30. April 2022

Russisches Gas: Technologie allein wird uns nicht retten

30.04.2022 — Berlin, Deutschland

Russisches Gas mit anderen Energiequellen zu ersetzen reicht nicht, argumentiert Lisa Kadel. Gegen Krieg und Klimakrise braucht es weniger Konsum und eine gerechtere Verteilung.

Foto: dmncwndrlch auf Pixabay

Klimakrise, Pandemie und nun der Krieg in der Ukraine führen vor Augen, wie fragil unsere Lebensgrundlagen sind. Noch nie wie in den letzten zwei Jahren wurde für mich so greifbar, wie dringend wir anfangen müssen all diese Dinge zu verknüpfen und nach holistischen Lösungen zu suchen. Und eine Gesellschaft zu erschaffen, in der solidarisches Verhalten selbstverständlich ist — von Maske tragen in der Pandemie über die Aufnahme von Geflüchteten bis hin zum fairen Teilen von Ressourcen.

Der Earth Overshoot Day für Deutschland, also der Tag, an dem Deutschland seinen Anteil an Ressourcen, die pro Jahr nachhaltig genutzt werden können, verbraucht hat, liegt dieses Jahr am 4. Mai. Deutschlands Klimaziele und -maßnahmen sind nach wie vor nicht ausreichend, um die 1,5°C-Grenze einzuhalten. Solidarisches Verhalten heißt daher auch, den Gesamtverbrauch deutlich zu reduzieren und dabei gleichzeitig dafür zu sorgen, dass alle noch genug zum Leben haben.

Aktuell steht in der öffentlichen Debatte aus gutem Grund Russland vorne an und die Frage, wie der Import von Kohle, Öl und Gas aus dem Kriegsland zurückgefahren werden kann. Sicherlich sind Maßnahmen wie die kurzfristige Diversifizierung der Importquellen und der beschleunigte Ausbau von erneuerbaren Energien und Wasserstoffinfrastruktur (in begrenztem Umfang und in den Sektoren, in denen effizientere Alternativen nicht zur Verfügung stehen) ein richtiger und wichtiger Schritt. Aber vor dem Hintergrund des Überkonsums reichen sie nicht aus, denn sie bringen ihre jeweils eigenen Grenzen und Probleme:

Eine Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt, dass ein schneller Verzicht auf russisches Erdgas möglich ist, auch ohne LNG-Terminals zu bauen (die ohnehin erst in einigen Jahren fertig wären). Das Papier sagt aber auch, dass dies nur geht, wenn die Industrie und die Haushalte weniger Energie konsumieren.

Etwa die Hälfte der Befragten geben in aktuellen Umfragen an, aufgrund des Krieges in der Ukraine zum Energiesparen bereit zu sein. Diese Bereitschaft sollten wir nutzen, um langfristige systemische Veränderungen einzuleiten. Das bedeutet, eine gesellschaftliche Debatte darüber zu führen, wer zu welchem Zweck wie viel verbrauchen darf und was notwendig ist,  damit alle ihrer grundlegenden Bedürfnisse befriedigen können (eine warme Wohnung, beispielsweise) ohne dauerhaft in einem zerstörerischen, kriegsstiftenden Wirtschaftssystem gefangen zu sein.

Umfassende Ideen dazu liefern zum Beispiel das „Doughnut Economics“ Modell oder Postwachstums-Ansätze. Im Kleinen, schneller umsetzbar und ganz konkret sind Policies wie progressive Energietarife oder Verbesserungen im öffentlichen Verkehr – oder die mehr als 280 konkreten Maßnahmen der Energiesuffizienz-Policydatabase. Es mangelt also nicht an Ideen, sondern an Mut zur Umsetzung. Diesen Mut müssen wir fassen, wenn wir Krieg und Klimakrise wirklich etwas entgegensetzen wollen.

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