30. Juli 2022

Gute Quellen und doch nicht den Überblick

30.07.2022 — Sarajevo, Bosnien und Herzegovina

Wie informieren sich nefiat*innen? Die Ergebnisse der Umfrage im Netzwerk.

Mit abweichenden Meinungen werden nefiat*innen primär konfrontiert, wenn sie auf Twitter Accounts jenseits der eigenen Blase folgen. Bild: Gerd Altmann, Pixabay.

Das Netzwerk für internationale Aufgaben (nefia) will gemäß seiner Satzung ein Verein sein, der „die Förderung internationaler Gesinnung, insbesondere die Pflege weltweiter Freundschaft und den interkulturellen Austausch“ leistet. Nebensatz: für Akademiker*innen aller Fachrichtungen. Damit gibt es direkt im ersten Auftrag zum Vereinszweck beides — Blasenbildung und -überwindung. Nur Akademiker*innen, dafür aber fächerübergreifend, ausgerichtet auf grenzüberschreitende Kontakte.

Was bedeutet das für die Informationskultur im Netzwerk? Tragen internationale Verflechtungen zu einer Diversifizierung von Quellen bei? Oder schafft sich die Szene ihre eigenen Blasen?

Die ad hoc hat im Netzwerk nachgefragt. Beteiligt an der nicht-repräsentativen Umfrage haben sich nefiat*innen aus allen Jahrgängen des Kollegs.

Informationsblasen verschiedenen Ursprungs

Der Begriff der Filterblase wurde vom amerikanischen Autor und Aktivisten Eli Pariser geprägt, der damit die algorithmisch gesteuerten Filterfunktionen von Suchmaschinen und sozialen Medien in den Blick nimmt. Im Zentrum steht die personalisierte Information: These ist, dass Nutzende keine Fakten mehr angezeigt bekommen, die ihrer eigenen Meinung widersprechen.

In der Debatte werden neben Algorithmen inzwischen weitere Filtergrenzen behandelt, die auch in der nefia-Umfrage eine Rolle spielen:

  • Einseitige Alltagserfahrungen: Etwa 90 Prozent der Teilnehmenden leben in Europa oder den USA, etwa 90 Prozent leben in Großstädten oder Ballungsräumen. Neben der akademischen Erfahrung im Netzwerk kommen diese Effekte hinzu.
  • Sprache als limitierender Faktor: Fast alle Teilnehmenden verfolgen sowohl deutsch- als auch englischsprachige Nachrichten. Danach folgt eine Reihe mehrfach genannter westeuropäischer Sprachen; zwei Teilnehmende lesen regelmäßig Russisch; nur je eine Person gibt an, auf Persisch oder Arabisch Nachrichten zu verfolgen – die einzigen nicht-europäischen Sprachen, die in der Umfrage genannt werden. Verglichen mit anderen Erhebungen zum Medienkonsum ist zwar bereits die Ausweitung auf englischsprachige Nachrichten eine deutliche Diversifizierung, dennoch bleibt die Nutzung entsprechend limitiert.

Bewusste Suche

Am Willen liegt es nicht — der Anspruch der nefiat*innen, sich vielseitig zu informieren, ist hoch:

  • Mehr als 80 Prozent der Teilnehmenden der Umfrage nutzen mindestens wöchentlich traditionelle Medien. Onlineportale und Apps von Zeitungen und Magazinen sind besonders beliebt. Auch Newsletter dieser Anbieter werden oft genutzt, Printausgaben hingegen weniger. Im Schnitt haben die Haushalte der nefiat*innen 2,2 traditionelle Medien kostenpflichtig abonniert.
  • Durchmischter ist das Bild beim Medienkonsum über soziale Netzwerke. Diese werden zwar von den meisten Teilnehmenden genutzt, allerdings sporadischer. Rund 50 Prozent der Teilnehmenden nutzen regelmäßig Twitter und 30 Prozent beziehen Informationen von Facebook. Knapp die Hälfte der Teilnehmenden nutzt zudem zumindest gelegentlich Messengerdienste wie WhatsApp oder Telegram, um sich zu informieren.
Die wichtigsten Informationsquellen von nefiat*innen gemäss der Umfrage. Je größer ein Medium dargestellt ist, desto öfter wurde es genannt.

Spannend ist nun die Frage, wo das Netzwerk mit abweichenden Meinungen konfrontiert wird. Interessanterweise führen die Teilnehmenden hier primär soziale Medien als Quellen an – im Widerspruch zur These, dass diese Filterblasen nur noch verstärken:

  • Twitter sticht dabei heraus, jedoch insbesondere, wenn nefiat*innen bewusst Accounts von außerhalb der eigenen Blase folgen. In der Umfrage werden hier beispielsweise „Meinungen rechter Politiker/Prominenter“ oder „Abos von Bundesministern/aus unterschiedlichen Parteien“ genannt.
  • Aber auch traditionelle Medien konfrontieren die Teilnehmenden mit Perspektiven, die nicht der eigenen Sichtweise entsprechen. Dies geschieht primär über die Meinungsbeiträge in einem breiten Spektrum von Medien: von bild.de, FAZ und NZZ über SZ und Zeit bis hin zum Deutschlandfunk, der New York Times oder dem Spiegel (online).
  • Eine Reihe von Teilnehmenden hebt zudem hervor, dass sie entsprechende Konfrontationen eher im nicht-digitalen Raum erleben: in der Familie, bei der Arbeit oder im Taxi.

Wenn die Blase platzt

Viele der Teilnehmenden sind sich bewusst, dass sie von unterschiedlichen Filterblasen geprägt sind. In der Umfrage kommen folgende Beispiele zur Sprache, in denen nefiat*innen neuen Informationen begegneten, ihren eigenen Standpunkt hinterfragten und anpassten:

  • Umgang mit Covid: Wandel durch umfangreiches Lesen von wissenschaftlichen Hintergründen. Diesbezüglich wird jedoch kritisch kommentiert, dass es für Lai*innen nicht immer einfach sei, über die Aussagekraft von Quellen zu urteilen und nicht auf „offizielle Fälschungen“ (Stichwort: Emissionswerte von Dieselfahrzeugen) hereinzufallen.
  • Waffenlieferungen in die Ukraine: Mehrfach wurde kommentiert, dass es eine Perspektivverschiebung von grundsätzlichen Waffenembargos für Konfliktgebiete hin zu Waffenlieferungen zur Selbstverteidigung der Ukraine gegeben habe.
  • „Linksgrüne Genderideologie”: eine Person führt an, dass sie diese durch die Lektüre von George Orwells Roman 1984 zu hinterfragen begonnen habe.

Die andere Reaktion, wenn die Blase platzt, ist Resignation: anerkennen, dass der eigene Standpunkt nicht mehrheitsfähig ist, ohne selbst davon abzuweichen. Dies kommt mehrfach zur Sprache, primär im Kontext der “Klimablase”:

  • “Ein Disconnect […] zwischen denjenigen, die sich täglich mit den Themen beschäftigen und anderen Mitmenschen”.
  • Dies mit Blick auf vermeintlich einfache Lösungen, andererseits aber auch auf das Ernstnehmen der Situation.
  • Eine teilnehmende Person schildert, dass sie es aufgrund ihrer sozialen Blase nicht erwartet habe, dass das schweizerische CO2-Gesetz abgelehnt werden könne.

In vielerlei Hinsicht scheint das Netzwerk für internationale Aufgaben eine eigene kleine Blase zu sein — nefiat*innen ähneln einander, auch im Informations- und Medienverhalten. Aber es ist eine Blase, die sich intensiv damit auseinandersetzt, eine zu sein. Daher die herzliche Einladung, weiter an den eigenen blinden Flecken zu arbeiten. Es kann sich lohnen, neue Ideen und Perspektiven inklusive!

ad hoc international jetzt abonnieren!

Hier diskutieren Fachleute ihre Erfahrung aus der Praxis. Alle drei Monate erscheint ein thematischer Blog zu einer drängenden Frage der internationalen Politik und Zusammenarbeit.