18. Dezember 2020

Kaputtes Startup-System

18.12.2020 — Barcelona, Spanien

Die Startup-Szene hat ein Problem: ein Grossteil ihres Potentials liegt brach. Felicia Siegrist geht in ihrem Kollegjahr der Frage nach, wie wir erreichen, dass mehr Frauen eine eigene Firma gründen. Sie befragte zwölf Unternehmerinnen aus verschiedenen Industrien und Ländern dazu, was sie beim Aufbau ihrer Startups erlebten. Dabei kristallisieren sich drei zentrale Probleme heraus, die “Female Entrepreneurs” den Weg zum Erfolg erschweren.

Startups schaffen Arbeitsplätze, lösen gesellschaftliche Probleme und kreieren Wachstum — auch in unsicheren und wirtschaftlich schwierigen Zeiten wie heute.

Doch laut den aktuellen Zahlen des EU Startup Monitors werden nur rund 8 Prozent der Unternehmen in der EU von Frauen gegründet, während gemischte Teams 25 Prozent ausmachen. Zwei Drittel aller Startup-Teams bestehen ausschliesslich aus Männern. Venture Capital fliesst nur selten zu weiblichen Gründerinnen — in den letzten Jahren lag der Anteil konstant unter 3 Prozent des gesamten investierten Risikokapitals.

Diese Zahlen zeigen deutlich, dass Frauen im Unternehmertum immer noch enorm unterrepräsentiert sind. Schauen wir uns an, wo die Gründe für dieses Missverhältnis liegen könnten.

Erste Hürde: Unconscious Bias in der Kapitalbeschaffung

Die Kapitalbeschaffung sei als Frau schwieriger — das erwähnen alle zwölf Gründerinnen. Frauen hätten es viel schwerer, in der männerdominierten Szene erfolgreich zu sein und Investitionen an Land zu ziehen, da oft Vorurteile im Spiel seien, die Frauen benachteiligten.

Männliche Investoren (die grosse Mehrheit) liessen sich eher von Männern überzeugen, während Frauen oft — bewusst oder unterbewusst — anhand anderer Kriterien bewertet und mit unrealistischen Erwartungen konfrontiert würden. Die Rede ist von Kommentaren über Aussehen, Kleidung und die Art und Weise, wie ein Projekt vorgestellt wird.

Eine Gründerin erzählt von einem “kaputten Startup-System”, das Kapitalgeber ansporne, immer wieder in die gleiche Art von Unternehmen zu investieren. Dadurch werde die heutige Startup-Welt von einer sehr homogenen Gruppe von Menschen geprägt.

Zweite Hürde: Klassische Rollenverteilung, verschärft durch Covid-19

In den Interviews sprechen die Gründerinnen davon, dass es für Frauen oft schwieriger sei, an Startup-Förderprogrammen teilzunehmen. Inkubatoren und Acceleratoren fänden meist vor Ort statt und stellten damit Leute mit familiären Verpflichtungen vor Probleme. 

Sind Frauen also nicht nur Unternehmerinnen, sondern auch noch Mütter oder Partnerinnen, stellen sich die bekannten Probleme der klassischen Rollenverteilung. Und es ist anzunehmen, dass sich diese Problematik durch Covid-19 verschärft: Eine Studie der Weltbank, OECD und Facebook zeigt, dass Unternehmerinnen ihre Arbeitszeit deutlich mehr reduzieren, als ihre männlichen Kollegen, um während der Pandemie die Kinderbetreuung und Altenpflege abzudecken. 

Die fortschreitende Digitalisierung könnte jedoch positive Effekte mit sich bringen. Viele Förderprogramme werden neu virtuell durchgeführt, was es erleichtern könnte, Familie und Geschäft unter einen Hut zu bringen.

Dritte Hürde: Zweifel an technischen Fähigkeiten

Aus den Interviews geht auch hervor, dass Frauen oft als weniger kompetent wahrgenommen würden, besonders im Technologie-Sektor. Gründerinnen mit technischer Ausbildung erzählen davon, dass Investoren immer sofort davon ausgingen, dass ihre männlichen Mitgründer die Tech-Leute seien. Nicht ernst genommen zu werden, sei einfach nur lästig und zwinge sie, sich immer neu beweisen zu müssen und härter zu arbeiten, als ihre männlichen Kollegen.

Einige Gründerinnen erwähnen noch einen anderen Aspekt: Dass Frauen im Vergleich zu Männern eher dazu tendierten, an ihren eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen zu zweifeln, und dass der tiefe Anteil von Frauen in der Startup-Szene auch in einem Mangel an Selbstvertrauen begründet sei. Oder anders betrachtet — dass Männer tendenziell zu viel auf sich hielten.

Eine andere Gründerin sieht es ähnlich: Leider gehe es zu oft darum, wie Frauen sich dem bestehenden System anpassen könnten, anstatt zu fragen, wie sich das System verändern könne. Aktuell belohnt werde in ihrer Erfahrung aggressiver Ehrgeiz, Alpha-Verhalten und Wachstum um jeden Preis. Gründer*innen, die dieses Spiel nicht mitspielten, hätten es sehr schwierig.

Fazit: Drei Wege zu einem inklusiveren Startup-System

Was sind also Wege zu einem faireren und weniger gleichförmigen Startup-System? Ich sehe hierfür drei Ansätze:

  1. Es braucht ein neues Mindset auf Seiten der Kapitalgeber. Der positive Trend von Impact Investing und Gender-Lens Investing ist sehr vielversprechend und sollte aus meiner Sicht aktiv vorangetrieben werden. Eine Frauenquote in Investmentteams sowie eine Quote auf Wagniskapital für Gründerinnen könnte ein wichtiger Hebel für Veränderung sein.
  2. Es braucht paritätische Elternzeitmodelle und mehr Kinderbetreuung, um Frauen zum Gründen zu bewegen. Die momentane Ausnahmesituation aufgrund von Covid-19 bietet die Möglichkeit zu grundlegenden Veränderungen.
  3. Es braucht mehr Plattformen für Gründerinnen. Netzwerke, Foren oder Startup-Förderprogramme, die speziell auf Unternehmerinnen fokussieren, helfen Frauen, sich auszutauschen, zu vernetzen und ihre Kompetenzen zu erweitern.

Frauen können zu Architektinnen für ein besseres Startup-System werden. Dabei geht es nicht ausschliesslich um Geschlechtergleichheit, sondern um Vielfalt von unternehmerischen Visionen.

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