Klimaverhandlungen: „90 Prozent der Flüge einsparen“
Die engagierte Klimaverhandlerin und Mercator-Alumna Gabriela Blatter erklärt ihre Vision für die Zukunft der Luftfahrt in der internationalen Arbeit.
22. Dezember 2020
Ein Beitrag von Ariane Lüthi
22.12.2020 — Zürich, Schweiz
Lufthansa-Manager Tamur Goudarzi Pour erklärt, wie er die Zukunft der Luftfahrt sieht — und welche Rolle eine neue Technologie der ETH Zürich dabei spielen soll.
Es ist bereits Abend, als wir uns in die Skype-Konferenz einwählen. Tamur Goudarzi Pour sitzt in einem “schon ziemlich leeren” Büro von SWISS, wo er seit Januar 2019 als Chief Commercial Officer waltet. Im Interview spricht er darüber, was die Fluggesellschaft macht, um CO2-neutral zu werden, und wie er die Zukunft der Branche sieht, in der er seit 20 Jahren mit Leidenschaft arbeitet.
Tamur Goudarzi Pour: Es wird mehrere Jahre dauern, bis es wieder gleich viele Flugreisen geben wird wie vor der Krise. Aber der Grossteil der Mobilität wird zurückkehren, wenn auch in Form eines “Next Normal”.
Gewiss wird ein Teil der Geschäftsreisen durch Videokonferenzen ersetzt werden. Aber diese Lösungen haben Grenzen. Gerade junge Menschen brauchen soziale Kontakte und die Möglichkeit, die Welt zu entdecken. Wir brauchen ein gesundes Mass an Mobilität.
Aktuell rechnen wir im dritten Quartal 2021 mit einer Erholung des Marktes. Dies ist aber abhängig vom weiteren Verlauf der Pandemie und den Test- und Impfmöglichkeiten. Im Hinblick auf das zukünftige Reisen sind neue Sicherheitsvorkehrungen denkbar. Vorstellbar ist zum Beispiel, dass man in Zukunft einen Gesundheitspass benötigt.
Ungefähr im Jahr 2024 könnten wir dann die Volumina von 2019 wieder erreichen.
Goudarzi Pour: Ja, es ist möglich, aber es wird dauern. Unter CORSIA, dem Klimainstrument der International Civil Aviation Organization, wächst der internationale Zivilluftverkehr ab 2020 nur noch CO2-neutral. Zudem haben wir in den letzten Jahren extrem viel erreicht mit Effizienzsteigerungen. Aber irgendwann stösst man an eine Grenze. Deshalb brauchen wir neue Lösungen.
Beim Flugzeug kann man nicht einfach eine elektrische Batterie einbauen — dafür sind die Langstreckenflieger zu schwer. Wasserstoff alleine wird es auch nicht richten, da die Entwicklung der Technologie zur Direktverbrennung viel Zeit in Anspruch nimmt.
Wir müssen anders an das Thema herangehen: Ich sehe die Zukunft in Sustainable Aviation Fuels (SAF). Das sind synthetische Alternativen zu fossilen Treibstoffen, die mit den bestehenden Antriebssystemen direkt eingesetzt werden können.
Mit den aktuell verfügbaren SAF aus Altfetten, die wir bei der Lufthansa Group einsetzen, vermeidet man ungefähr 80 Prozent des CO2-Ausstosses im Vergleich zu fossilem Kerosin. Sehr vielversprechende Methoden, um künftig SAF herzustellen, sind sogenannte Power-to-Liquid oder Sun-to-Liquid Verfahren.
Die ETH Zürich hat eine Technologie entwickelt, um der Umgebungsluft CO2 zu entziehen und dieses mit Solarenergie aufzuspalten. Das daraus gewonnene Gas wird anschliessend zu Kerosin weiterverarbeitet. So können theoretisch 100 Prozent der CO2-Emissionen vermieden werden.
SWISS ist mit der ETH in Austausch und unterstützt Initiativen, um die Marktreife und Skalierung von SAF zu fördern.
Das Problem der SAF ist im Moment noch die geringe verfügbare Menge und der hohe Preis. Aktuell liegt die weltweite Produktion bei ca. 100 Millionen Liter. Das sind etwa 0.1 Prozent des Bedarfs des weltweiten Luftverkehrs von 2019.
Man kann diese nachhaltigen Treibstoffe jetzt schon beimischen und damit fliegen, aber in diesem Bereich sind massivste Investitionen nötig.
Goudarzi Pour: Die Politik ist gefordert, die Entwicklung und Markteinführung von SAF mit Fördermassnahmen zu steuern und zu beschleunigen. Aus meiner Sicht müssen die bestehenden Abgaben zielgerichtet in die Förderung von SAF fliessen. Auch bereits etablierte Systeme wie CORSIA und das Europäische Emissionshandelssystem müssen die Nutzung von SAF fördern.
Einerseits braucht es eine Technologieförderung als Anschubhilfe, andererseits gilt es, die Nutzung von SAF durch Fluggesellschaften zu unterstützen. Sobald man eine gewisse Menge von nachhaltigen Kraftstoffen erreicht, drückt das den Preis.
Dieser Markthochlauf braucht jedoch Zeit — bestimmt 15 bis 20 Jahre, bis wir mit SAF auf einen grünen Zweig kommen. Deshalb kommt es darauf an, dass die Produktion jetzt mit Hochdruck vorangetrieben wird.
Auch weitere Massnahmen können unmittelbar zu CO2-Reduktionen im Luftverkehr führen, wie zum Beispiel ein einheitlicher europäischer Luftraum. Damit könnte man bis zu 10 Prozent der Emissionen einsparen — einfach, weil die Fluggesellschaften weniger Umwege fliegen müssten.
Wir glauben, dass es mit einer Kombination von verschiedenen Massnahmen möglich ist, bis 2050 CO2-neutral zu werden. Aber das ist natürlich eine riesige Herausforderung.
Goudarzi Pour: Ich finde das gut und mache das selber auch. Aber auch da müssen wir einen Schritt weitergehen. Langfristig müssen wir CO2-Emissionen vermeiden.
Wer einen Flug kauft, kann die Emissionen jetzt bereits kompensieren. SWISS und Lufthansa bietet neu auch die Möglichkeit an, direkt SAF beizumischen. Man hat als Kunde folgende Auswahl:
Die zwei Ansätze kann man frei kombinieren. Bei einem Flug Zürich-New York kostet das dann in der Economy-Klasse zwischen 8 Euro und 250 Euro. Je mehr man direkt vermeidet, desto teurer ist das momentan noch.
Goudarzi Pour: Das Business-Modell der Zukunft ist grundsätzlich das Gleiche wie jetzt. Ich glaube weiterhin an das Wachstum des Weltluftverkehrs, das zeigen allein schon die Nachholeffekte in Schwellenländern.
Wie sich die Ticketpreise entwickeln, ist schwer zu sagen. Kerosin macht momentan rund 20 bis 30 Prozent der Gesamtkosten aus. Das wird mit den nachhaltigen Modellen teurer, aber es gibt auch Gegeneffekte.
In Zukunft wird man Distanzen unter 400 km verstärkt auf Schnellstrecken mit dem Zug zurücklegen. Wir arbeiten mit der Bahn an besseren Schnittstellen und intermodalen Angeboten. Aber generell ist nicht das Thema, dass die Menschen weniger fliegen werden. Das ist auch nicht wünschenswert aus meiner Sicht.
Goudarzi Pour: Ich sehe keinen Grund für Flugscham. Ich finde, dass die Diskussionen zum Teil recht populistisch geführt werden.
Die Mobilität wird nicht verschwinden. Persönlich empfinde ich sie als Freiheitsgefühl. Begegnungen sind nötig für den persönlichen und kulturellen Austausch und dienen letztlich der Friedensförderung weltweit. Das sollte gerade in den antagonistischen letzten Jahren klar geworden sein.
Man kann sich bereits jetzt dafür entscheiden, nachhaltig zu fliegen — am besten, indem man direkt SAF beimischen lässt!
Hier diskutieren Fachleute ihre Erfahrung aus der Praxis. Alle drei Monate erscheint ein thematischer Blog zu einer drängenden Frage der internationalen Arbeit.