5. April 2012

Auf Mission im Grenzgebiet zwischen dem Südsudan und dem Sudan

Es ist heiß. 42° Celsius. Ich stehe in der prallen, brennenden Sonne ganz im Norden des Südsudans. Mein Mund ist so trocken wie Steppengras. Starker, stetiger Wind bläst mir Staub und Sand ins Gesicht. Ich kneife die Augen zusammen. Ein Südsudanese schildert mir gerade, wie Rebellen eine Basis der südsudanesischen Armee angegriffen haben und dabei Zivilisten aus seiner Ortschaft ins Kreuzfeuer geraten sind. Ein wiederkehrendes Problem. Mein Stift rast über den Notizblock. Was ich hier mache?

Seit Oktober 2011 bin ich im Rahmen des Mercator Kollegs für Internationale Aufgaben im Südsudan und arbeite zurzeit bei der Crisis Prevention and Recovery Unit vom United Nations Development Programme (UNDP) in der Abteilung für Community Security and Arms Control. Die Abteilung unterstützt die Regierung bei dem Aufbau von konfliktentschärfender Infrastruktur, der Ausbildung eines Peacekaders für die Mediation zwischen Konfliktparteien sowie der Kontrolle von Schusswaffen. Ich lerne hier jeden Tag etwas Neues und habe die Möglichkeit die Mentalität der Menschen des jüngsten Staates der Erde und ihre Kultur kennenzulernen, wie beispielsweise das südsudanesische Essen. Aber dazu am Ende mehr.

Der Südsudan ist konflikttechnisch gesehen eines der komplexesten Länder der Welt. Die Menschen im Sudan und Südsudan durchlitten insgesamt fast vier Jahrzehnte lang Bürgerkrieg zwischen dem arabisch-islamisch geprägten Norden und dem schwarzafrikanischen vornehmlich christlichen Süden. Allein die letzten 22 Jahre Bürgerkrieg forderten bis zu zwei Millionen Menschenleben und ließen unzählige Verletzte oder Vertriebene zurück.

Seit der Unabhängigkeit des Südsudans im Juli 2011 sind neue Konflikte aufgeflammt. Einige Stämme kämpfen gegeneinander, andere untereinander. Die massenhaft vorhandenen Maschinengewehre – ein Erbe des langen Bürgerkrieges – tragen dazu bei, dass Konflikte besonders blutig ausgetragen werden. An der gemeinsamen Grenze mit dem Sudan kommt es zunehmend zu Gefechten zwischen den Truppen beider Länder. Zusätzlich kämpfen im Sudan wie im Südsudan Rebellen gegen die jeweilige Regierung. Und im Südsudan verüben Anhänger der Lord Resistance Army (LRA) vereinzelt Gräueltaten.

Bei den meisten Konflikten geht es um Ressourcen wie z.B. Vieh, Weideland, Wasser oder Öl. Da es im Südsudan, einem Land von der Größe Frankreichs, nur wenige Straßen gibt, können Sicherheitskräfte nicht schnell bzw. oft auch gar nicht bei Konflikten eingreifen, um die Bevölkerung zu schützen. Hinzu kommt, dass die Sicherheitskräfte sowohl schlecht ausgebildet als auch nur unzureichend ausgestattet sind. Beispielsweise mangelt es an Polizeistationen in besonders brenzligen Gegenden.

Im Rahmen meiner Arbeit wurde mir angeboten, an einer UNDP Mission im Bundesstaat Unity teilzunehmen. Ich nahm das Angebot gern an, obwohl die Region nicht ganz ungefährlich ist. Die UN stuft das Sicherheitsrisiko in Unity als „substanziell“ ein. Der Bundesstaat grenzt an Sudans Unruheprovinz Südkordofan und verfügt über große Ölfelder, die teilweise vom Sudan begehrt werden.

Die damalige Sicherheitslage ließ die Mission aber zu und die Sicherheitsvorkehrungen von UNDP sind sehr umfangreich. Unser Bewegungsradius wurde stark eingeschränkt und auf die Hauptstadt Bentiu reduziert. Die Straßen um die Stadt herum sind teilweise vermint und es gibt bewaffnete Banden, die dort ihr Unwesen treiben. Da ein Fahrzeugkonvoi als Reisemöglichkeit nicht infrage kam, flogen wir von Juba aus mit einer UN-Maschine. Innerhalb von Bentiu bewegten wir uns in Geländewagen fort und übernachteten in Containern im Lager der UN-Blauhelmmission.

Nördlich von Bentiu war die Sicherheitslage rau. Am Tag unserer Ankunft wurde von heftigen Gefechten berichtet, die an der Grenze Sudan-Südsudan ausgebrochen waren. Rebellengruppen hatten einen Stützpunkt der sudanesischen Armee angegriffen und behaupteten anschließend, 150 Soldaten getötet zu haben. Die Armee bestritt dies, gab selber aber keinerlei Auskünfte über Verluste und behauptete ihrerseits, viele Rebellen getötet zu haben.

Einen Tag nach unserer Ankunft wurde eine der beiden Gemeinden, die wir treffen wollten, aus der Luft angegriffen. Laut Regierungsangaben starben fünf Menschen und zehn weitere wurden verletzt. Als Aggressor kam nur der Sudan infrage, der aber bestritt südsudanesisches Hoheitsgebiet bombardiert zu haben (auf einen genauen Grenzverlauf haben sich beide Ländern noch nicht einigen können). Besonders alarmierend an diesem Angriff war, dass nicht wie bei bisherigen Luftschlägen für den Bombenabwurf umgerüstete russische Transportflugzeuge eingesetzt wurden, sondern Kampfjets. Die UN hatte uns aus Sicherheitsgründen strengstens untersagt, die Gemeinde zu betreten. Insofern fanden die Angriffe ca. fünfzig Kilometer entfernt von uns statt.

In Bentiu blieb es ruhig, obwohl die Stadt im Norden des Bundesstaates Unity gelegen ist. Ziel der Mission war es, die Regierung dabei zu unterstützen, zwei Gemeindekonsultationen mit jeweils fünfzig Repräsentanten (darunter auch Frauen) durchzuführen; also die Gemeinden zu befragen, um die dortigen Konflikte besser zu verstehen. Dafür hatten wir je Gemeinde drei Tage Zeit.

Die Teilnehmer identifizierten die drängendsten Konflikte in ihrer unmittelbaren Umgebung sowie deren Ursachen, Auswirkungen und mögliche Lösungen. Beispielsweise kam eine Gemeinde zu dem Schluss, dass von neun identifizierten Konflikten, Kämpfe um Wasser ihr größtes Problem seien und der Bau von Wasserinfrastruktur an strategisch günstigen Positionen diese Konflikte in Zukunft verhindern könne.

Wir moderierten die Diskussionen, stellten offene Fragen und setzten die vielen Informationen wie Mosaiksteine zu einem Bild (und Bericht) zusammen. Da die Analphabetenrate im Südsudan 75% beträgt, verwendeten die Teilnehmer Steine, um die Dimension von bestimmten Konflikten zu veranschaulichen. Wir benötigten mehrere Übersetzer, da die meisten Gemeindemitglieder kein Englisch sprachen. Bei einigen Gesprächsrunden schrieb ich die Ergebnisse mit, bei anderen hatte ich Gelegenheit, die Diskussion zu moderieren. Am Ende der Konsultationen wurden die Ergebnisse von Regierungsmitgliedern bewertet.

UNDP kann die Regierung bei der Umsetzung der Projekte, die die Gemeindemitglieder als konfliktentschärfend identifiziert haben, finanziell und technisch unterstützen: z.B. den Bau von Straßen, Wasserinfrastruktur sowie Polizeistationen. Aber die Regierung muss diese Prozesse führen und ihr Schicksal selber in die Hand nehmen. Zusätzlich wird UNDP darauf hinwirken, dass die Regierung für die Instandhaltung und die Nachhaltigkeit der Projekte entsprechend plant und finanziell vorsorgt, unter anderem indem Regierungsmitglieder und ihre Mitarbeiter besser ausgebildet und auf ihre Aufgaben vorbereitet werden. Die Errichtung von Infrastruktur stellt einen wichtigen Baustein zur Vorbeugung und Überwindung vieler Konflikte im Südsudan dar und erleichtert in einigen Fällen die Mediation zwischen den Konfliktparteien.

Zum Abschluss der Konsultationen lud uns die Regierung zum Mittagessen ein. So lernte ich noch ein neues südsudanesisches Gericht kennen, das man mit den Fingern aß. Es gab Innereien in einer Soße. Während das Essen hier normalerweise sehr lecker ist, verriet mir in diesem Fall schon der Geruch, dass dies nicht mein Leibgericht werden würde. Ich versuchte mich zurückzuhalten ohne unhöflich zu sein. Nichts zu essen wäre eine grobe Beleidigung gewesen. Um nur wenig Zeit zum Essen zu haben, riss ich das Gesprächsthema an mich und redete ohne Punkt und Komma.

nicolai.vonhoyningen@mercator-fellows.org