Gedankenspiele
Es sind unruhige Zeiten im Nahen Osten. Der Bürgerkrieg in Syrien hält an. Längst hat sich der Konflikt in den (…)
13. März 2012
Ein Beitrag von Max Schaub
Diese Woche wurde die griechische Regierung einmal mehr von EU Innenministern aufgefordert, irreguläre Migranten effektiver von der Einreise nach Griechenland und damit in den Schengen-Raum abzuhalten. Aber was für Möglichkeiten bieten sich Griechenland und der EU überhaupt, irreguläre Migration zu begrenzen? Einen Zaun an der Grenze errichten, wie es Griechenland gerade tut (und Spanien auch vorher schon in seinen marokkanischen Enklaven getan hat), ist aus rechtlicher Perspektive höchst problematisch, da ein Zaun nicht zwischen Asylberechtigten und “Nicht-Asylberechtigten” unterscheiden kann. Und auch aus praktischer, gesamteuropäischer Sicht ist es kaum sinnvoll, einen Zaun zu errichten: aller Wahrscheinlichkeit nach wird dies lediglich zu einer Verlagerung der Immigrationsströme führen.
Die Frage, ob und wie irreguläre Migration verhindert werden kann und sollte, ist das Thema meines Mercatorjahres – freilich mit der Einschränkung, dass ich auf der Suche nach Wegen bin, bei denen die Rechte und Aspirationen der Migranten adressiert werden. Dafür nehme ich – zunächst von der Warte der IOM in Moldau, und nun von jener der Europäischen Kommission in Brüssel aus – die sogenannten Mobilitätspartnerschaften in den Blick und frage, inwieweit diese neuen Instrumente der EU-Migrationspolitik geeignet sind, irregulärer Migration konstruktiv zu begegnen.
In meinem Beitrag möchte ich das den Mobilitätspartnerschaften zugrunde liegende Konzept, den Gesamt-Ansatz zu Migration und Mobilität (Global Approach to Migration and Mobility – GAMM), vorstellen und einige Kritikpunkte anbringen.
Der GAMM (Global Approach to Migration and Mobility) wurde im November 2011 von der Europäischen Kommission vorgestellt, und wird seitdem in den verschiedenen europäischen Institutionen diskutiert. Der Ansatz kann als Versuch gesehen werden, die externe Migrations- und Visapolitik der EU erstmals umfassend zu regeln. Bezüglich irregulärer Migration ist die Aussage des GAMM klar: diese soll mit allen Mitteln gestoppt werden.
Dafür wird vor allem auf repressive Maßnahmen zurückgegriffen. Die Außengrenzen sollen verstärkt werden und die Ein- und Ausreise von Nicht-EU Bürgern so kontrolliert und dokumentiert werden, dass eine unbemerkte Einreise nahezu unmöglich wird. Mit Nachbarstaaten und wichtigen Endsendeländern sollen (oder wurden bereits) Rücknahmeabkommen abgeschlossen werden. Die Herkunftsländer verpflichten sich, ihre eigenen Staatsbürger wieder aufzunehmen, sollten diese irregulär in die EU eingereist sein. Darüber hinaus verpflichten sie sich sie irreguläre Migranten anderer Staaten aufzunehmen, die durch ihr Staatsgebiet auf EU-Territorium gelangt sind (wobei weitgehend offen bleibt, was mit diesen Migranten dann geschehen soll). Die Nachbarn werden durch die EU großzügig beim Verstärken ihrer eigenen Außengrenzen unterstützt: vor allem Staaten, denen die Kapazitäten fehlen, selbst ihre Grenze zu sichern, werden von der europäischen Grenzsicherungsagentur FRONTEX unterstützt. Reiseanbieter werden unter Androhung hoher Geldstrafen dazu gezwungen, die Dokumente ihrer Reisenden vor Abreise zu prüfen. Für Asylsuchende bedeutet das: Sie haben kaum Chancen, auf dem Gebiet eines EU Mitgliedstaates einen Asylantrag zu stellen.
Die Antwort auf dieses Problem sind laut Kommission die sogenannten Regionalen Schutzregime. Schutzbedürftige sollen überhaupt nicht mehr nach Europa einreisen; vielmehr soll ihnen direkt in ihrer Region von den jeweiligen Nachbarstaaten Schutz gewährt werden. Diese Nachbarstaaten werden im Gegenzug von der EU dabei unterstützt, ihre Asylsysteme dem (Nord-)europäischen Standard anzunähern.
Im Rahmen des GAMM soll weiterhin reguläre Migration ermöglicht werden, namentlich in Form zirkulärer Migration. Die Idee dahinter ist vermutlich (der Text bleibt im Detail vage), auch weniger gut ausgebildeten Menschen aus Entsendeländern einen Weg zu bieten, in EU Staaten Geld zu verdienen. Bislang ist es gemäß EU-Regelwerk bestenfalls für Hoch- und Höchstausgebildete möglich, regulär für Arbeitszwecke in die EU zu kommen. Die Überlegung scheint zu sein, dass allein die Möglichkeit, legal in die EU einreisen und hier arbeiten zu können, genug Anreiz bieten könnte, sich gar nicht mehr auf irreguläre Migration einzulassen. Denn im Falle einer entdeckten irregulären Einreise würden Migranten diese Option höchstwahrscheinlich verwirken.
Zuletzt soll gemäß GAMM Armut als eine der Antriebskräfte für irreguläre Migration reduziert werden, indem die wirtschaftliche Entwicklung der Herkunftsländer unterstützt wird (wie z.B. durch die Förderung von Rücküberweisungen von Migranten).
Doch wie stehen die Chancen für diesen “Gesamtansatz”, irreguläre Migration zu reduzieren? Und inwieweit werden dabei die Rechte und Aspirationen der Migranten respektiert? Negativ fällt auf, dass die dem GAMM zugrunde liegende Vision ein Europa zu sein scheint, das sich überhaupt nicht mehr um Asylbewerber kümmert. Alle Verantwortung, Asylanträge zu prüfen und Schutz zu gewähren, wird ausgelagert (wobei zudem angemerkt werden sollte, dass EU-Nachbarländer wie Tunesien oder die Türkei bereits durchaus Verantwortung übernehmen). Nun wird es wahrscheinlich nie dazu kommen, dass Asylsuchende es gar nicht mehr in die EU schaffen, und zusätzlich enthält der GAMM einen Paragraphen zum resettlement (die Aufnahme von Asylberechtigten auf freiwilliger Basis); dennoch bleibt festzuhalten: die EU Staaten versuchen sich aus der Verantwortung zu stehlen und nehmen dabei menschliches Leid in Kauf. Denn so richtig glaubt wohl keiner daran, dass Regionale Schutzsysteme, angesiedelt in Krisenregionen, Asylsuchenden den gleichen Schutz bieten können wie EU-Staaten.
Das Argument, mit wirtschaftlicher Entwicklung ließe sich irreguläre Migration reduzieren, kann nicht wirklich überzeugen. Stand der Migrationsforschung ist heute, dass ein höheres wirtschaftliches Entwicklungsniveau zunächst zu mehr Migration führt. Denn es ist nicht nur Armut und Gewalt, sondern auch der Mangel an Perspektiven und Lebenschancen, der Migranten – reguläre wie irreguläre – antreibt. Diese Situation wird sich kurzfristig kaum ändern, da strukturelle Veränderungen in den Herkunftsländern der Migranten sowie in deren Beziehungen mit der EU erforderlich wären. Das heißt natürlich nicht, dass Rücküberweisungen von Migranten in die Wirtschaft ihrer Herkunftsländer nicht gefördert werden sollten. Die EU sollte diese Förderung nur nicht mit der Hoffnung zu verknüpfen, dass sich dadurch kurzfristig weniger irreguläre Migranten auf dem Weg machen werden.
Das Argument hingegen, dass Menschen in Herkunftsländern ihre Migrationspläne verschieben könnten, um vorhandene, reguläre Migrationspfade zu nutzen, scheint zumindest theoretisch überzeugend. Zwar gilt auch dies nur mit Einschränkungen: Zum einen lebt irreguläre Migration vor allem von der Nachfrage nach günstiger Arbeitskraft in den Arbeitsmärkten der Empfängerländer, und es ist fragwürdig, ob zahlenmäßig beschränkte, reguläre Immigration diese Nachfrage befriedigen könnte (in diesem Kontext wäre es interessant zu untersuchen, ob die von den USA durchgeführte Greencard-Lotterie irreguläre Migration reduziert). Zum anderen könnten regulär eingereiste Migranten auch als Anlaufstelle für irreguläre Migranten dienen und deren Einreise erleichtern. Dennoch ist der Ansatz, mehr reguläre Wege für Migranten zu öffnen, noch der erfolgversprechendste.
Deutschland hatte seit den frühen 1990er Jahren Saisonarbeitermodelle eingeführt, die es Bürgern aus den östlichen Nachbarstaaten erlaubten, zeitlich begrenzt in Deutschland zu arbeiten. Diese Modelle (jetzt wegen des In-Kraft-Tretens der Arbeitnehmerfreizügigkeit weitgehend ausgelaufen) wurden vielfach gelobt, und scheinen zu einer Reduktion der irregulären Migration aus diesen Ländern beigetragen zu haben. Was spricht dagegen, diese Modelle auch auf Bürger heutiger Entsendestaaten auszuweiten? Es würde der EU Migrationspolitik gut tun, wenn mit der gleichen Energie, die heute für die Sicherung der Außengrenzen aufgewandt wird, nach alternativen Ansätzen zur Reduzierung irregulärer Migration gesucht würde.