Auf Mission im Grenzgebiet zwischen dem Südsudan und dem Sudan
Es ist heiß. 42° Celsius. Ich stehe in der prallen, brennenden Sonne ganz im Norden des Südsudans. Mein Mund ist (…)
15. Juli 2014
Ein Beitrag von Natalie Harms
Halb vier Uhr morgens – der Wecker klingelt – gleich spielt Deutschland im WM Finale! Ins Trikot schlüpfen, mit schwarz-rot-gold Fankitsch behängen, Kriegsbemalung auf beide Wangen, schon klopft es an der Tür. Gemeinsam mit einer anderen Deutschen mit schwarzem top, rotem Rock und gelben Ballerinas fahre ich los. Es ist noch stockduster, die staubigen Straßen sind menschenleer, nur der zweite Stock des Ministeriums für Agrarwirtschaft und Waldnutzung ist hell erleuchtet – das Büro der GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH). Der Wachmann öffnet schnaubend das Tor und jubelt: „Alemaña!“
Im Konferenzraum wirft ein Beamer das Spiel auf eine Leinwand, alle Tische sind zur Seite geschoben und mehrere Stuhlreihen stehen in dem kleinen Raum, in den sich etwa 30 Zuschauer gequetscht haben. Der Mix aus im Ausland arbeitenden Deutschen, nationalen Angestellten der GIZ und Freunden verschiedener Nationalitäten schaut gebannt auf die nicht ganz störungsfreie Übertragung des Fußball WM Finales in Brasiliens – Anpfiff! Ich schaue mich um und sehe unzählige weiße Trikots – die meisten sind offensichtliche Fälschungen aus China – der Projektleiter hat sich mit Plastikblumengirlanden in schwarz-rot-gold drapiert, an der Rückwand hängt eine riesige deutsche Flagge, neben dem Eingang stehen Chips, Bier (das um diese Uhrzeit unangetastet bleibt) und Kaffee.
Ein Raunen geht durch die Menge… „Macht uns keine Schande Jungs!“ „Das war knapp!“ „Wir müssen viel schneller kontern!“ In diesem Moment sind alle plötzlich Fußballexperten und gehören alle einem Team an – der Nationalmannschaft.
Es ist ein eigenartiges Phänomen, wie ein internationaler sportlicher Wettbewerb Menschen begeistert und zusammenschweißt, selbst wenn sie nur alle vier Jahre ihre Leidenschaft für den Fußball entdecken. Wahrscheinlich geht es für die meisten gar nicht um den Sport an sich, sondern um das Gefühl, gemeinsam nach einem Ziel zu streben, gemeinsam für sein Land fiebern und Flagge zeigen zu dürfen, auf Deutschland und „unsere Jungs“ stolz sein zu können. Gerade im Ausland spürt man diesen Gemeinschaftsgeist… Man fühlt sich plötzlich als Teil eines Ganzen – alle mit dem einen Ziel vor Augen: den vierten Stern für Deutschland zu holen.
90 bange Minuten voller nervöser und hoffnungsgeladener Ausrufe vergehen, in der Verlängerung wippen alle angespannt auf ihren Stühlen vor und zurück, und endlich der erlösende Treffer kurz vor Schluss: „TOOOOOOOOOR!“ Alle springen von ihren Stühlen auf, jubeln und klatschen: „Unser Mario! Unser Mario!“ Die letzten fünf Minuten stehen alle gebannt mit angehaltenem Atem und Gänsehaut vor dem Bildschirm: „Jetzt pfeif doch endlich ab!“
Und dann endlich ist es vollbracht: 1-0 für Deutschland! Ein wildes Getöse bricht aus, alle fallen sich in die Arme und beglückwünschen sich. „Achso, ich bin übrigens Stefan“ sagt mein Nebenmann in weißem Trikot, der mich gerade umarmt hat. „Herzlichen Glückwunsch! Wir sind Weltmeister!“
Der Chef lässt Sektkorken knallen und wir stoßen an, erleichtert, glücklich, und müde… Mit viel Zeremoniell wird die Flagge abgenommen, nach draußen getragen und vom Balkon gehängt – heute dürfen wir nochmal stolz sein.
Langsam leert sich der Raum, die Sonne ist aufgegangen, es ist kurz vor acht Uhr morgens, einige verschwinden hinter ihren Bürotüren. Mit breitem Grinsen verlassen wir das Ministerium, inzwischen haben sich die Straßen mit Schulkindern gefüllt und eine Gruppe einheimischer Männer in Trikots verschiedener Nationen ruft uns zu: „Yeah! Good Germany! Winner!“
Ununterbrochen summt mein Handy, alle Nachrichten und Posts auf sozialen Netzwerken drehen sich nur um Fußball – eine Nation jubelt, überall auf der Welt. Und ich habe an diesem Morgen etwa ein dutzend neuer Freundschaften geschlossen, im gemeinsamen schwarz-rot-goldenem Freudentaumel, dem selbst unsere Kanzlerin verfallen ist.
Ein bisschen Expatriotismus darf schließlich auch mal sein.