9. März 2016

Perspektivwechsel Mexico: Trump überschattet auch den Brexit

In Mexiko werden die Geschehnisse auf dem europäischen Kontinent mit Sorge verfolgt. Die größte Sorge gilt aber dem großen Nachbarn im Norden.

Viele mexikanische KommentatorInnen nehmen die Verände- rungen in der Eurozone zum Anlass, um die eigenen Probleme zu diskutieren. Die Sozialwissenschaftlerin Iliana Rodríguez Santibáñez etwa versucht, aus der Lage Griechenlands Lehren für Mexiko abzuleiten. Sie ruft dazu auf, die strukturellen Prob- leme der mexikanischen Wirtschaft und die Abhängigkeit von internationalen Geldgebern kritisch zu hinterfragen. Die meisten Gespräche drehen sich aber um die unmittelbaren wirtschaftli- chen Auswirkungen der europäischen Krisen auf Mexiko. Viele MexikanerInnen befürchten, dass eine schwache Wirtschaftsleistung in der Eurozone mittelfristig das mexikanische Wirtschaftswachstum hemmen wird.

Donald Trump pinata in San Diego. Bild: (iStock) shakzu.

In den vergangenen Monaten rückte der Brexit alle anderen europäischen Themen in den mexikanischen Medien in den Hinter- grund. Stimmen aus der Wirtschaft waren sich einig, dass der Brexit zu mehr Volatilität an den Märkten führen würde. Für die mexikanische Währung, den Peso, waren die unmittelbaren Aus- wirkungen des britischen Referendums verheerend: Der Peso sank im Vergleich zum US-Dollar auf den niedrigsten Stand seiner Geschichte. Auch mexikanische Firmen, die in Großbritannien aktiv sind, mussten Einbußen an der Börse hinnehmen. Finanz- minister Luis Videgaray stutzte den öffentlichen Haushalt für das laufende Jahr – um besser für anstehende Umwälzungen an den Finanzmärkten gewappnet zu sein.
Das alles bereitet der mexikanischen Elite Sorgen. Die Mehrzahl der EntscheidungsträgerInnen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft befürworten wirtschaftliche Globalisierung und internationale Kooperation. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind wichtige Handelspartner und politische Verbündete. Spaltung und Chaos in Europa können daher nur negative Folgen für Mexiko haben, so ist sich das „Establishment“ einig.
Stimmen aus dem linken Milieu sehen das anders. Sie sehen in der EU ein neoliberales Regime, das sowohl direkt als auch indi- rekt soziale Rechte beschneidet. Alejandro Nadal etwa, der für die linksgerichtete Zeitung La Jornada schreibt, nennt den Ver- trag von Lissabon in einem Atemzug mit NAFTA, dem 1994 in Kraft getretenen nordamerikanischen Freihandelsabkommen zwischen Mexiko, den USA und Kanada. Für ihn zementieren beide Instrumente rigide neoliberale Logiken. Besonders die marxistisch inspirierte Linke in Mexiko sieht den Brexit daher nicht nur als Unsicherheitsmoment für globale Finanzströme, sondern auch als den potentiellen Beginn eines radikalen Wandels. Dieser Wandel, so die Hoffnung, könnte sich von Groß- britannien auf ganz Europa ausweiten.

Für Mexiko hat Europa – allen voran die ehemalige Kolonial- macht Spanien – in den vergangenen Jahrzehnten entschieden an Relevanz eingebüßt. Wenngleich das Weltbild vieler Mexi- kanerInnen nach wie vor ein eurozentrisches ist, so ist Europa nicht mehr der entscheidende Referenzpunkt. Dominante wirt- schaftliche, politische und kulturelle Impulse kommen schon lange vor allem aus den USA. Die mexikanischen Medien weisen wiederdaraufhin,dassesinersterLiniediebenachteiligenTeile der britischen Bevölkerung waren, die für den Brexit gestimmt haben. Für sie ergeben sich dadurch unweigerlich Parallelen zu den AnhängerInnen von Anti-Establishment-Figuren im US-ame- rikanischen Wahlkampf. Aus mexikanischer Perspektive verliert der Brexit jedoch merklich an Bedeutung, wenn man ihn mit dem anderen potentiellen politischen Erdbeben des Jahres vergleicht – etwa der möglichen Wahl Donald Trumps zum US- amerikanischen Präsidenten.
Es ist nicht nur die von Trump in Aussicht gestellte Grenzmauer, die die Gemüter erhitzt. Millionen von Menschen mexi- kanischer Abstammung leben in den USA mit oder ohne Auf- enthaltserlaubnis; mit ungewisser Perspektive. Die mexikanische Mittelschicht bangt um ihren Zugang zu den Einkaufszentren und Vergnügungsparks des dominanten Nachbars im Norden. Zudem fragen sich viele, was – sollte Trump wirklich US-Präsi- dent werden – aus den Produktionsstätten der US-amerikani- schen Industrie werden soll, die seit dem Abschluss des NAFTA nach Mexiko verlagert wurden. Sie bilden mittlerweile eine wichtige Säule der mexikanischen Wirtschaft. Vor dem Hinter- grund einer möglichen Präsidentschaft Trumps verblassen Geschehnisse auf dem europäischen Kontinent zu Randphänomen. Alle freien Kapazitäten werden darauf verwandt, zu verstehen, was in den USA vor sich geht. Der Brexit ist dabei für viele lediglich der unheilvolle Vorbote weit dramatischerer Umbrüche.