20. Juli 2012

In den gruenen Huegeln des Shan State: zu Schlafmohn und seinen Alternativen

Nachdem ich mich nun bereits fast eineinhalb Jahre mit internationaler Drogenpolitik und insbesondere alternativer Entwicklung beschaeftige (auch mein Projektthema während des Mercatorjahres), wurde es Zeit, dass ich in meiner letzten Station in Myanmar im Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung der Vereinten Nationen (engl. Abkürzung UNODC) nun mal vor Ort die Projekte kennenlerne, denen ich mich zuvor ueber verschiedene Stationen „am Schreibtisch“ angenaehert hatte. So arrangierte mein Chef fuer mich eine Dienstreise in den Shan State, in die Naehe der Hauptstadt des Shan, Taunggyi, wo UNODC von der EU finanzierte Projekte der alternativen Entwicklung durchfuehrt. Dies war fuer mich insbesondere deshalb spannend, weil ich in letzter Zeit hier viel zu diesen Projekten gearbeitet hatte. Viele von euch wissen wahrscheinlich mit dem Begriff der alternativen Entwicklung nichts anzufangen, daher will ich hier eine kurze Erklaerung folgen lassen.

Alternative Entwicklung (AE) bedeutet grundsätzlich, dass den Bauern, die Drogenpflanzen anbauen, legale Alternativen gegeben werden, um so den Drogenanbau zu reduzieren. Das Konzept hat sich im Laufe der Zeit mit zunehmender Erfahrung stark veraendert. So ist inzwischen allgemeiner Konsens, dass die alternativen Pflanzen (z. B. Reis, Tee, Yamwurzel, Kaffee, Rosen (!), etc), die fuer sich genommen oftmals (aber manchmal doch) nicht den gleichen Profit bringen wie die Drogenpflanzen (im Falle Burmas ist das Schlafmohn zur Herstellung von Opium und Heroin) nur einen Baustein einer grundlegenden und breiteren Entwicklung dieser Gebiete darstellen. Zusaetzlich umfassen Massnahmen der alternativen Entwicklung oft, so auch in den Projekten von UNODC, Komponenten wie Infrastruktur (Strassen, Bewaesserungssysteme, Trinkwasser, Latrinen), Gesundheit, Bildung, nicht agrarische Einkommensmoeglichkeiten und Trainings, etc. Dies soll eine ganzheitliche Entwicklung in diesen Regionen ermoeglichen und somit den Anbau der Drogenpflanzen ueberfluessig machen. Es muss hier festgehalten werden, dass die ueberwiegende Anzahl der Bauern, die Drogenpflanzen anbauen, daraus kaum Profit schlagen. Drogenpflanzen stellen fuer die Kleinbauern in den sehr abgelegenen und unterentwickelten Regionen vielmehr eine der wenigen Moeglichkeiten dar, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Dies ist insbesondere in Myanmar der Fall, wo geschaetzte 250 000 (!) Bauern einen Teil ihrer Einnahmen vom Schlafmohn beziehen.

Ein Prinzip fuer die nachhaltige Durchfuehrung von AE-Projekten besagt, dass die Vernichtung der Drogenpflanzen schrittweise erfolgen muss und mit den Bauern partizipativ verhandelt wird. Somit wird der Schlafmohn erst dann vernichtet, wenn legale und tragbare Alternativen etabliert wurden und die Bauern somit nicht mehr auf ihre Drogenpflanzen angewiesen sind. Leider werden, wie das so oft mit solchen Prinzipien der Fall ist, diese nicht immer eingehalten und so auch in Myanmar, wo die Regierung im letzten Jahr massive Vernichtungskampagnen der Mohnfelder durchgefuehrt hat und sich die Bevoelkerung infolgedessen mit einer akuten Nahrungsmittelknappheit konfrontiert sieht. UNODC und das Welternaehrungsprogramm mussten daher in den letzten Monaten Reis verteilen, um das Schlimmste abzuwenden.

Es stellt sich natuerlich die Frage, inwiefern AE funktioniert und wie so oft ist die Anwort: Es kommt darauf an. Wenn AE mit einem ganzheitlichen Ansatz durchgefuehrt wird, die Prinzipien geachtet werden, genuegend Zeit und Geld investiert wird und die Zielregion eine grundsaetzliche Entwicklung erlebt, so kann der Drogenanbau nachhaltig verringert werden. Dies ist natuerlich besonders dann möglich, wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in einem Land sich ebenfalls verbessern. Ein Paradebeispiel ist Thailand, wo es geschafft wurde, ueber einen langen Zeitraum hinweg (denn einen langen Atem braucht es fuer AE) die Schlafmohnproduktion quasi auf null zu reduzieren. Dennoch: AE-Projekte können höchstens geringfügig zur Verringerung der globalen Drogenanbauproblematik beitragen.

Aber nun endlich zur Reise in die Projektregion: Schon die Fahrt in die Projektdoerfer stellte sich als spannend heraus: Drei meiner Kollegen  und ich fuhren mit dem UN Fahrzeug los und kaum dass wir uns der Stadtgrenze naeherten, bekamen wir Begleitung von drei mit Kalaschnikows bewaffneten Polizisten… spaeter hopsten noch weitere vier Beamte auf den Pick-up der Polizei, sodass ich eine stolze Eskorte von sieben Beetelnusskauenden jungen Polizisten hatte. Ich sage Ich, weil tatsaechlich nur fuer Auslaender Polizeibegleitung notwendig ist. Die Projektregion steht erst seit kurzem  unter Waffenstillstand (die Regierung und die lokalen ethnischen bewaffneten Minderheiten stehen seit Jahrzehnten auf Kriegsfuss), und nach wie vor ist der Waffenstillstand teilweise fragil.

Als wir uns dem ersten Dorf naehrten, erklaerte mir mein Kollege beim Vorbeifahren an einem riesigen Militaerareal, dass die urspruenglich hier lebenden Bauern vom Militaer enteignet wurden (passiert haeufig in Myanmar) und sie daher genau in die bergigen Regionen auswandern mussten, wo sie nun Schlafmohn anbauen, da in den agrarisch weniger fruchtbaren Berggebieten kaum etwas anderes profitabel war. Das konfiszierte Land dagegen wird vom Militaer kaum produktiv genutzt, es liegt quasi brach, ist aber natuerlich trotzdem sehr wertvoll. Nur eine von vielen und komplexen (und auch traurigen) Ursachen fuer den Drogenanbau.

Ein weiterer Grund ist, dass durch die schlechte Anbindung andere Produkte kaum zu den Maerkten transportiert werden koennen, waehrend das Rohopium von kriminellen Netzwerken direkt von den Feldern abgeholt wird. Die schlechte Verkehrsinfrastruktur konnte ich schon bald hautnah erleben, als unser Vierradfahrzeug sich ueber schlammige Pisten immer tiefer in die bergige Landschaft kaempfte. An einer Stelle mussten wir stoppen, weil Fahrzeuge vor uns den Weg versperrten. Bei den Insassen handelte es sich um eine Delegation um den Chef der lokalen Regierung der Pa-O, einer ethnischen Minderheit, die in der Region gerade einen Zensus durchführten. Die verschiedenen ethnischen Minderheiten haben (unterschiedlich starke) lokale Autonomie, was die ganze Akteurslandschaft im Shan State zusaetzlich komplex macht. Nach einigem Haendeschuetteln und der Erklaerung, was denn dieser grosse Weisse hier mache, fuhren wir dann weiter, um endlich das erste Projektdorf zu erreichen.

Hier angekommen, besichtigten wir die Felder eines der Bauern, die von UNODC mit Agrartraining und Saatgut unterstuetzt werden. Meine Kollegen und ich stellte einige Fragen und wir konnten uns, vermittelt durch Uebersetzer (die Doerfler sprechen nicht burmesisch, sonder Pa-O) ein Bild von seiner Lage machen. Dieser Bauer hatte mehrer kleine Landparzellen, auf denen er Mais sowie Ingwer, Knoblauch, etc anbaute. Er erzaehlte uns, dass er letztes Jahr noch Opium angebaut habe, dies allerdings abseits des Dorfes im Dschungel, wo die Polizei nur schwer Zugang hat. Ein grosses Problem des Drogenanbaus ist, dass es die ohnehin voranschreitende Abholzung weiter anfeuert, da die Bauern Opium nicht auf ihren Feldern anbauen, sondern abseits der Doerfer und dafuer Regenwald roden. Zugleich fuehrt dies dazu, dass sie ihre urspruenglichen Felder oft nicht mehr bestellen und dementsprechend weniger Anbau und Lebensmittel zur Verfuegung haben, wenn die Opiumfelder vernichtet werden. Um dem ganzen noch eins draufzusetzen, kann es passieren, dass sie ihre legalen Felder nach burmesischem Landrecht verlieren, wenn sie sie zwei Jahre nicht bestellen, was viele der Bauern aber nicht wissen.

Unser Mittagessen nahmen wir anschliessend in einem nahegelegenen Kloster zu uns. Kloester sind bei weitem die groessten und beeindruckendsten Gebaeude in diesen laendlichen Regionen und stehen im starken Kontrast zu den doch eher aermlichen Huetten.

Danach fuhren wir in das zweite Dorf das noch abgelegener und dementsprechend auch ärmlicher war als das erste. Die Bevölkerung hatte noch nie einen Auslaender, geschweige denn einen Weissen, gesehen und so kam es, dass mir grosse Augen entgegenblickten und kleine Kinder entweder weinend vor mir wegliefen oder mich anstarrten und als Attraktion betrachteten. Wir hatten ein Treffen mit der Dorfversammlung arrangiert, wo wir Fragen hinsichtlich der Situation und der Beduerfnisse im Dorf stellen konnten. Der Ansatz von UNODC ist generell sehr partizipativ, das heisst, dass in solchen Dorftreffen die aktuellen Beduerfnisse angesprochen werden und versucht wird, darauf flexibel zu reagieren. Dies illustriert das folgende Beispiel. Das Dorf hat unter anderem keinen direkten Trinkwasserzugang, was dazu fuehrt, dass die Menschen teils sehr weite Wege zur naechsten Quelle zuruecklegen muessen. Dementsprechend wurde die Verbesserung des Wasserzugangs im Gespräch auch gleich als erste Prioritaet genannt.  Nun stellte sich heraus, dass die Gemeinde kuerzlich eine neue Quelle gefunden hatte, die sich unter Umstaenden zur Umleitung ins Dorf eignete, und UNODC wird nun einen Techniker dort hinschicken, um festzustellen, ob solch eine Leitung moeglich ist. Sollte diese Leitung gebaut werden, so wird der Zugang zu sauberem Trinkwasser fur die Bewohner eine große Verbesserung ihrer Lebensqualität darstellen, was zeigt, dass es nicht immer die grossen Summen sind, die etwas bewegen koennen.

Im Verlaufe des Gespraechs, das durch die Uebersetzung etwas stockend war, stellte sich heraus, dass die Bevoelkerung nicht vorhat, im naechsten Jahr wieder Schlafmohn anzubauen, wenn UNODC die Entwicklung weiter vorantreibt, und mein Kollege meinte dass dies glaubhaft sei. Selbst sehen konnte ich die Opiumfelder (leider?) nicht, da sie in dieser Jahreszeit nicht angebaut werden.

Nach einem etwa einstuendigen, sehr spannenden Treffen  besichtigten wir noch ein Mais und ein Reisfeld von zwei Baeuerinnen, denen UNODC verbesserte Saatgueter und Agrartraining gegeben hatte. Eine ganze Prozession folgte uns und schaute sich diesen Deutschen an, der da auf einmal vom Himmel gefahren war.

Gedankenverloren ueber all diese neuen Eindruecke, Erfahrungen und Erkenntnissen liess ich auf der ruckeligen Rueckfahrt meinen Blick gluecklich und traurig zugleich ueber die gruenen Reisfelder in den Taelern und den satten Regenwald an den Haengen gleiten. Goldenes Burma, welch ein Reichtum, welch eine Armut!