3. Oktober 2021

Weit weg und verzweifelt

03.10.2021 — Berlin, Deutschland

Über die emotionalen Herausforderungen globaler Nomaden.

Johanna berichtet in einer Video-Beratung, dass sie den Eindruck habe, in ihrem Team als Frau nicht ernst genommen zu werden. Sie glaube, dass das zumindest teilweise mit der männerdominierten Kultur im Gastland zu tun hat, aber auch mit dem Inhalt ihrer Aufgabe, in der es auch um militärische Fragen geht. Das Gefühl nicht ernst genommen zu werden beeinträchtige sie so, dass sie daran zweifle, ob sie dieser Arbeit überhaupt gewachsen ist. Das setze sie unter Druck, sie schlafe schlecht, könne sich zunehmend schlechter konzentrieren. Sie vermisse Gesprächspartner vor Ort, die ihr emotional so nahestehen, dass sie über ihre Erlebnisse und Zweifel reden kann. Ihr Freund zu Hause sei von diesen Themen genervt und sage nur, „dann hör auf und komm nach Hause“. Er verstehe nicht, wie wichtig ihr ihre Arbeit im internationalen Kontext ist.

Dies ist eines von typischen Anliegen, mit denen Leute im Ausland konfrontiert sind. Johanna spricht Themen an, die viele Mitarbeiter internationaler Organisationen und Unternehmen beschäftigen und belasten.

Es sind die besonderen Umstände mobilen Lebens, die die internationale Arbeit psychologisch herausfordernd machen:

  • Menschen mit hoher Wertorientierung und Leistungsmotivation treffen auf Arbeitsbelastungen, die keine kurzfristigen Erfolge bieten. Burnout kann die Folge sein.
  • Menschen geraten aufgrund von interkulturellen Friktionen in Teams und durch Bedrohungsszenarien in Krisenländern in emotionale Ausnahmesituationen.
  • Die räumliche Entfernung von nahen Menschen führt dazu, dass vor Ort emotionale Unterstützung fehlt und man sich einsam und isoliert fühlt.
  • Geht der Partner oder die Partnerin mit ins Ausland, sind neue Absprachen nötig, die eine gleichberechtigte Lebenssituation ermöglichen und besonders diejenigen, die mitausreisen, nicht beeinträchtigen. Es können Beziehungskrisen entstehen, die eine noch fragile Stabilität in der Fremde erschüttern können.
  • Leben Kinder mit im Ausland, machen sich Eltern Sorgen um deren zukünftige emotionale aber auch schulische Entwicklung.
  • Internationale Arbeit bereichert Menschen professionell und persönlich. In der Auseinandersetzung mit fremden Kulturen und Weltanschauungen verändert sich auch der Blick auf die eigene Identität. Oft entsteht das Gefühl von Entwurzelung.
Illustration: Ines Golub.

Psychologische Begleitung kann Menschen mit seelischen Krisen auch im Ausland darin unterstützen, mit solchen Herausforderungen umzugehen. Ein Coaching durchläuft typischerweise folgende Phasen:

  1. Kontextualisierung des Problems: Wer ist am Problem beteiligt? Unter welchen Bedingungen tritt das Problem besonders auf? Wie lange besteht das Problem schon? Gibt es Situationen, in denen das Problem nicht auftritt? Was hat das Problem mit der Organisationsstruktur des Unternehmens oder der Organisation zu tun? Welche Rolle spielt das Team in der Entstehung des Problems? Hat meine aktuelle Lebenssituation etwas mit dem Problem zu tun? Gibt es Zusammenhänge zwischen der eigenen Lebensgeschichte und dem Problem?
  2. Erkennen eigener Anteile: Welche für mich typischen Interaktionsmuster erkenne ich am Problem wieder? Worauf reagiere ich oft auf immer dieselbe Art? Welche meiner Bedürfnisse haben früher schon zu ähnlichen Problemen geführt? Werden durch das Problem andere Bedürfnisse erfüllt? Welche?
  3. Erarbeitung von Lösungsmöglichkeiten: Welche Mittel und Fähigkeiten habe ich bereits, um das Problem lösen zu können? Welche Personen können mich darin unterstützen? Wem soll die Lösung in erster Linie nützen? Was kann schlimmstenfalls passieren, wenn es zu keiner guten Lösung kommt? Kann ich mich auch gegen eine Lösung entscheiden?

Wichtig ist, dass eine psychosoziale Beratung für die Hilfesuchenden kurzfristig erreichbar ist, mittels datensicherer Video-Kommunikationssysteme übertragen wird, und durch professionelle und erfahrene Berater durchgeführt wird. Es ist von Vorteil, wenn die Berater eigene Mobilitätserfahrung haben. Die Schweigepflicht insbesondere gegenüber dem Arbeitgeber ist dabei zentral. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist psychosoziale Begleitung und Coaching bei Auslandsaufenthalten im Rahmen der internationalen Arbeit ein wichtiger Beitrag zur professionellen und persönlichen Bereicherung.

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