Kosmopolitisches Kleinstadtleben und Casanovas Badewanne
Nicht Kigali, Bischkek oder Porte-au-Prince sondern Genf! Seit vier Wochen lebe und arbeite ich nun in in dem Schweizer Städtchen (…)
17. November 2011
Ein Beitrag von Mariko Higuchi
Dass diese Stadt viel zu bieten hat, ist wahrscheinlich nichts Neues. Im Strudel von Kunst, Kultur, Mode (ja, auch das!), Arbeit und kulinarischen Vergnüglichkeiten scheint auch die Zeit in dieser Stadt eine andere Substanz zu haben. Sie scheint mir fragil und flüchtig, zugleich wie die abgekochte Essenz meines Berliner Lebens, jeder Tag voll neuer Eindrücke, dicht gestapelt und von allen Seiten auf mich einströmend.
Das New Yorker Leben bewegt sich immer im Extrem, die Kontraste könnten nicht größer sein. So laufen mir auf dem Weg zur Arbeit gelangweilte Menschen mit teuren Taschen, Sonnenbrillen und einem winzigkleinen Hund, eilende Businessfrauen und -männer mit Coffee-to-go und Handy am Ohr entgegen, zugleich harren Menschen in Zelten (mit experimentierfreudiger Musik) für “Occupy Wallstreet” aus, und auch bei strömendem Regen sitzen Obdachlose auf dem Bürgersteig und Haufen von Müllsäcken versperren den Weg.
In Midtown Manhattan. Ohrenbetäubender Lärm, immer wieder Polizeisirenen, rasende Yellow Cabs und Hast. Den komplementären Raum dazu bietet Brighton Beach – um diese Jahreszeit wie leergefegt, das Rauschen der Wellen und Sandstrand. In Manhattan ist leicht zu vergessen, dass der Ozean so nah ist. Dass es frische Luft gibt. Auch das Wetter (ich schließe mich selbstverständlich den obligatorischen Wetterberichten an!) spielt das abwechslungsreiche Spiel mit: Regen, Sonne und Schneegestöber wechseln sich gern im 24-Stunden-Takt ab.
Der Stadt kann ich mich nicht verschließen, das Tempo ist so mitreissend, die Möglichkeiten schier unendlich. Rennend möchte ich diese Stadt erobern. Mein Büro bei UN Women befindet sich auf dem 18. Stock gegenüber des Chryslerbuildings, unweit der Central Station, und ich freue mich jeden Tag darüber, am Puls Manhattans aus der Ubahn zu steigen und mich von Menschenmassen zur Arbeit tragen zu lassen.
Das Arbeitsleben und die Freizeit lassen sich vielleicht auch (zumindest aus dem Zwang der Struktur dieses Blogeintrags heraus) in zwei Extreme teilen: Es gibt den geregelten Raum und den (fast) regelfreien Raum. Mit der Devise “Regeln braucht der Mensch!” werden alle Schritte des öffentlichen Lebens geregelt. Sollte gerade kein Schild sichtbar sein, das Anweisungen zu erwünschten Verhaltensformen gibt, so erschallt im nächsten Moment eine laute Stimme, die einem mitteilt, was zu tun und was zu lassen ist. Meist geht es darum, bestimmte Markierungen nicht zu überschreiten oder sie unbedingt zu beachten. Da Trinken auf dem Bürgersteig nicht erlaubt ist, muss der/ die geneigte RaucherIn das Getränk schön drin stehen lassen, um draußen rauchen zu gehen. Der regellose Ort hingegen ist Kunst, Musik, das Leben der Nacht. Alles scheint erlaubt. Aus so mancher Wohnung schallt nachts Musik. Die besten Parties sind eben die, von denen keiner vorher wusste. Auf kleinen Bühnen wird gesungen, getrommelt, geklampft und gelacht.
Den größten Teil des Tages verbringt der/ die DurchschnittsbürgerIn Manhattans jedoch auf der Arbeit. So auch ich. Durch lange Flure von einem Meeting ins nächste, zwischendrin unzählige Aufgaben bewältigend, verfliegt hier die Zeit besonders schnell. Kaum beginnt der Arbeitstag, naht auch schon das Ende und nur Weniges ist geschafft, das Eintauchen in neue Themen ist immer wieder Herausforderung und Spaß zugleich. Meine Arbeitgeberin, UN Women, oder zu Deutsch: UN Frauen (ja wirklich!), das neue sich formierende und noch nicht vollständig selbst organisierende Organ der UN ist ein Biotop. Ein Biotop aus Themen, Wissen und starken Persönlichkeiten. Eine Hausband namens UNIMEN gibt es auch. Das UN Women Basketballteam – dem ich als passives Mitglied angehöre (sprich: zuschauen und danach gemeinsam ausgehen) – besteht übrigens aus Frauen und Männern, ist das nun gender-neutral oder gender-sensitive?
New York ist für mich eine Stadt voller Geschichten, die gehört werden wollen. Diese Geschichten schaffen Gemeinsamkeit in einer Stadt voller Unterschiede. Im chinesischen Dumpling-Restaurant meines Vertrauens arbeitet ein amerikanisch aussehender Kassierer, der perfekt Chinesisch mit seinen Mitarbeitern spricht. Und Englisch wiederum mit starkem chinesischen Akzent. Vielleicht frage ich einfach mal nach. Wenn ich Zeit habe.