Zufall in den USA
Seit Januar absolviere ich meine 2. Stage bei der Development Economics (DEC) Abteilung der Weltbank. Ich arbeite für die Development (…)
27. August 2014
Ein Beitrag von Anja Hanisch
Die wenigsten von uns dürften sich schon einmal bewusst über das deutsche Katasterwesen gefreut haben. Zu Unrecht! Zu wissen, wo das eigene Grundstück aufhört und das des Nachbarn anfängt oder welche Flächen öffentlich sind, schafft Sicherheit. In Deutschland nehmen wir diese Sicherheit als allzu selbstverständlich hin. Sie fällt uns gar nicht mehr auf. Dabei verfügen nur etwa 40 Länder weltweit über ein umfassendes Land- und Grundbesitzkataster.
Vor diesem Hintergrund zeigen viele Beispiele, dass ungeklärte Land- und Grundbesitzfragen ganze Gesellschaften zerrütten und in ihrer Entwicklung behindern können: Im Kosovo streiten sich zum Beispiel Serben und Albaner seit Nachkriegstagen darum, wem welches Haus oder welches Feld gehört.
Ein anderes Beispiel findet man in Süd-Ost-Asien, wo wir im Mai mit dem Mercator-Kolleg unser Zwischentreffen verbrachten: In Timor-Leste sind Land- und Grundbesitzfragen seit langem ungeklärt. Fast ein Jahrhundert lang sah sich der Inselstaat erst mit der portugiesischen Kolonisierung, dann der japanischen Besetzung im Zweiten Weltkrieg und schließlich, nach 1975, mit der indonesischen Invasion konfrontiert. Viele Menschen wurden in diesen Jahrzehnten wiederholt aus ihren Heimatorten vertrieben. Aufzeichnungen über Grund- und Landbesitz wurden zum Teil absichtlich zerstört, zum Teil gingen sie in den Wirren der verschiedenen Konflikte verloren. Die gesamte Gesellschaft ist von diesem Chaos betroffen. Besonders in Gesellschaften, die einen Gewaltkonflikt erlebten oder in denen Menschen von ihrem Stück Land abhängig sind, weil sie ihre Nahrung selbst produzieren, können solche Unsicherheiten (erneute) schwere Konflikte hervorrufen.
Internationale Organisationen und NGOs erkennen zunehmend, dass es besonders nach Gewaltkonflikten notwendig ist, Land- und Grundbesitzfragen am besten bereits in Peacemaking-, aber auch in Peacebuilding-Prozessen zu berücksichtigen. Ansätze hierzu gibt es. So wird zum Beispiel deutsches technisches Wissen im Kosovo genutzt, um Landkartierungen durchzuführen. Die dortige EU-Mission hat außerdem zwei Stellen eingerichtet, vor denen Konflikte um Haus- und Landbesitz auf legalem Weg entschieden werden. In Uganda, wo ich meine zweite Stage verbrachte, arbeiten NGOs daran, Gewalt in Landkonflikten zu verhindern oder einzudämmen. Sie vermitteln örtlichen Behörden, Gemeindemitgliedern und Stammesältesten zum Beispiel Kenntnisse darüber, wie sie Landkonflikte friedlich lösen können und welche gesetzlichen Regelungen es zu Landfragen gibt.
Weil Landkonflikte aber so komplex sind, schafft ein systematischer Ansatz besonders in Postkonfliktsituationen die besten Chancen für dauerhafte Lösungen. Das bedeutet, technische, institutionelle und gesetzliche Aspekte gleichermaßen zu berücksichtigen und diese Fragen mit anderen Aspekten des Peacemaking- und Peacebuilding-Prozesses zu verbinden: Welche Bodenordnung gibt es und wie wird diese angewendet? Welche Landbesitzrechte haben Frauen? Geben gesetzliche Regelungen Raum für gesellschaftliche Traditionen wie Gemeinschaftsbesitz oder Gewohnheitsnutzung? Welche Stelle entscheidet einen Landkonflikt? Das Justizministerium? Das Innenministerium? Traditionelle Stammesführer?
Technische Bemühungen wie Landkartierungen, die Klärung institutioneller Zuständigkeiten sowie gesetzliche Reformen, z. B. des Landrechts, müssen daher in einem systematischen Ansatz angegangen werden, wenn „Land“ als Konfliktfaktor in einer Gesellschaft dauerhaft ausgeschlossen werden soll.