18. Dezember 2013

An Tagen wie diesen… oder „A day in the life of a Mercator fellow”

Kigali, Ruanda, Gender Monitoring Office, ein Dienstagmorgen Anfang November. Als ich um 8 Uhr das Büro betrete habe ich gemischte Gefühle. Das Mercator Programm ist wirklich eine einmalige Gelegenheit bei spannenden Organisationen Berufserfahrung und Expertise zu sammeln, aber selbst in so einem Programm gibt es Frustrationen. Auch wenn wir immer wieder betonen, dass wir KEINE Praktikanten sind und viele von uns über die ersten Jahre Berufserfahrung verfügen, liegt es oft in der Natur der Sache, wenn man irgendwo nur für eine kurze Zeit ist, dass man wie ein/e Praktikant/in behandelt wird und nur wenig Verantwortung und eigene Aufgaben bekommt. Besonders wenn man im Ausland bei einer nationalen Behörde ist, wie das bei mir der Fall ist und man zusätzlich die Lokalsprache nicht spricht.

Also machte ich mich wie die Tage davor daran die Genderprüfberichte der einzelnen Ministerien Korrektur zu lesen. Wie viele Frauen arbeiten als leitende Angestellte? Sind das Budget und die Plannungsdokumente des Ministeriums gendersensibel, werden die speziellen Bedürfnisse von Frauen beachtet? Wie viele der neu vergebenen Kleinstkredite gingen an Frauen im letzten Jahr? Korrekturlesen, da Ruanda eins der wenigen Länder der Welt ist, das von frankophone auf anglophone gewechselt hat. Dies hat zur Folge, dass die Frankophonen im Büro oft Schwierigkeiten haben, Berichte auf Englisch zu schreiben, es aber von ihnen erwartet wird. Daran kann man auch leicht erkennen, wo die Person während des Genozids war. Frankophone waren in Ruanda, Kongo oder Burundi, Anglophone wahrscheinlich im Exil in Kenia, Tansania oder, wie Präsident Kagame, in Uganda. Präsident Kagame selbst spricht kaum Französisch.

Doch plötzlich reißt mich ein Anruf aus dem Korrigieren der Berichte. Die Direktorin des Büros fragt, ob ich Zeit hätte. Sie hat eine Einladung zu einem United Nations Peacekeeping Department Workshop hier, in Kigali, über gendersensible Gefängnisse und weibliche Gefängnisexperten in VN Friedensmissionen, aber leider keine Zeit teilzunehmen, ob ich sie vertreten könne? Natürlich will ich und jetzt bin ich dankbar für meinen noch heute morgen verfluchten Praktikanten ähnlichen Status, denn so habe ich die Zeit und die Freiheit an solch spannenden Workshops teilzunehmen! Peacekeeping und Gender? Genau mein Interessensgebiet! Meine Augen fangen an zu leuchten. Fünf Minuten später sitze ich im Jeep auf dem Weg zum Konferenzhotel.

Dort ist der Workshop schon im vollen Gange. Experten aus Schweden, Burkina Faso, Kenia, Kanada und Ruanda sowie Personal der Vereinten Nationen aus New York und den verschiedenen Friedensmissionen sind schon fleißig am Brainstormen und sich austauschen. (Wie es der Zufall so will, kannte der Gesandte von der Friedensmission im Südsudan und die Expertin von der VN Mission an der Elfenbeinküste Mercatoris aus dem Jahrgang über mir. Zeigt mal wieder, die Mercatoris sind überall und die Welt ist klein, besonders auf diesem Gebiet!)

„Wie kann ich auf die speziellen Bedürfnisse von weiblichen Insassen eingehen, wenn mir weiterhin jede Woche Insassen verhungern, weil die Ressourcen zu knapp sind und das Gefängnissystem in einem so schlechten Zustand?“ fragt die Verantwortliche für Gefängnisse bei einer afrikanischen Friedensmission. Ihr Einwand: „Die Verpflegung von Gefängnisinsassen ist oft die letzte Priorität, da die Problematik nicht so bekannt ist und nicht soviel Sympathie hervorruft wie UNICEF und die Hilfe für notleidende Kinder. Es gibt  nur wenige Hilfsorganisationen, die in diesem Bereich arbeiten, dennoch ist das Gefängnissystem besonders nach einem Konflikt oft total überlastet“. „Aber es ist ein wichtiges Signal, wenn die lokale Bevölkerung Frauen im Sicherheitsapparat arbeiten sehen, das ermutigt Frauen vor Ort und gibt ihnen mehr ein Gefühl der Sicherheit, wenn sie weibliche Ansprechpartner haben“ entgegnet ein anderer VN Friedensmissionen-Veteran.

„Es scheint, dass wir alle den Mehrwert von mehr Frauen in Friedensmissionen sehen, aber wie ermöglichen wir es Frauen trotz familiären Verpflichtungen sich für 1-2 Jahre für eine Friedensmission zu entscheiden?“ fragt der Moderator in die Runde. „Und was genau ist mit „gendersensiblem Training“ gemeint?“ die Augen richteten sich auf mich, schließlich repräsentiere ich das Gender Monitoring Office.  Gendersensible Gefängnisse sind auf zwei Ebenen auf die Bedürfnisse von Frauen eingerichtet, einmal intern auf die Bedürfnisse der Frauen, die dort arbeiten sowie auch die besonderen Bedürfnisse der Insassinnen, schließlich sind die Gründe warum Frauen im Gefängnis landen oft andere als die von Männern. Weibliche Gefängnisinsassen haben oft eine Biographie von Misshandlung und häuslicher Gewalt hinter sich. Da Abtreibung in vielen Ländern illegal ist, so auch in Ruanda außer nach Vergewaltigungen, landen oft junge Frauen im Gefängnis, die versucht haben eine ungewollte Schwangerschaft abzubrechen. In Afghanistan können Familienmitglieder die Strafe füreinander übernehmen, eine kanadische Gefängnisexpertin erzählte von einem Fall in Afghanistan, wo eine Großmutter für ihren Enkel die Gefängnisstrafe absitzt.

Zum Abschluss der Konferenz hält die Ministerin für Gender eine Rede. Sie erkennt mich wieder und begrüßt mich mit einem Lächeln. Schließlich hatte ich sie vor zwei Wochen auf dem Land bei einer Dorfgemeinschaft-Pflanzaktion (mehr als 40 Prozent der ruandischen Kinder haben Wachstumsstörungen wegen Mangelernährung) und Kuh-Verschenk-Zeremonie für erfolgreiche Frauenkooperativen getroffen.

Am nächsten morgen besuchen wir das neugebaute Gefägnis in Nyanza, eins der Vorzeigegefängnisse Ruandas mit 6000 Insassen, 250 Männer pro Schlafsaal. Mehr als 4000 von ihnen wurden für ihre Rolle im Genozid 1994 verurteilt und sind seit fast 20 Jahren in Haft. Es gibt auch einen speziellen Trakt für Frauen und den „internationalen Trakt“ für verurteilte Kriegsverbrecher vom Sondertribunal für Sierra Leone, Ruanda hatte sich 2009 bereit erklärt verurteilte Kriegsverbrecher für ihre Gefängnisstrafe aufzunehmen.

An Tagen wie diesen liebe ich das Kolleg-Jahr! Plötzlich ist man an Orten und mit Leuten, das man selbst Stunden vorher für nie möglich gehalten hätte und hat die Möglichkeit sein Schwerpunktthema in ungeahnte neue Richtungen zu erweitern! Es ist wirklich ein Jahr zum Lernen und Ausprobieren, eine einmalige Chance und für diese Freiheit nehme ich dann auch gerne den Praktikanten ähnlichen Status in Kauf, auch an einem Dienstagmorgen um acht.