15. März 2021

Veränderung anstoßen: Diversität im Mercator Kolleg

15.03.2021 — Essen, Bonn und Zürich

Das Mercator Kolleg nimmt mangelnde Diversität, Rassismus und Sexismus in den Fokus. Die Trägerstiftungen berichten darüber, wie sie das Thema angehen.

Das Mercator Kolleg für Internationale Aufgaben ist ein postgraduales Förderprogramm für Persönlichkeiten, die in der internationalen Zusammenarbeit (IZ) Verantwortung übernehmen wollen. Neben der Vermittlung von konkreten Skills und spezifischem Wissen sind wir als Trägerstiftungen darum bemüht, mit dem Kollegprogramm die Reflexion über das Feld der IZ und aktuelle Herausforderungen anzustoßen.

Dazu zählt die Sensibilisierung für Themen wie Postkolonialismus, Rassismus und Sexismus ebenso wie die Auseinandersetzung mit Resilienz und Selbstfürsorge, auch durch die gegenseitige Stärkung der Fellows untereinander. Da die Arbeit in der IZ ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein, Flexibilität, persönlichen Einsatz und den Umgang mit Unsicherheit erfordert, ist es wichtig, frühzeitig einen guten Umgang mit den eigenen Kräften zu lernen. Die Vielfalt der Fellows ist für diese Auseinandersetzungen eine ganz zentrale Ressource – sowohl für den jeweiligen Jahrgang selbst, ebenso wie auch für die Stagengeber*innen und künftige Arbeitskontexte.

Dass es auch im Bereich der internationalen Zusammenarbeit (IZ) ein systemisches Problem mit mangelnder Diversität, Rassismus und Sexismus gibt, ist eine schmerzhafte Tatsache, die erst seit wenigen Jahren wissenschaftlich betrachtet und analysiert wird.

Einstieg ins Berufsleben

Das Mercator Kolleg für Internationale Aufgaben ist als postgraduales Förderprogramm im Bereich der IZ ein wichtiger Baustein in den Lebensläufen vieler international tätiger Personen. Dem Kolleg kommt auf diese Weise eine besondere Multiplikatorenfunktion zu. Es wählt Persönlichkeiten aus, die aufgrund ihrer akademischen Leistungen, ihres Engagements und ihrer ganz persönlichen Erfahrungen einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung der IZ leisten können und ermöglicht den Fellows somit eine individuelle, stärkenorientierte Vorbereitung für den Einstieg in ihr Berufsleben. Gleichzeitig vermittelt das Kolleg internationalen (Nichtregierungs-)Organisationen gut ausgebildetes Personal.

Das Kolleg ist damit in der Verantwortung, die Vielfalt hinsichtlich Erfahrungs- und Bildungshintergründe ebenso wie eine Vielfalt der Biografien, Lebensformen, Herkunftsregionen und religiösen Anschauungen bei der Auswahl der Fellows zu stärken und für eine große Bandbreite an Perspektiven im Rahmen des begleitenden Seminarprogramms zu sorgen.

Um diesem Anspruch gerecht zu werden, ist es notwendig, die eigene institutionelle Praxis kontinuierlich zu hinterfragen: Wie gewährleisten wir, dass sich Bewerber*innen mit ganz unterschiedlichen persönlichen und fachlichen Hintergründen, Rassismuserfahrungen und geschlechtlichen Zuordnungen sowie neurodiverse Menschen oder Menschen mit körperlichen Behinderungen, die sich für die IZ begeistern, angesprochen fühlen und eine Bewerbung in Betracht ziehen?

Hierzu zählt auch die Auseinandersetzung mit der Beobachtung, dass Nachwuchsförderprogramme in der IZ bislang häufig gerade solche Bewerber*innen adressieren, die Abschlüsse von renommierten Universitäten mitbringen, vielleicht sogar als Stipendiat*innen Zugang zu Bildungsangeboten und persönlicher Förderung hatten, die für andere nicht selbstverständlich sind und sich hieraus strukturelle Vorteile ergeben, die den Sprung auf das internationale Parkett erleichtern.

So vielfältig wie möglich

Als Postgraduierten-Programm setzt das Mercator Kolleg recht spät in der Laufbahn der Fellows an — vorangegangen sind viele Schritte und Entscheidungen, die von den ungleichen Startbedingungen im Leben (sei es im familiären Bereich, durch Rassismus, Armut, Sexismus etc.) geprägt wurden. Gerade darum ist es den beteiligten Organisationen und Programmverantwortlichen wichtig, in der Auswahl der Fellows das Erreichte stets auch vor dem Hintergrund des Möglichen zu betrachten.

Es wurden bereits mehrere Maßnahmen eingeführt, um das Mercator Kolleg für Interessierte unterschiedlichster Hintergründe zugänglicher zu machen — so z.B. stärkere Diversität bei der Besetzung der Auswahlkommissionen, Überarbeitung und Ergänzung der Ausschreibungsverteiler, direkte Ansprechbarkeit der Fellows und der Kollegleitung während des Bewerbungsprozesses. Auch bei den Auswahlkriterien gab es immer wieder Überarbeitungen und Kurskorrekturen.

Auf diese Weise ist es uns in den vergangenen Jahren gelungen, die Diversität hinsichtlich sozialer und ethnischer Herkunft zu erhöhen. Auch bei der Gestaltung des Begleitprogramms wird darauf geachtet, eine Vielzahl von Stimmen und Perspektiven aufzuzeigen.

Die Fellows lernen aber nicht nur durch ihre Stagen und die angebotenen Vorträge und Workshops im Begleitprogramm, sondern vor allem voneinander. Der Austausch innerhalb eines gesellschaftlich repräsentativeren Jahrgangs ermöglicht tiefergehende und reichhaltige Lernerfahrungen und sorgt im besten Fall dafür, dass die Geförderten auch in ihren folgenden Arbeits- und Karrierekontexten unterschiedliche Erfahrungswelten mitdenken und diese Sichtweisen in ihre Organisationen tragen.

Welche Auswirkungen mangelnde Diversität haben kann, schildert Clara Rellensmann eindrücklich in ihrem ad-hoc Beitrag am Beispiel des internationalen Rats für Denkmalpflege (ICOMOS). Die aktuelle Umfrage des Ehemaligennetzwerks des Mercator Kollegs und des früheren Stiftungskollegs für internationale Aufgaben (nefia), deren Ergebnisse im Artikel „Mehr Mut“ von Berenike Schott zusammengefasst wurden, bestätigt, dass Sexismus und Rassismus in der IZ nach wie vor weit verbreitet sind. Die Autorin ist überzeugt: Es bedarf mehr Mut, um Diskriminierung aktiv entgegen zu wirken und Diversität und Inklusion in der IZ zu stärken.

Schlüsselrolle für die Nachwuchsförderung

Dieser Mut fängt nicht erst bei den Organisationen — egal ob UN, NGO oder Social Start-Up — an. Auch wenn diese die Probleme durch die kontinuierliche Sensibilisierung ihres Personals, eine diversitätsorientierte Personalpolitik und den Abbau von internen Machtstrukturen, die übergriffiges und diskriminierendes Verhalten begünstigen, natürlich an vorderster Front bekämpfen sollten.

Die Aufforderung, aktiv zu werden, gilt auch für Stiftungen und Stipendiengeber*innen, die sich die Nachwuchsförderung für die internationale Zusammenarbeit zum Ziel gesetzt haben. Diese Organisationen haben den Schlüssel in der Hand, um Veränderungen anzustoßen, denn sie bereiten auf verantwortungsvolle Positionen in der internationalen Zusammenarbeit vor, die meist nur für eine Handvoll hochqualifizierter Personen zugänglich sind.

Das Mercator Kolleg sieht sich als Förderprogramm für ganz verschiedene Persönlichkeiten aus Deutschland und der Schweiz, die im Bereich der internationalen Zusammenarbeit Verantwortung für die Welt von morgen übernehmen wollen. Globale Herausforderungen betreffen immer Menschen unterschiedlichster Herkunft, Religion, Geschlechter, sozio-ökonomischer Stellung, Familienstandes — kurz Menschen mit ganz verschiedenen Lebenshintergründen.

Es ist unsere Überzeugung, dass zur Lösung aktueller und künftiger Herausforderungen Menschen beitragen sollen, die möglichst unterschiedliche Erfahrungen mitbringen und so die Vielfalt unserer globalen Gesellschaft widerspiegeln. Diese Überzeugung speist sich nicht zuletzt aus dem Gleichheitsgedanken der UN Menschenrechtscharta.

Das Mercator Kolleg für internationale Aufgaben und seine Programmträgerinnen verstehen Diversität und die sich daraus ergebende Vielfalt der Perspektiven daher nicht nur als besondere Stärke, sondern als Grundvoraussetzung für das Funktionieren einer Gesellschaft, die alle Menschen in ihrer Verschiedenheit gleichermaßen respektiert und würdigt.

Bewusste Reflexion

Eine Ausrichtung hin zu mehr Diversität ergibt sich nicht von heute auf morgen, sondern ist eine bewusste Reflexion über bestehende Barrieren und Chancenungleichheiten. Dazu gehört auch eine tiefgehende Auseinandersetzung mit Themen, die von inklusiver Sprache und einer diversitätsbewussten Außenkommunikation über die Besetzung von Auswahlkommissionen bis zur Programmgestaltung reichen.

Wir freuen uns darum sehr, diesen Weg gemeinsam mit allen am Programm Beteiligten weiter zu gehen und stehen in engem Austausch mit nefia und dem Netzwerk. Die kontinuierliche Entwicklung des Programms verstehen wir als einen inklusiven Prozess, mit dem wir im Kleinen die Veränderungen voranbringen möchten, die wir uns auch für den weiteren Rahmen der internationalen Zusammenarbeit wünschen. Dialog sowie die Rückmeldungen und Anregungen von Ehemaligen, aktuellen Fellows und Bewerber*innen spielen hierbei eine essentielle Rolle.

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