Rebellenstädte an die Macht
Im Prozess der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Transformation sind Städte zugleich Bühne und Hauptakteure.
11. August 2015
Ein Beitrag von Julia Stricker
Die Welt wird urban. Zurzeit lebt rund die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, 2050 werden es gemäß Schätzungen der UN sogar zwei Drittel sein. Wie Städte gebaut sind und wie das Zusammenleben in ihnen organisiert ist, hat nicht nur einen großen Einfluss auf den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen, sondern auch auf unsere Gesundheit. Dem Transportsektor kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.
Der Transportsektor ist eine der Hauptquellen städtischer CO2- Emissionen und hat zugleich einen großen Einfluss auf unsere Gesundheit: Unfälle, Erkrankungen bedingt durch Lärm- und Luftverschmutzung und die gesundheitlichen Folgen eines bewegungsarmen Lebensstils sind die wichtigsten Gründe dafür. Städtische Luftverschmutzung ist gemäß der WHO pro Jahr für rund 1,3 Millionen frühzeitige Todesfälle verantwortlich. Sie erhöht das Risiko für Herzkreislauf- und Atemwegserkrankungen, aber auch für Krebs und Schwangerschaftskomplikationen. Verkehrslärm kann einen negativen Effekt auf die psychische Gesundheit haben. Bewegungsmangel ist einer der Hauptrisikofaktoren für Herzkreislauferkrankungen, Diabetes Typ II und gewisse Tumorerkrankungen – und führt insgesamt zu über drei Millionen frühzeitigen Todesfällen pro Jahr.
Städte wurden in den vergangenen 60 Jahren „um das Auto herum“ geplant und gebaut. Es entstanden räumlich getrennte Wohn-, Arbeits- und Dienstleistungsbezirke. In den neuen Wohnquartieren nahm die Bevölkerungsdichte ab, Einfamilienhausvorstädte prägten zunehmend das Bild. Das Auto war nicht nur Ausgangspunkt dieser Entwicklung, es wurde auch unabdingbar für das Erreichen von Arbeit, Ausbildung, Einkaufsmöglichkeiten oder Vergnügen – kurz: für die Teilhabe am öffentlichen Leben. In bevölkerungsarmen Stadtteilen einen öffentlichen Nahverkehr zu unterhalten, ist teuer, weil die kritische Masse an Passagieren fehlt.
Die Bevölkerungsdichte bestimmt die Höhe des transportassoziierten Energieverbrauchs in Städten maßgeblich. Dieser ist in ausgedehnten, sogenannten „Sprawling Cities“, wie Denver oder Los Angeles, um ein Vielfaches höher als in dichteren europäischen oder asiatischen Städten. Der Flächennutzungsplan und die Bevölkerungsdichte einer Stadt haben deshalb einen großen Einfluss auf die Transportmuster und den Energieverbrauch der Städter – und auf deren Gesundheit.
Es gibt diverse Ansätze, den Energieverbrauch des Transportsektors in Städten zu senken: Energieeffizientere Fahrzeuge und Treibstoffe setzen beim Verbrauch an; das Erheben von Mautgebühren oder die Reduktion von Parkplätzen begrenzen die individuelle Mobilität und stärken die Nachfrage nach öffentlichem Nahverkehr. Mit Blick auf mögliche Gesundheitsvorteile beurteilt die WHO in einem kürzlich erschienen Bericht diejenigen Maßnahmen als am effektivsten, die einen „aktiven Transport“, wie Fahrradfahren oder Laufen, fördern und gleichzeitig die umweltbedingten gesundheitlichen Risikofaktoren – insbesondere Luftverschmutzung und Lärm – reduzieren.
Wie lässt sich „aktiver Transport“ fördern und die „Automotorisierung“ unserer Städte reduzieren? Laut WHO-Bericht brauchen wir Städte mit kurzen Wegen. Durch die Verdichtung bestehender Stadtteile und eine gemischte Flächennutzung sollte Arbeit, Einkaufen, Ausbildung und Vergnügen zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar werden. Dafür sollten wir in den Ausbau einer sicheren Verkehrsinfrastruktur für Fußgänger und Fahrradfahrer und den öffentlichen Nahverkehr investieren.
Kopenhagen will bis 2025 CO2-neutral sein. Ein wichtiger Schritt zum Erreichen dieses Ziels ist die Förderung des Fahrradverkehrs. Bereits heute werden 36 Prozent aller Wege zur Arbeit oder Ausbildung mit dem Fahrrad zurückgelegt. Die Stadt investiert in die kontinuierliche Verbesserung ihrer Fahrradinfrastruktur. Investitionen, die sich lohnen: Verglichen mit Infrastrukturen für das Auto sind Fahrradwege günstig. Dies zeigt sich ganz besonders, wenn die sozialen und gesundheitlichen Effekte in die Betrachtung miteinfließen. 2009 schätzte Kopenhagen die jährlichen Gesundheitsvorteile des Fahrradfahrens auf 228 Millionen Euro. Fahrradförderung ist für Kopenhagen ein so genanntes „intersektoriales politisches Werkzeug“, mit dem die Stadt mehrere Ziele auf einmal verfolgt: eine höhere Energieeffizienz, die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung und eine gute städtische Lebensqualität.
Während Kopenhagens Fahrradförderung international viel Aufmerksamkeit genießt, muss man sich bewusst sein, dass sie auf einer langfristigen Landnutzung und Transportstrategie aufbaut und zugleich ein Teil davon ist. Kopenhagen fördert seit Jahrzehnten ein kompaktes städtisches Wachstum, das Hand in Hand mit dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs geht. So ist eine städtische Grundsubstanz entstanden, die in den vergangenen Jahren fahrradtauglich gemacht werden konnte.
Städtische Infrastrukturen sind langlebig; sind sie falsch geplant, ziehen sie auf lange Zeit einen hohen Energieverbrauch nach sich. Deshalb haben „Sprawling Cities“ weniger Möglichkeiten, einen klima- und gesundheitsfreundlichen Transport zu fördern. Zurzeit wachsen viele Städte – und sie wachsen schnell. Wir müssen daher die Weichen so stellen, dass der Mensch die urbane Hauptrolle spielen kann – und nicht das Auto.
Und es lohnt sich dreifach: Gute Stadtplanung hilft nicht nur, CO2-Emissionen zu reduzieren, sondern auch die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern und das Leben in der Stadt insgesamt attraktiver zu gestalten.