17. März 2020

Seilspringen in Slowjansk

17.03.2020 — Slowjansk, Ukraine

1, 2, 3, 4, 4, 5, 5, 5… Ich hüpfe auf einem Bein, dann zwei, dann links, dann rechts. Meine Kollegin war so lieb, mir in meine Selbstisolation ein Springseil zu bringen. Da ich vor kurzem in Deutschland gewesen bin, begebe ich mich nicht weiter als nötig raus aus meiner Wohnung in Slowjansk. Springseil springen geht allerdings noch ganz gut im Hinterhof meines Hauses. Zumeist ist es da menschenleer. Und während das Seil um mich herum peitscht, kommt ohnehin niemand näher als zwei Meter an mich heran.

6, 7, 7, 7, jetzt das rechte Bein, 8, 9, 10, 11… Eine ältere Frau, irgendetwas zwischen 70 und 90 Jahre alt, bewegt sich mit Hilfe eines Gehstocks raus aus einem der Hauseingänge. Etwa 50 Meter Entfernung zu mir; alles sicher; für sie und mich. Ich muss eine Pause einlegen, atme schwer. Auf einmal rennt ein kleiner Junge, maximal 7 Jahre alt, aus einem anderen Hauseingang in Richtung der alten Frau. Die alte Frau bleibt stehen; guckt dem Jungen so mürrisch hinterher wie ich es sonst nur aus dem kinderfeindlichen Deutschland gewohnt war.

Er rennt in etwa 10 Meter Entfernung an der alten Frau vorbei. Alles sicher; für sie und ihn. Vor allem aber für sie. Einem Mitarbeiter des Stadtrats zufolge wohnen in Slowjansk etwa 70.000 Menschen im Rentenalter. Die Stadt hat nur etwa 110.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Das ist der Grund meiner Selbstisolation. 12, 13, linkes Bein, 14, 14, 14, 14, 15…

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