2. Februar 2022

Punkrock gegen Gewalt an Frauen

02.02.2022 — Basel, Schweiz

Autoritarismus und Feminismus sind zwei Begriffe, die man nicht oft im selben Atemzug nennt. Es sind jedoch genau die Themen, denen sich Leandra Bias in ihrer Arbeit widmet und deren Schnittstelle sie erforscht. Im Gespräch erklärt sie, wie feministische Anliegen in diktatorisch geprägten Staaten ausgelebt und gefördert werden können.

Autoritarismus in Russland

Spätestens seit der dritten Wiederwahl Präsident Putins im Jahr 2012 könne man Russland als autoritäres Regime einordnen, so Bias. Sie beobachte einen Anstieg an Repression, der sich nicht nur gegen individuelle Oppositionspolitiker wie Alexei Nawalny, sondern auch gegen NGOs richte.

Trotz diesen düsteren Entwicklungen glaubt Bias weiterhin an einen politischen Wandel. Sie sieht mehrere Aspekte, die Russland in eine demokratische Richtung lenken könnten:

  1. Die russische Regierung sei fragil, da Wladimir Putin bereits ein gewisses Alter erreicht hat und die Elite über die Frage seiner Nachfolge und den zukünftigen Regierungsstil zerstritten sei.
  2. In Westeuropa ortet Bias ein neues Bewusstsein für Russlands Autoritarismus, welches sich in den letzten Jahren entwickelt habe. Bis vor Kurzem habe man in Europa immer noch auf eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland gehofft. Die Vergiftung Nawalnys sei diesbezüglich aber eine Zäsur gewesen. Seither sei die Haltung Westeuropas Russland gegenüber kritischer geworden.
  3. Der Generationenwechsel sei ein Hoffnungsträger für ein demokratischeres Russland. Obschon immer noch viele russische Jugendliche sehr nationalistisch ausgerichtet seien, gebe es immer mehr junge Menschen, die sich fragten, wie es sein könne, dass seit ihrer Geburt immer derselbe Präsident an der Macht sei.

Feminismus in St. Petersburg und Moskau

Während ihres Doktorats an der Universität Oxford forschte Bias drei Monate lang in Russland zu Feminismus. Hierfür interviewte sie Aktivistinnen, besuchte NGOs und Zentren für Geschlechterforschung. Im Zentrum stand die Frage, ob sich die Aktivistinnen mit einem westlichen oder einem russischen Feminismus identifizieren und ob ein Machtverhältnis zwischen den beiden besteht. Bias’ Erkenntnis: Die russischen Aktivistinnen definierten sich bewusst nicht über diese geografischen Begriffe. Feminismus in westlich und russisch zu unterteilen sei ihrer Arbeit abträglich, da dies nur der autoritären Regierung in die Hände spielen würde, die Gleichberechtigung als westliches und schädliches Konzept abtue.

Leandra Bias (r) mit Mitgliedern der Rosa Luxemburg Stiftung, der Band Naiv und der aktivistischen Gruppe “Punkrock Feminismus” in Moskau. Bild: Leandra Bias.

An einem Punkrock-Konzert in Moskau, das organisiert wurde, um Geld für ein Frauenhaus zu sammeln, stand Bias hinter einem Stand und verteilte gemeinsam mit lokalen Aktivistinnen Flyer, um auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen. Dabei erlebte sie, wie schwierig es war, an die Besucher*innen heranzukommen. Aufgrund Ihres Akzentes wurde Bias bald als westliche Agentin abgestempelt und von den Konzertgänger*innen misstrauisch behandelt. Männer hätten ihre Partnerinnen von dem Stand weggezogen. Als der Frontmann der Band während des Konzertes aber alle Besucher*innen aufforderte, nach dem Auftritt am Stand vorbeizuschauen, habe sich die Dynamik komplett geändert. Männer wie Frauen seien danach interessiert zum Stand gekommen hätten ihre Unterstützung bekundet.

Durch strategische Zusammenarbeit mit anderen Akteur*innen könnten Anfeindungen überwunden und ein gewisser Spielraum gefunden werden, um feministische Themen zu fördern, folgert Bias. Als Schweizerin sei ihr zudem bewusst geworden, in welch schwierigem Umfeld diese russischen Aktivistinnen unterwegs seien und mit welchen Problemen sie sich täglich konfrontiert sähen.

Zusammenarbeit auf Augenhöhe

Was bedeuten diese Erkenntnisse für die Arbeit eines Instituts wie swisspeace? In erster Linie dürfe man nicht in die Falle treten, Gleichstellung und feministische Anliegen als westliches Konzept zu betrachten, meint Bias. Vielmehr sollten die lokalen Aktivistinnen mit ihren eigenen Geschichten und Interpretationen von Feminismus ernst genommen werden. Alles andere helfe höchstens westlichen Organisationen und Aktivist*innen dabei, sich gut zu fühlen, und wirke sich vor Ort im schlimmsten Fall kontraproduktiv aus — so Bias‘ Schlussfolgerung. Nichtsdestotrotz gelte es, die Machtverhältnisse zwischen westlichem und lokalem Feminismus, die sehr wohl existierten, anzuerkennen, und sich selbst, die eigenen Motive und Anschauungen aber regelmässig zu reflektieren.

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