Die kleinen Spiele der Macht
Was braucht es, damit mehr Frauen in ihren Organisationen in Führungspositionen aufsteigen? Ein Kernaspekt ist es, die “Mikropolitik” dieser Organisationen zu verstehen, sagt Forscherin Doris Cornils.
8. Februar 2021
Ein Beitrag von Sheena Anderson
08.02.2021 — Berlin, Deutschland
Erfahrungen von Macht, Ohnmacht und struktureller Diskriminierung in der internationalen Arbeit aus der Perspektive einer Schwarzen Frau.
Für viele ist die Entscheidung, in der internationalen Arbeit und Politik tätig zu werden nicht nur die Entscheidung für einen Job, eine berufliche Richtung, sondern geht mit der Überzeugung einher, etwas verändern, vieles verbessern, anders machen zu wollen. Die Jobs sind häufig nicht außerordentlich gut bezahlt, bringen häufige Wechsel des Wohnsitzes, lange Arbeitszeiten und viel Belastung mit sich. Nicht selten nehmen wir den Job entgegen aller Vorsätze doch mit nach Hause, die Themen beschäftigen uns auch in unserer Freizeit, halten uns wach. Die Themen, sie sind doch irgendwie Teil von uns.
Und so ist es auch mit meinem Schwarz-sein. Zu häufig wird davon ausgegangen, dass die Arbeit und das Commitment uns eint. Das ist sicherlich häufig auch so — es entsteht ein „wir“. Aber entgegen mancher Vorstellungen (meist) weißer Menschen kann ich mein Schwarz-Sein nicht draußen lassen, wenn ich arbeite. Es begleitet mich, es ist Teil von mir. Und es trägt dazu bei, dass ich Dinge anders erlebe, anders betroffen bin; dass Dinge passieren, die weißen Menschen nicht passieren. Nicht, weil ich eine Schwarze Frau bin, sondern weil wir in einer rassistischen Welt leben. Wir sollten, nein, wir müssen darüber sprechen.
Ich möchte den Schwerpunkt dieses Blogs dankend als Anstoß nehmen, einige persönliche Erlebnisse und Eindrücke zu teilen. Folglich eine Bestandsaufnahme zu Macht und Ohnmacht in der internationalen Arbeit und Politik aus der Perspektive einer Schwarzen Frau.
Und wieder ist es passiert. Überrascht bin ich nicht, es passiert ständig. Und doch ertappe ich mich dabei, dass ich gehofft hatte, “wir” wären schon weiter. Bzw. die anderen wären schon weiter. Würden nicht erstaunt (oder doch schockiert?) aufschauen, wenn ich als einzige Schwarze Person den Raum betrete. Mir Komplimente für mein Deutsch machen oder sich erfreuen, wie “bunt” die Gruppe ist. Fragen, ob ich aus religiösen Gründen Vegetarierin bin (nein, eher Tierschutz und so).
Ungefragt in meine Haare fassen. Lautstark in Folge bestätigen, was für ein toller und wichtiger Präsident Barack Obama doch war (lässt sich darüber streiten). Oder wenn in Seminaren meine Meldungen nie bemerkt werden oder genau dann leider keine Zeit mehr für den Einwand ist („das können wir ja in der Pause besprechen“). Mir bestätigen, wie wichtig mein Engagement gegen Rassismus ist und meine Motivation dafür, sie selbst könnten neben ihrer ganzen Arbeit einfach keine Energie dafür aufbringen (naja, ich mache das nicht, weil es mir Spaß macht).
Ein Gespräch starten mit “Glaubst du wirklich, es gibt noch Rassismus in Deutschland? Ich weiß nicht. Irgendwie sind Betroffene auch selbst schuld, wenn sie sich das so zu Herzen nehmen.” Oder, einer meiner Favoriten: mich nach “meinen Wurzeln” fragen. Last time I checked, I wasn’t a tree.
Diese Sätze mögen harsch klingen und doch bilden sie meine und die Realität vieler anderer Menschen ab. Menschen die nicht weiß sind, Menschen die nicht aus Deutschland kommen, Arbeiterkinder, Minderheiten: konstant damit konfrontiert zu sein, die einzige oder neue (im Sinne von „das gab es noch nicht“) Person im Raum zu sein. Blicke (a.k.a. White Gaze) auf sich zu ziehen. Sich fehl am Platz zu fühlen, sich ständig erklären und rechtfertigen müssen. Unangenehme und höchst persönliche Fragen zu beantworten.
Das passiert im Alltag, in der Familie, beim Bummeln, beim Studieren, beim Feiern und ja, auch bei der Arbeit in unserem Kontext: in der internationalen Arbeit.
Internationale Politik und die damit verbundene Arbeit ist ein von Whiteness geprägtes Feld. Wie Kelebogile Zvobgo und Meredith Loken deutlich machen, bauen die typischen Paradigmen internationaler Beziehungen auf rassistischen ideellen Grundlagen auf, die wiederum die Antwortmöglichkeiten des Feldes auf Fragen internationaler Sicherheit und Organisation begrenzen. Auch in Sachen Repräsentation ist es nicht besser.
Die USA gelten als größter Forschungsstandort für internationale Beziehungen, und doch, so Loken und Zvobgo, definieren sich nur 8 Prozent der Lehrenden im Land als Schwarz oder Latin American. Und das, obwohl die untersuchten Themen — Krieg, Migration, Folgen des Klimawandels, Menschenrechte und Entwicklung — disproportional Black, Indigenous und People of Color (BIPoC) betreffen.
Aber von Beginn weg: der Weg in die internationale Arbeit beginnt auch in Deutschland schon mit ungleichen Startbedingungen, trotz aller Versprechen von Chancengleichheit. BIPoC Kinder und Jugendliche haben mit Rassismus in der Schule zu kämpfen, von Mitschüler:innen, Lehrkräften, Eltern.
Immer wieder gibt es Stimmen von Eltern, die ihre Kinder nicht mit „Ausländern“ in eine Klasse schicken wollen. Dann gibt es Lehrkräfte, die rassistisch sind, ungerecht bewerten, Chancen verbauen und Situationen falsch einschätzen. Die Schule wird so auch zu einem Ort, an dem Macht missbraucht oder nicht verantwortungsvoll genutzt wird. Ungleiche Startbedingungen beginnen bereits in der schulischen Ausbildung
An der Universität sieht es ähnlich aus. Mag der Zugang zu einem Studium mittlerweile erleichtert sein, so sind die Hürden während des Studiums doch groß: Finanzierung, Wohnungssuche, Nebenjob, familiäre Unterstützung. Nicht alle können sich den neuesten Laptop leisten, sondern verzweifeln regelrecht, wenn dieser kurz vor der Abgabe der nächsten Hausarbeit den Geist aufgibt. Manche sind zu wiederholten Nachtschichten gezwungen, weil die zwei Nebenjobs das Lernen am Tag nicht erlauben.
Und wer es mit aller Anstrengung doch schafft, den Abschluss zu erreichen, erreicht den lang ersehnten Einstieg in die Arbeitswelt meist über unzählige Praktika. Wir alle wissen auch, was das zu häufig bedeutet: unbezahlte Arbeit, Überstunden, Konkurrenzkampf, immer auf der Suche, selten am Ankommen. An dieser Stelle wage ich die kontroverse Aussage, dass auch unbezahlte Praktika ein Privileg einiger weniger sind. Meine alleinerziehende Mutter kann es sich nicht leisten, mir ein unbezahltes Praktikum bei den Vereinten Nationen in New York zu ermöglichen.
Die Situationen, in denen ich Diskriminierung erlebt habe und erlebe, kann ich nicht beziffern. Die Situationen, in denen Macht über mich ausgeübt wurde, ich mag sie gar nicht zählen. Wenn ich mit weißen oder sehr privilegierten Menschen über diese Themen spreche, sind die Reaktionen sehr unterschiedlich. Sie reichen von aggressiv bis einsichtig, schuldbewusst bis abwehrend, verständnisvoll bis anklagend.
Ich möchte vor allem diesem Gefühl der Schuld kurz Aufmerksamkeit schenken. Es geht nicht um eine Schuldzuweisung. Wir alle wachsen in ungerechten und diskriminierenden Gesellschaften auf, ob wir wollen oder nicht. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen.
Dabei machen wir Fehler und das ist in Ordnung. Ich mache jeden Tag so viele Fehler. Indem ich meine Privilegien einfach hinnehme, indem ich Menschen diskriminiere, indem ich mich nicht in andere Lebensrealitäten hineinversetze. Ich erwarte von mir selbst und von allen anderen, dass wir trotz aller Widerstände nicht aufgeben und uns stets bemühen, miteinander und voneinander zu lernen. Grenzen akzeptieren. Uns unserer Macht und Privilegien bewusst werden.
Sich der eigenen Macht zu entziehen, ist keine Abgabe von Macht, sondern eine Abgabe von Verantwortung. Rassismus bedeutet nicht nur, dass BIPoC leiden, sondern auch, dass weiße Menschen profitieren.
Zuhören. Und damit meine ich nicht, zuhören und dann reden. Sondern einfach zuhören. Lernen, mal nicht die eigene Meinung dazuzusagen und alles zu kommentieren, sondern zu erkennen, dass es jetzt nicht meine Zeit ist, zu sprechen. Oder als benachteiligte Person genau das zu erkennen und mir diesen Raum auch zu nehmen.
Privilegien hinterfragen. Das ist unangenehm, das ist irgendwie auch schmerzhaft, aber es ist notwendig. Get over it and do the work!
Strukturen hinterfragen. Welche Strukturen bevorzugen und benachteiligen Menschen in meiner Organisation? Benutze ich Schwarze Menschen als Token? Sind die Anforderungen für alle gleich? Gibt es Mechanismen, um auf diskriminierende Geschehnisse zu reagieren? Praktiziert meine Organisation rassismuskritisches Verhalten und wer kann uns auf diesem Weg begleiten? Wie trage ich zum Erhalt ungerechter Strukturen bei?
Sensibel mit Nachrichten und Weltgeschehnissen umgehen. Vielleicht finde ich als weiße Person schlimm, dass George Floyd allem Anschein nach (das Gerichtsverfahren steht aus) durch die brutale Gewaltanwendung des weißen Polizisten Derek Chauvin getötet wurde. Gut so. Aber vielleicht ist es nicht die beste Idee, mich bei meiner Schwarzen Kollegin, die gerade ein Racial Trauma erlebt, darüber aufzuregen.
Lieber überlegen, wie ich meinen eigenen Rassismus hinterfragen kann. Rassistische Ereignisse machen etwas mit vielen BIPoC, auch wenn sie nicht direkt selbst Teil des Ereignisses sind. Sie können Racial Trauma auslösen, sie lähmen in unserer täglichen Arbeit, sie rufen schlimme eigene Erlebnisse ins Gedächtnis.
Diese Erlebnisse, sie machen uns ohnmächtig. Ein Racial Trauma kann Alpträume, den Anstieg von Stresshormonen, Appetitlosigkeit, Erschöpfung, erhöhten Puls, Muskelschwäche, Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaflosigkeit und übermäßiges Essen zur Folge haben.
Sprache ist Macht. Wissen ist Macht. Wir müssen beides endlich dekolonisieren und hinterfragen. Westliche und damit meist weiße Konzepte werden bevorzugt, da sie angeblich besser und universeller anwendbar sind. Aus einer Schwarzen Perspektive kann ich sagen, dass BIPoC häufig nur dann als Expertinnen herangezogen werden, wenn es um Rassismus geht.
Räume zum Austausch schaffen. BIPoC brauchen Safe Spaces, Orte, an denen wir einfach nur sein können. Dieser Austausch ist ermächtigend, er gibt vielen die Möglichkeit, Kraft zu tanken, gehört und gesehen zu werden und sich weniger allein zu fühlen.
Quoten. Allseits unbeliebt, aber vielleicht doch eine Überlegung wert. Ich wünschte, wir wären an einem Punkt, an dem wir keine Quoten bräuchten. Ein Blick auf die aktuelle Zusammensetzung des Bundestags zeichnet ein anderes Bild. Anstatt sich darüber aufzuregen, dass durch Quoten alles komplizierter wird, sollte doch lieber Wut darüber aufkommen, dass offensichtlich nicht alle die gleichen Chancen haben, in bestimmte Positionen zu gelangen. Quoten können ein Mittel sein, um mehr Gleichberechtigung und Repräsentation sicherzustellen.
Den eigenen Medienkonsum hinterfragen. Wessen Bücher lese ich? Welche Nachrichten verfolge ich? Wem höre ich zu und wann schalte ich weg? Wem folge ich auf Instagram, Twitter, Facebook? Sind das mehrheitlich weiße Menschen? Berichten diese über Themen, die nicht-weiße Menschen betreffen? Vielleicht lohnt es sich, die Perspektive zu wechseln, sich aus der eigenen Komfortzone heraus zu bewegen, neue Themen und Autor:innen zu entdecken und sich überraschen zu lassen.
Zum Abschluss möchte ich noch auf die vielleicht wichtigste Frage eingehen: Wieso schreibe ich diesen Text? Ich möchte weder, dass sich weiße Menschen schuldig fühlen, noch Mitleid erzeugen. Mir geht es auch nicht darum, Dampf abzulassen. Ich schreibe diesen Text, weil die oben beschriebenen Dinge passieren, und zwar ob wir darüber sprechen oder nicht. Wir sollten diese Gespräche führen, um dauerhaften gesellschaftlichen Wandel anzuregen.
Als politischer Mensch liegt mir gesellschaftlicher Zusammenhalt am Herzen. Ich möchte, dass sich BIPoC (und am Ende alle) wohl und zugehörig fühlen und gemeinsam immer wieder neu definieren, wer wir sind und wer wir sein wollen.
Hier diskutieren Fachleute ihre Erfahrung aus der Praxis. Alle drei Monate erscheint ein thematischer Blog zu einer drängenden Frage der internationalen Arbeit.