Swiss International Air Lines: „Kein Grund für Flugscham“
Lufthansa-Manager und nefiat Tamur Goudarzi Pour erklärt, wie er die Zukunft der Luftfahrt sieht — und welche Rolle eine neue Technologie der ETH Zürich dabei spielen soll.
29. Juni 2020
Ein Beitrag von Lukas Krienbühl
29.06.2020 — Bern, Schweiz
Der Flugverkehr ist seit Ende März zusammengebrochen. Zwischen April und Juni 2020 starteten weltweit rund 60 Prozent weniger Flugzeuge als im selben Zeitraum 2019. Während der Tourismus stark leidet, hat sich die Arbeitswelt trotz Wirtschaftskrise vielerorts an die neuen Umstände gewöhnt und setzt auf digitale Lösungen. Die engagierte Klimaverhandlerin und Mercator-Alumna Gabriela Blatter erklärt ihre Vision für die Zukunft der Luftfahrt in der internationalen Arbeit.
Gabriela Blatter: Die Teilnahme an allen Verhandlungen hat sich meiner Meinung nach gelohnt, da wir an jeder Konferenz die globale Klimapolitik etwas weitergebracht haben. Dies wird zu wesentlich mehr Emissionseinsparungen führen, als wir mit unserem Flug zur Konferenz generiert haben. Am besten schneiden in dieser Rechnung natürlich bisher die Flüge an die Klimakonferenzen in Paris und in Katowice ab, weil wir dort sehr wesentliche Beschlüsse gefällt haben.
Von den durchschnittlich 15‘000 bis 25’000 Teilnehmenden sind jeweils nur ca. 1’500 bis 2’500 Personen wirkliche Verhandlerinnen und Verhandler. Diese handeln den konkreten politischen Kompromiss vor Ort aus. Das heißt, die Flüge von etwa 90 Prozent der Teilnehmenden könnten eingespart werden, ohne dass die Resultate der Verhandlungskonferenzen darunter leiden würden.
Blatter: Ich denke, dass ein Großteil der Treffen und Sitzungen durchaus digital stattfinden können. Der Lockdown während der Pandemie hat dies sehr eindrücklich gezeigt. Es werden aber weiterhin Flüge notwendig sein, um direkte Gespräche und Treffen zu ermöglichen.
Insbesondere um schwierige politische Kompromisse zu erarbeiten, ist ein starkes Vertrauen unter den Verhandlerinnen und Verhandlern notwendig. Dieses kann nur durch Treffen von Angesicht zu Angesicht entstehen. Zudem bedingt die Lösungsfindung für schwierige politische Probleme manchmal Rahmenbedingungen, welche nur bei Treffen in persona möglich sind.
Blatter: Ja. Eine Fliegerei, die klare Klimavorgaben hat, idealerweise langfristig durch erneuerbare Treibstoffe betrieben wird und nur für wichtige Reisen genutzt wird, ist mit den Klimazielen vereinbar.
Aber wir müssen durch finanzielle Anreize die Anzahl Flüge stark reduzieren. Zudem müssen wir mehr Geld und Zeit in die Entwicklung von Lösungen für die CO2-Abscheidung und -Speicherung investieren, wenn wir langfristig die Klimaziele und den Flugverkehr unter einen Hut bringen wollen.
Blatter: Ich finde es volkswirtschaftlich gerechtfertigt, die Fluggesellschaften in dieser außerordentlichen Lage zu unterstützen, um Arbeitsplätze kurzfristig zu erhalten. Jedoch nur unter der Voraussetzung, dass gleichzeitig auch wichtige Umweltschutzvorgaben für diese Industrie erlassen und an die staatlichen Rettungspakete geknüpft werden. So erhalten wir die Arbeitsplätze und beschleunigen die ökologische Weiterentwicklung eines der klimaschädlichsten Sektoren.
Blatter: Ja, denn es ist meiner Meinung nach undenkbar in unserer stark globalisierten Welt den Flugverkehr für Güter und Menschen vollständig zu verbieten. Die Luftfahrt muss aber viel mehr in die Entwicklung erneuerbarer Treibstoffe, effizienterer Flugzeuge und in weitere Innovationen investieren, um zukunftsfähig zu werden und kompetitiv zu bleiben.
Blatter: Ja, auf jeden Fall! Nichts zu tun und auf andere zu zeigen, bringt überhaupt nichts und wird uns nie zum Ziel führen. Es braucht die Anstrengungen und den Einsatz von jedem und jeder einzelnen, damit wir die Klimaziele erreichen.
Wenn drei Personen pro Jahr nicht von Zürich nach New York fliegen, haben wir bereits sämtliche jährliche CO2-Emissionen einer Person in der Schweiz eingespart. Das illustriert den unglaublich großen Einfluss, den jede und jeder von uns auf das Klima hat.
Blatter: Da viele Konferenzen abgesagt wurden, werde ich all diese Flüge nicht tätigen. Ohne die Corona-Krise hätte ich bis heute vermutlich schon vier bis sechs berufliche Langstreckenflüge gehabt. Persönlich werde ich dieses Jahr auf alle privaten Flugreisen verzichten und primär Ferien in der Schweiz oder mit dem Zug machen.
Blatter: Ich wünsche mir eine Arbeitswelt, in der die Dienstreisen auf ein Minimum reduziert werden, so viele Prozesse und Treffen wie möglich digitalisiert sind und die Menschen zunehmend von ihrem Wohnort aus arbeiten können. Neben der Einsparung von Emissionen würde das auch für viele von uns zu einer wesentlichen Verbesserung unserer Work-Life-Balance führen, da wir unsere Wochenenden nicht mehr im Flugzeug und am Flughafen, sondern zu Hause bei unseren Freunden und Familien verbringen würden.
Hier diskutieren Fachleute ihre Erfahrung aus der Praxis. Alle drei Monate erscheint ein thematischer Blog zu einer drängenden Frage der internationalen Arbeit.