihrem finanziellen Interesse auch nicht-monetäre Ziele verfolgen.

Ein signifikanter grüner Renditeabschlag wird nicht von allen Autoren gefunden, die das Phänomen untersucht haben. Dennoch scheint sich langsam ein Konsens herauszubilden, dass der Abschlag existiert (MacAskill et al., 2021).

Bessere Zertifizierung gefragt

Ein Autorenteam von koreanischen und chinesischen Ökonomen hat untersucht, ob genauere Informationen darüber, inwiefern die Anleiheerlöse tatsächlich in ökologische Projekte fließen, diesen Renditeabschlag beeinflussen (Hyun et al, 2020). Sie fanden heraus, dass die Renditen von unabhängig zertifizierten grünen Anleihen um 6 bis 15 Basispunkte fallen.

Verlässliche Informationen sind also gefragt: Investoren wollen wissen, wie ihre Mittel verwendet werden. Auf diesem Feld, wie auch bei den ESG-Kriterien, können die Regulierungsbehörden noch einiges tun, um mehr Klarheit für „grüne“ Investoren zu schaffen.

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