29. Oktober 2020

“The New Normal” in den Vereinten Nationen

29.10.2020 — Bangkok, Thailand

Natalie Harms erklärt, wie sich die Pandemie in den Vereinten Nationen auswirkt und was das für die Flugreisen bedeutet.

Ich sitze im Schatten der Bäume im Garten und spreche mit meiner Familie – natürlich online, mit direkter Videoschaltung in verschiedene Wohnzimmer auf einem anderen Kontinent. Ein seltsames Geräusch hoch über mir unterbricht den friedlichen Vogelgesang. Ich schaue auf und sehe ein Flugzeug, das einen langen, weißen Kondensstreifen in den wolkenlosen Himmel über Bangkok zeichnet.

Schon erstaunlich, wie blau der Himmel seit Wochen über dieser rastlosen Stadt ist, die sonst so häufig unter einer Smogglocke versinkt. Erstaunlich auch, dass das Geräusch der Turbinen mir so fremd erscheint. Der Flugverkehr in Thailand steht still, mit Ausnahme weniger „Repatriation“-Flüge. Die Grenzen bleiben geschlossen, Restaurants und Gewerbe ebenso. Die Stadt, die niemals schläft, ist unverhofft zum Stillstand gekommen.

“Cancelled / postponed indefinitely”

Auch der Campus der Vereinten Nationen in Bangkok ist geschlossen. Das Regionalbüro des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (United Nations Environment Programme – UNEP) hat abrupt auf Home Office umgestellt. Alle Dienstreisen sind abgesagt, der Terminkalender für anstehende Konferenzen und Meetings leuchtet in roten Buchstaben — wie die Fluganzeige bei einem Schneesturm: „cancelled / postponed indefinitely – due to COVID-19.“

Der Campus der Vereinten Nationen in Bangkok.

Eine Organisation, deren Arbeit zu großen Teilen von zwischenstaatlichen Treffen, Workshops, und Großereignissen mit hunderten Teilnehmern aus verschiedenen Ländern abhängt, zwingt diese Krise zu einem grundsätzlichen Umdenken.

Können wir unser Mandat erfüllen, ohne alle Interessenvertreter einzufliegen und wortwörtlich um einen Tisch zu versammeln? Wie verteilen wir sinnvoll unsere Reisefinanzierung um, um Projektziele doch noch zu erreichen? Nachhaltige Entwicklungsziele ohne Businessflug und Tagesentschädigung, geht das überhaupt?

Unbeirrt in Richtung Klimakrise

Das ist natürlich etwas überspitzt, aber diese Krise legt ihren Finger in eine schwelende Wunde der Entwicklungsarbeiterinnen und Umweltschützer. Ist es scheinheilig, wenn wir in Scharen zu Klimakonferenzen und Umweltmeetings um den Globus fliegen, wo viel geredet wird, aber schönen Worten selten mutige Taten folgen? Einige Daten zur Illustration:

  • Letztes Jahr erzeugten Uno-Organisationen weltweit 42 Prozent ihrer Treibhausgasemissionen aus Flugreisen. Eingerechnet sind Uno-Mitarbeiter*innen und Teilnehmende von Veranstaltungen.
  • Nur der Betrieb von Einrichtungen und Bürogebäuden war mit 45 Prozent der Emissionen noch klimaschädlicher.
  • 13 Prozent des CO-2 Ausstosses kam aus der Nutzung anderer Verkehrsmittel.

Unser Planet steuert noch immer unbeirrt auf eine katastrophale Klimakrise zu, kein Strand oder Meereslebewesen ist mehr frei von Plastikmüll. Hat diese Pandemie mehr für unsere Umwelt getan, als all unsere Bemühen und Klimakonferenzen zusammen?

Pandemie hilft der Umwelt kaum

Nein, das hat sie nicht. „There is no silver lining for nature,“ wie UNEPs Exekutivdirektorin zu Beginn der Pandemie gesagt hat. Einsparungen von Emissionen im Flugverkehr sind wohl kaum von Dauer, und Einwegmasken, Handschuhe und Takeaway Container türmen sich auf Müllhalden und in der Natur.

Diese Krise zwingt uns, die Art, wie wir arbeiten, zu verändern – weniger Reisen, mehr Home Office. Wir mussten lernen, virtuelle Meetings zu meistern, digitale Lernangebote zu schaffen, und besser mit Partnern vor Ort zusammen zu arbeiten.

Doch die Frage steht noch immer Raum: ist das „The New Normal“ oder kehren wir wieder zu “business as usual” zurück, sobald wir wieder fliegen dürfen? Schaffen wir es, unsere Scheu vor neuen Arten der Zusammenarbeit dauerhaft zu überwinden?

Mit gutem Beispiel voran

Wer, wenn nicht die Vereinten Nationen, sollte als Wegbereiter vorausgehen?

Bereits seit über einem Jahrzehnt gibt es die “Sustainable UN” Gruppe (SUN), die interne Ziele zur Reduktion von Emissionen, Energie- und Wasserverbrauch, und Abfall umsetzt. In den letzten Jahren hat dieses Bestreben zusätzlich Fahrt aufgenommen. Ein Klimaschutzplan vom letzten Sommer plant folgende CO2-Einsparungen innerhalb der Vereinten Nationen:

  • Minus 25 Prozent bis 2025
  • Minus 45 Prozent bis 2030

Die Ziele sollen primär erreicht werden, indem man mehr erneuerbare Energie nutzt. Bereits jetzt werden 95 Prozent der Emissionen kompensiert, indem die Vereinten Nationen CO2-Zertifikate kaufen.

Dennoch bleibt viel Spielraum für Vermeidung von Emissionen durch unnötige Flugreisen. Diese werden 2020 wohl unverhofft gegen Null gehen.

Lösungen sind möglich, aber wir müssen sie wählen

Die Pandemie hat uns etwas gezeigt: Was viele für unmöglich hielten, kann mit den richtigen Mitteln durchaus funktionieren. Die Leute sind im Home Office nicht weniger produktiv. Auch mit weniger Dienstreisen wurde die Arbeit gemacht. Die Teilnehmerzahl an virtuellen Veranstaltungen in neuen Formaten steigt sogar vielfach.

Es wird Bereiche geben, in denen wir auch in Zukunft fliegen und uns persönlich treffen müssen — um zwischen Staaten zu verhandeln und Beschlüsse zu treffen, und um die Menschen mitzunehmen, die keinen stabilen Internetzugang haben. Es sind sie, die am meisten unter der Krise und ihren Umweltauswirkungen leiden.

Meine Kollegen und ich im UNEP Regionalbüro planen, neue Formen des digitalen Austauschs und Lernens auch in Zukunft zu nutzen. Wir werden sie kombinieren mit wenigen, wohl überlegten Dienstreisen. Auch mit der Arbeit im Home Office haben wir uns angefreundet — in der Hoffnung dass uns der blaue Himmel über Bangkok erhalten bleibt.

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