28. Oktober 2021

Von unlösbaren Dilemmata und Lachsbrötchen

28.10.2021 — Bern, Schweiz

Analysen der letzten Jahre zeichnen ein düsteres Bild: Weltweit sei die Demokratie in Gefahr, der Autoritarismus auf dem Vormarsch und Handlungsspielräume eingeschränkter denn je. Als praxisorientiertes Friedensforschungsinstitut sieht sich swisspeace täglich mit illiberalen Kontexten konfrontiert. Soll mit autoritären Regierungen überhaupt zusammengearbeitet werden, und wenn ja, wie?

swisspeace macht im aktuellen Blog der ad hoc die Expertise des Instituts zugänglich. Bild: Unsplash / Anton Nazaretian

Unlängst sind negative Schlagzeilen nicht nur zu grössenwahnsinnigen Diktatoren eines fernen Kontinents zu lesen – schwindende Demokratien werfen heuer ein unrühmliches Scheinwerferlicht in unsere Nähe, sei es in der Türkei oder in Ungarn. Wo Informationen plötzlich nicht mehr frei zugänglich sind, kritische Stimmen verstummen und dem gewaltfreien Protest mit Gewalt begegnet wird, schrumpft der Handlungsspielraum für zivilgesellschaftliche, international tätige Akteure wie swisspeace.

Dies stellt uns in unserer täglichen Arbeit vor neue, vielfältige und komplexe Herausforderungen. Wie soll autoritären Regierungen begegnet werden? Kann in einem illiberalen Kontext gearbeitet werden, ohne den betreffenden Machthabern indirekt Legitimität zu verleihen? Landen materielle Ressourcen, durch gutmütige internationale Hilfe bereitgestellt, direkt bei einer korrupten Elite? Wird man als externer Akteur in einem autoritären Schauspiel automatisch Teil des Problems?

Unterwegs im autoritären Feld

swisspeace analysiert, was bislang nur unzureichend erforscht wurde – innerhalb unserer thematischen Fachgebiete, die für eine breitere Öffentlichkeit aus Wissenschaft, Praxis und Politik relevant sind. Beispielsweise wird vergleichsweise oft über die Ursachen und Folgen von Autoritarismus diskutiert, aber nur wenig ist über die spezifischen methodischen Herausforderungen der Feldforschung in autoritären Kontexten bekannt.

Aufbauend auf einer Analyse dieser Besonderheiten erstellte swisspeace unlängst praktische Guidelines, wie Forscher*innen mit Willkür, Unsicherheit und Angst im Feld umgehen und welche ethischen Dilemmata sich für sie selbst, aber auch weitere Involvierte ergeben können.

Von Honduras über Belarus zum Horn von Afrika

Jenseits des akademischen Elfenbeinturms unterstützen und beraten wir lokale und internationale Akteure, die für die Friedensförderung von essentieller Bedeutung sind – unter anderem darin, wie diese autoritären Regimes begegnen können.

  • In Honduras berichten uns Bauernkollektive von brutaler Gewalt im Rahmen der Landkonflikte, Medienschaffende verweisen auf den gesetzlich eingeschränkten Zugang zu Informationen und Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Schutzlosigkeit bedrohter Personen aufgrund von Korruption und Straflosigkeit. Gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen sucht swisspeace nach Möglichkeiten, die Verwundbarkeit der lokalen Akteure zu verringern.
  • In Belarus ist der «letzte Diktator Europas» an der Macht. Seit 1994 führt Alexander Lukaschenko ein autoritäres Regime, das unlängst von drei Frauen in Bedrängnis gebracht wurde. Unsere Expertin beleuchtet in ihrer Arbeit, wie diese Frauen nicht trotz, sondern dank der weiblichen Klischees, die sie verkörpern, so erfolgreich waren – und wie der Feminismus autoritäre patriarchale Strukturen bekämpfen könnte.
  • Am Horn von Afrika wehte zumindest vorübergehend ein «Wind der Hoffnung». Heute sind die Zeiten wieder stürmischer: Der südsudanesische Friedensprozess will nicht richtig in Fahrt kommen, im nördlichen Nachbarland Sudan bleiben grundlegende Fragen zur Richtung des eingeschlagenen politischen Wandels ungeklärt, und die besorgniserregenden Meldungen zum Konflikt im nördlichen Teil Äthiopiens reissen nicht ab. swisspeace arbeitet seit Jahrzehnten in dieser Region und verfügt über bewährte Partnerschaften mit Forschenden und anderen lokalen Expert*innen. Gemeinsam mit ihnen suchen wir nach Möglichkeiten, auch unter schwierigen Bedingungen Wege für Verbesserungen aufzuzeigen.

Debatten und Reflexion

Nebst einer ziemlich einzigartigen Symbiose aus Forschung und Praxis zeichnet swisspeace aus, das wir uns in einem – teils sogar etwas unliebsamen – Prozess stetig selbst hinterfragen. So wird die Arbeit in autoritären Kontexten seit einigen Jahren reflektiert; sowohl innerhalb der Organisation als auch im Austausch mit Partner*innen.

Gemeinsam versuchen wir, mögliche unbeabsichtigte Folgen eines Engagements abzuschätzen, bevor sie passieren, und Strategien zu entwickeln, um solche ungewollten Effekte zu mindern. Wie gross ist überhaupt der Raum, in dem wir uns bewegen können? Wie gehen wir mit einer sich schnell verändernden politischen Dynamik um? Können wir autoritäre staatliche Behörden umgehen? Oder ist es sinnvoller, ihnen direkt zu begegnen?

An Rundtischen mit Forscher*innen, zu Lachsbrötchen bei Stehlunches mit Botschafter*innen oder in hitzigen internen Diskussionen zum Südsudan, Honduras, oder Belarus – der Gesprächsstoff wird uns angesichts der weltpolitischen Entwicklungen so schnell nicht ausgehen. Einige unserer Antworten teilen wir in diesem Blog mit den Leser*innen der ad hoc international.

ad hoc international jetzt abonnieren!

Hier diskutieren Fachleute ihre Erfahrung aus der Praxis. Alle drei Monate erscheint ein thematischer Blog zu einer drängenden Frage der internationalen Politik und Zusammenarbeit.