Griechenland: Podcasts gegen die Perspektivlosigkeit
Geflüchtete Kinder in Griechenland sind der Pandemie besonders schutzlos ausgesetzt. Alumna Caroline Schmidt sprach mit Domniki Georgopoulou über ihre Arbeit für SolidarityNow vor Ort.
29. April 2020
Ein Beitrag von Ariane Lüthi
29.04.2020 — Zürich, Schweiz
Meine Eltern hatten bereits ein Quarantänezimmer für ihn eingerichtet. So schnell ging es dann aber doch nicht mit der Heimreise. Unser Freund Oliviero Pettenati und seine Familie sitzen weiterhin in Nairobi fest. Per Telefon erklärt er, wie die Corona-Krise in Kenia bestehende Probleme verschärft, und weshalb er diese Zeit lieber in der Schweiz durchstehen möchte.
Die Ausgangslage ist vergleichsweise komfortabel: eine Vierzimmerwohnung in einem einfachen Arbeiterviertel im Osten Nairobis, zwei Einkommen aus regelmässigen Fernaufträgen, Familie und Freunde in der Nähe. Der Wassertank wird wöchentlich gefüllt, zwei Wächter kontrollieren am Eingang der Gasse die Besucher, ein Wäscheplatz hinter dem zweistöckigen Haus bietet etwas Raum unter freiem Himmel.
Das Viertel sei ethnisch durchmischt und friedlich; der einzige Weisse weit und breit sei er aber schon, sagt Pettenati, der im vierten Jahr mit seiner kenianischen Frau und mittlerweile zwei Kindern in der afrikanischen Metropole lebt. “Manchmal werde ich auf Arabisch angesprochen, weil mich die Leute nirgends einordnen können.”
Auf die Pandemie habe Kenia schnell und entschlossen reagiert. Die Schulen wurden geschlossen, bevor der erste Covid-19-Tote zu beklagen war. Vor den Geschäften kann man schon seit Mitte März mit Seife die Hände waschen, von 19 Uhr abends bis 5 Uhr morgens gilt eine Ausgangssperre.
Schnell wurde auch die Reisefreiheit eingeschränkt. Am 25. März stoppte die Regierung den internationalen Flugverkehr.
Der Landweg sei schon vor der Krise nicht wirklich eine Option gewesen, und jetzt gebe es keine Möglichkeit mehr, das Land selbständig zu verlassen. Schlimm sei die Situation deswegen noch nicht. Die bestätigten Fallzahlen hielten sich bisher in Grenzen, die kenianische Regierung agiere gut, sein Visum könne er seit Neustem unkompliziert online verlängern.
Was aber Angst mache, seien die fehlenden Reserven in der Bevölkerung und bei der Infrastruktur, sagt Pettenati. Das Virus drohe, die ohnehin bestehenden Probleme zu verschlimmern — mit unabsehbaren Folgen.
Der informelle Sektor sei gross, die Arbeitssituation für viele prekär. So gestalte sich auch die Sache mit dem Distanzhalten schwierig. Busfahrer, beispielsweise, verdienten pro Ticket. Eine Fahrt lohnt sich also nur, wenn der Bus voll ist. Die Polizei mache zwar Kontrollen, doch oftmals würden diese durch die weit verbreitete Korruption wirkungslos.
“Generell ruft man nicht die Polizei — die rücken eigentlich nur aus, um Leichen zu bergen“, erklärt Pettenati. Als sie früher einmal Schüsse gehört hatten und jemanden wegrennen sahen, habe seine Frau abgewinkt, als er vorschlug, die Behörden zu informieren.
Da schwingt die Furcht vor Selbstjustiz mit, falls die Krise Kenia wirklich hart erwischt und es zu einer Panikreaktion käme — “wenn hier Panik ausbricht, stelle ich mir das grimmig vor“, sagt Pettenati. Er erinnert an gewaltsame Zusammenstösse im Kontext vergangener Wahlen.
In einem solchen Szenario könne man auch kaum auf Unterstützung vor Ort zurückgreifen, ist er überzeugt. Familie und Freunde hätten keine Ersparnisse, die sie in einer Notsituation einsetzen könnten. Hinzu komme die prekäre Situation im Gesundheitswesen.
Als es letzten Frühling darum ging, einen Ort für die Geburt ihres Sohnes auszuwählen, schauten sich Pettenati und seine Frau verschiedene Spitäler an. Das Resultat war so ernüchternd, dass sie sich für eine Heimgeburt unter Anleitung einer professionellen Hebamme entschieden.
Pettenati und seine Frau hatten schon früh in der Krise den Grundsatzentscheid gefällt, als Familie zusammenzubleiben. Schnell und unkompliziert erhielten sie von der Schweizer Botschaft in Nairobi die Zusage für die nötigen Visa zur Einreise in die Schweiz. Da hätten sie ein deutlich besseres Sicherheitsnetz als in Kenia.
Nun ist das Problem der fehlende Flug. Pettenati registrierte die Familie in der App des Schweizer Aussenministeriums (EDA) und bekam von der Vertretung vor Ort zugesichert, dass er informiert würde, falls ein Sonderflug organisiert werde. Ob und wann dies der Fall sein würde, blieb aber unklar.
Einmal hätte es die Möglichkeit gegeben, mit Qatar Airways in eine noch zu definierende europäische Stadt zu fliegen (gegen Vorauszahlung von USD 2000 pro Person). Aus Angst, dann mit zwei Touristenvisa irgendwo in Europa festzusitzen und nicht in die Schweiz weiterreisen zu können, meldete sich Pettenati nicht darauf. So steht er mit seiner Familie weiterhin auf einer Liste des EDA.
Auf Nachfrage nennt das EDA folgende Kriterien für die Auswahl der Länder in seiner “grössten Rückholaktion in der Geschichte”:
In Kenia hätten viele Touristinnen und Touristen die Option der kommerziellen Flüge genutzt, solange es diese noch gab, schreibt die Behörde. Danach seien Sonderflüge organisiert worden, insbesondere von EU-Staaten. Dies habe “einem Grossteil der gestrandeten Schweizer und Schweizerinnen” die Rückreise erlaubt.
Einige Tage nach dem Gespräch mit Pettenati wurde denn auch “der letzte Flug aus Afrika” angekündigt. Er kam aus Westafrika, nicht aus Kenia, und landete heute in Zürich. Pettenati erfuhr aus der Schweizer Presse vom Ende der Rückholaktion.
Es sei möglich, dass europäische Staaten weitere Sonderflüge organisieren, schreibt das EDA bezüglich Kenia. “In diesem Fall würde die Schweizerische Botschaft ausreisewillige Schweizerinnen und Schweizer informieren und bei der Organisation ihrer Rückreise unterstützen.” Im Vordergrund stehe nun jedoch “die Betreuung derjenigen Personen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht in die Schweiz zurückkehren können oder wollen”.
Es sieht also ganz danach aus, dass das Quarantänezimmer in der Schweiz leer bleiben wird. Bis es vielleicht doch noch klappt, bleiben Pettenati und seine Familie in Nairobi zu Hause und sammeln Regenwasser für den Fall, dass der Tanklastwagen nicht mehr kommen würde. Wenn sie trotzdem mal raus müssen, tragen sie lokal gefertigte Masken, von denen man zwar nicht weiss, ob sie was nützen, die aber zumindest ein Gefühl von Sicherheit vermitteln.
Hier diskutieren Fachleute ihre Erfahrung aus der Praxis. Alle drei Monate erscheint ein thematischer Blog zu einer drängenden Frage der internationalen Arbeit.