9. Januar 2021

Mehr Mut!

09.01.2021 — Los Angeles, USA

Berenike Schott engagiert sich als Vorstandsmitglied von nefia spezifisch für Fragen der Diversität und Inklusion. In der ad hoc stellt sie die Ergebnisse einer Umfrage im Netzwerk zum Thema Diskriminierung vor und erklärt, wo sie Handlungsbedarf sieht.

Viele von uns kennen Geschichten, die von Diskriminierung und Machtmissbrauch handeln, ob aus der eigenen Erfahrung, dem Miterleben, oder aus Erzählungen von Kolleg:innen. Um uns ein besseres Bild der Lage im Netzwerk zu verschaffen, befragten wir im Herbst 2020 die Ehemaligen des Bosch Stiftungskollegs und des Mercator Kollegs zu Rassismus, Sexismus und anderen Diskriminierungsformen in ihren Arbeitsfeldern. Der Vorschlag kam von einem nefia- Mitglied; Ziel war es, konkrete Ideen zu sammeln, um das Thema als Netzwerk aktiv zu bearbeiten.

Die Umfrage war keine statistische Erhebung und die Ergebnisse sind nicht repräsentativ für das gesamte Netzwerk. Dennoch zeichnen sie ein wichtiges Erfahrungsbild zumindest derer, die an der Umfrage teilgenommen haben. Die Ergebnisse suggerieren, dass es sich bei den Diskriminierungsgeschichten nicht nur um Einzelfälle handelt, sondern wir es mit einem systemischen Problem zu tun haben. Sie zeigen auch, dass das Netzwerk voller guter Ideen und Energie ist. Vielen Dank an alle, die an der Umfrage teilgenommen haben!

Dieser Beitrag fasst die Kernergebnisse der Umfrage zusammen. Ich hebe außerdem zwei Themen hervor, die sich gerade auch in den Freitextantworten deutlich gezeigt haben: zum einen die Allgegenwärtigkeit von Sexismus, zum anderen eine gewisse Unschlüssigkeit beim Thema Rassismus. Im letzten Teil richte ich den Blick nach vorne und biete einen Überblick über Ideen und Vorschläge, welche die Befragten als besonders wichtig einstufen, um die Lage zu verbessern.

Kernergebnisse

Diskriminierungserfahrungen sind unter den Befragten weit verbreitet: 

  • 75 Prozent der Befragten haben im Arbeitsumfeld Sexismus selbst erlebt und 80 Prozent haben Sexismus beobachtet.
  • 24 Prozent der Befragten haben im Arbeitsumfeld Rassismus selbst erlebt und 58 Prozent haben Rassismus beobachtet.
  • Andere Diskriminierungsformen erlebten oder beobachteten nefiat:innen im Arbeitsumfeld besonders häufig aufgrund von Alter, sozioökonomischem Hintergrund, oder der familiären Situation.
  • Mehrere Befragte berichten außerdem von Diskriminierungserfahrungen aufgrund von sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, Behinderungen oder psychischer Erkrankung.
  • Außerdem deuten die Ergebnisse an, dass sich verschiedene Formen von Diskriminierung oft gegenseitig verstärken. So berichten Befragte etwa von besonderer Diskriminierung von Schwarzen Frauen, jungen Frauen, “lokalen” Mitarbeiterinnen, oder Personen mit Migrationshintergrund aus Arbeiterfamilien. 

Oft sind diese Erfahrungen keine Einzelfälle: 

  • Fast zwei Drittel der Befragten beobachten in ihrem Arbeitsumfeld regelmäßig Sexismus. Rund ein Drittel der Befragten berichtet dasselbe von Rassismus und anderen Diskriminierungsformen.
  • Die Zahlen für regelmäßig selbst erlebte Diskriminierung sind wie folgt: 26 Prozent der Befragten für Sexismus; 9 Prozent für Rassismus; 18 Prozent für andere Diskriminierungsformen.
  • Deutlich weniger als die Hälfte (37 Prozent) der Befragten geben an, in ihrem Arbeitsumfeld nicht regelmäßig Diskriminierung zu erleben oder zu beobachten.

Die Lage in der internationalen Zusammenarbeit schätzt eine Mehrheit als kritisch ein: 

  • 72 Prozent der Befragten sehen Sexismus als systemisches Problem in der IZ. 66 Prozent glauben dasselbe von Rassismus. Jeweils 10 Prozent tun dies nicht und die restlichen Befragten sind sich nicht sicher.
  • 34 Prozent der Befragten erklären, dass es mehr Anlaufstellen für Fälle von Diskriminierung braucht; weitere 50 Prozent sind sich nicht sicher. Einige Stimmen weisen darauf hin, dass eine solche Stelle eine Form von Rechtsprechungsmandat bräuchte und eine Atmosphäre geschaffen werden müsse, in der von solchen Anlaufstellen Gebrauch gemacht würde. Ebenfalls erwähnt wird ein Nachholbedarf bei institutionalisierten Trainings zum Thema.

Sexismus scheint allgegenwärtig 

Druckt man die Umfrageergebnisse aus, füllen die Berichte zu Sexismuserfahrungen sieben ganze DIN-A4 Seiten. 31 Personen berichteten von ihren konkreten Erfahrungen. Die Beispiele reichen von kategorischen Gehaltsunterschieden bis hin zu sexuellen Übergriffen durch Vorgesetzte: 

  • Viele Befragte berichteten von sexualisierten Kommentaren zu Aussehen, Kleidung und Körper, und anderen Formen sexueller Belästigung.
  • Ein weiteres Thema, das vielfach erwähnt wird, ist die Unterschätzung fachlicher Qualifikationen. Als Folge berichten Befragte davon, bei Beförderungen übergangen zu werden, weniger zu verdienen als andere auf gleicher Stufe, und in Meetings oder im Team abwertend behandelt zu werden.
  • Außerdem berichten Befragte von sexuellen Übergriffen, Repressalien, abwertenden Sprüchen und “Witzen” aufgrund von sexueller Orientierung, sowie von Diskriminierung aufgrund von Familienstand und Kindern.  

Rassismus als Grundrauschen? 

Bei der Frage, ob sich Befragte in ihrem Arbeitsumfeld rassistisch verhalten, antwortet etwa die Hälfte mit Nein, 10% mit Ja, und 40% mit “ich bin mir nicht sicher”. Anders als beim Sexismus scheint es vielen von uns schwerer zu fallen, Rassismus zu erkennen und zu benennen. Je ein Viertel der Befragten sind sich nicht sicher, ob sie in ihrem Arbeitsumfeld Rassismus beobachtet haben und ob rassistische Diskriminierung ein systemisches Problem der IZ ist. Verhält es sich dabei wie in der Geschichte von David Foster Wallace, in der ein Fisch sich fragt, was zum Teufel Wasser ist?

In den Freitextantworten stechen zwei Themen hervor: 

  1. Befragte erwähnen, dass die Arbeit in der IZ insgesamt stark durch die Machtdynamik zwischen Nord und Süd geprägt ist. Als Europäer:innen sehen sie sich in einer Position, in der sie von diesem Machtgefälle profitieren und in ihrer Arbeit davon beeinflusst werden — ob sie es wollen oder nicht.
  2. Unbewusste Vorurteile und die Sozialisierung in rassistischen Denkmustern werden ebenfalls mehrmals erwähnt. 

Der hohe Anteil an Befragten, die sich bei Fragen zu Rassismus unsicher sind, weist auf eine gewisse Schwierigkeit hin, konkrete Instanzen von Rassismus zu erkennen und benennen. Spannend ist vor diesem Hintergrund auch, dass 24 Prozent der befragten nefiat:innen angeben, selbst schon einmal Rassismus erlebt zu haben, während sich gleichzeitig weniger als zehn Prozent als Person of Color identifizieren.

Hier bestehen Anknüpfungsmöglichkeiten für Austausch und Weiterbildung — beispielsweise indem wir damit beginnen, nefiat:innen of Color zuzuhören, die Rassismuserfahrungen machen mussten. Befragte aus dieser Gruppe berichten unter anderem davon, nicht ernst genommen zu werden, Fähigkeiten abgesprochen zu bekommen, für das Reinigungspersonal gehalten zu werden, immer der/die Einzige zu sein und damit schnell zum Token zu werden, und regelmäßig mit Stereotypen und rassistischer Sprache konfrontiert zu sein.

Was können wir tun?

Viele von uns werden die Umfrageergebnissen leider nicht überraschen. Die nächste Frage ist, was es für Veränderung bedarf und wie wir aktiv zu mehr Diversität und Inklusion beitragen können. In der Umfrage gab es die Möglichkeit dazu, Kritik zu äußern, Ideen zu teilen und Vorschläge zu machen. In diesem Abschnitt überlasse ich den Befragten das Wort und gebe einen Überblick über die Antworten zu diesen Fragen, ohne sie zu kommentieren. 

Was bedeutet Diversität & Inklusion?

Chancengleichheit. Konstruktive Konflikte. Selbstbestimmung. Respekt. Fairness. Unterschiede wahrnehmen und benennen. Immer wieder fragen, wer die Möglichkeit hat mitzumachen und wer ausgeschlossen wird. Die Gesellschaft in ihrer Vielfalt abbilden. 

Was braucht es für Veränderung?

Bewusstsein. Rollenmodelle und Vorbilder. Leadership. Diversität in Leitungspositionen. Ansprechpersonen und -stellen mit konsequenter Prüfung und Konsequenzen. Quoten – nicht nur für Frauen. Schulungen, Trainings, Vorbereitung, Aufklärung. Allies und active bystanders. Anerkennung. Zuhören. Safe Spaces. Austausch. Mut.

Wo kam die Umfrage zu kurz?

Beim Thema Genderidentität und Transfeindlichkeit. Beim Beleuchten der strukturellen Aspekte von Diskriminierung. Beim Klarstellen, dass die Diskriminierungsformen in strukturelle und ungleiche Machtsysteme eingebettet sind und daher vermeintlich umgekehrte Formen von Diskriminierung sich kategorisch von diesen unterscheiden. 

Der Blick nach vorne

Als ich mit Anfang Zwanzig meine ersten Erfahrungen in der internationalen Zusammenarbeit (IZ) sammelte und mir das quasi-koloniale Verhältnis zwischen vielen weißen “Expats” und nicht-weißen “Locals” aufstieß, sagte mir ein Kollege, es sei zwar bedauerlich, aber so sei das eben einfach in der IZ. 

Wir glauben als nefia fest, dass es nicht so bleiben muss und werden deshalb verstärkt als Netzwerk an dem Thema arbeiten. Wir müssen den Blick auch nach innen richten und daran arbeiten, aktiv zu Prävention, Aufklärung und Begleitung beizutragen. Hier werden wir in den nächsten zwei Jahren als Vorstand einen Schwerpunkt setzen und das Thema systematisch angehen. Wir freuen uns auf den Austausch und die Zusammenarbeit mit dem gesamten Netzwerk.

Wie jemand auf die Frage antwortete, was es braucht, um Diskriminierung aktiv entgegen zu wirken und Diversität und Inklusion zu stärken: Mehr Mut!

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