12. Juni 2015

Der Weg zur post- karbonen Gesellschaft? – „Nur mit überzeugender Zukunftsvision“ Interview mit Risikoforscher Prof. Dr. Dr. h. c. Ortwin Renn

Dass es menschengemachten Klimawandel gibt und die Politik tätig werden muss, ist in der Wissenschaft längst Konsens. Dennoch hinkt die Politik hinterher. Wieso? Ist sie mit der Komplexität des Klimawandels und seinen komplexen Risiken überfordert? ad hoc international hat mit Risikoforscher und Politikberater Prof. Dr. Dr. h. c. Ortwin Renn gesprochen – über unser Verständnis von Klimawandel, die Stolpersteine in der Klimapolitik und wie unsere Gesellschaft diese überwinden kann.

ad hoc: Prof. Renn, versuchen wir zunächst einmal die Komplexität des Phänomens zu reduzieren, über das wir hier sprechen. Klimawandel ist eine abstrakte Erscheinung, deren Folgen wir in die Zukunft projizieren. Das motiviert nicht unbedingt zum Handeln. Wie können wir das überwinden?

Renn: Wir müssen einsehen, dass wir so wie bisher nicht weitermachen können. Es geht um unseren Lebensstil und wie wir unsere Wirtschaft organisieren und betreiben. Für die Entwicklungen in der Zukunft gibt es bereits in sich schlüssige Simulationen, die deutlich machen, was passiert, wenn wir nicht gegensteuern. Gut gemeint, aber weitgehend kontraproduktiv sind solche Szenarien, die sich auf Katastrophensemantik versteifen. Plötzliche Katastrophen sind auch nicht zu erwarten – zumindest bei uns in Europa. Klimawandel ereignet sich schleichend und je länger wir warten, desto eher schmelzen unsere ökologischen wie auch ökonomischen Grundlagen dahin. Handeln wir nicht jetzt, kommen uns die Konsequenzen schon bald teuer zu stehen und wir sehen uns mit irreversiblen Schäden konfrontiert.

© Acatech, München

ad hoc: In der Tat ist die Situation alarmierend, wir haben nicht einmal einen Stillstand der Emissionen erreicht. Gleichzeitig ist die Akzeptanz von klimaschützenden Maßnahmen in der Bevölkerung hoch. Die Entscheidung für einen Politiker, in diese Richtung etwas zu unternehmen, ist daher doch relativ einfach.

Renn: Im Prinzip ja, fragen wir aber: „Wären Sie bereit im Namen des Klimaschutzes höhere Steuern zu bezahlen?“, dann sinkt die Akzeptanz auch bei der Bevölkerung. Die Politik reflektiert zwar den grundsätzlichen Wunsch der Bürger, etwas zu tun, weiß aber auch, dass es letztlich nicht viel kosten darf – frei nach der Low-Cost-Hypothese: Wir machen alles mit, solange es uns nicht zu sehr schmerzt. Das weiß die Politik sehr genau.

ad hoc: Wie konnte dann aber die Energiewende verabschiedet werden? Natürlich gab es da mehrere Einflussfaktoren, aber sie wird uns finanziell ja auch einiges abverlangen.
Renn: Bei der Energiewende gab es eine Vision, die alle Akteure überzeugt hat – von Gewerkschaften bis zum Kohle- kraftwerksbetreiber. Das letztlich alle vereinende Narrativ war: Mit den neuen Energieträgern entwickeln wir eine neue und kreative Industriekultur – für uns als exportabhängiges Land eine ganz neue Form des „made in Germany“. Nach dem Motto: Wir stehen für neue nachhaltige Systeme, die wir auch im Ausland anbieten können.

ad hoc: Das klingt nach einem Szenario, bei dem letztlich alle profitieren.
Renn: In diesem Fall leider nicht. Eine sogenannte win-win- Situation suggeriert, alle gewinnen und keiner verliert. Doch so wird es nicht sein. Kernkraftwerksbetreiber werden verlieren; auch die Betreiber von Bergwerken und fossilen Kraftwerken: Die Kohle muss im Boden bleiben. Menschen, die bisher in diesen Bereichen ihren Lebensunterhalt verdient haben, benötigen neue Perspektiven. Ich vergleiche es mal mit der Pubertät: Freiwillig will da keiner durch. Wenn wir erwachsen werden wollen, haben wir da aber keine Wahl. Wollen wir langfristig Zukunft sichern, müssen wir durch diesen Transformationsprozess.

Die menschengestaltete Welt des Anthropozän verlangt nach Mitverantwortung. © Charles Tilford

ad hoc: … der wohl alles andere als ein Spaziergang sein wird.

Renn: Alle Transformationsprozesse sind mit Belastungen, mit Brüchen und Schmerzen verbunden. Wichtig ist, dass man dies auch ehrlich kommuniziert, sonst gibt man eine Illusion vor, die nicht einlösbar ist. Außerdem muss man sich sehr gut überlegen, wie man Transformationsprozesse sozialverträglich abfedert. In einer Kohleregion wie der Lausitz können wir die Leute nicht alle in die Arbeitslosigkeit entlassen oder zum Solarpfleger umschulen. Das funktioniert nicht. Wir müssen ein Narrativ entwickeln, ja, eine Vision und Hoffnung, die für die betroffenen Menschen auch attraktiv ist. Wenn es eine überzeugende Aussicht gibt, für die es sich lohnt, den Transformationsprozess auf sich zu nehmen, ist die Politik eher gewillt, diesen Weg einzuschlagen. Können wir gleichzeitig nachweisen, dass Wirtschaft, öffentlicher Wohlstand und Entwicklung auch mit einem konsequenten Dekarbonisierungsprogramm vereinbar sind, nimmt das auch die Angst vor dem Transformationsprozess.

ad hoc: Welches Narrativ könnte uns durch diesen Transformationsprozess leiten?

Renn: Halten wir uns das Narrativ des Anthropozän vor Augen. Wir befinden uns im Zeitalter einer durch menschliche Handlungen gestalteten Welt. Wir verfügen heute als Menschheit über weitreichende organisatorische Maßnahmen, mit denen wir signifikant die natürlichen Kreisläufe und unsere Umgebung prägen. Das hat uns ein exponentielles Bevölkerungswachstum eingebracht, aber auch all die Umweltprobleme, mit denen wir jetzt umgehen müssen. Wir können nicht einfach mehr abwarten und hoffen, dass alles noch mal gut geht. Wir sind zentrale Mitgestalter unseres Planeten geworden – und Mitgestaltung heißt auch Mitverantwortung.
Zum Wohle unserer Lebensqualität, aber auch zum Wohle künftiger Generationen. Wir müssen dabei unsere individu- ellen Ansprüche hier in Deutschland und anderen wohlhabenden Ländern reduzieren. Um etwas Kostbares zu gewin- nen: die Aussicht auf ein humanes Leben für alle Menschen und die folgenden Generationen. Wenn wir es nicht schaffen, eine positive und überzeugende Zukunftsvision zu erstellen, wird es sehr schwer werden, den Wandel zur post-karbonen Gesellschaft herbeizuführen.

ad hoc: Wie weit muss eine solche Vision gehen? 2030, 2050, 2070? Renn: Bei den großen Schritten, die wir Richtung Nachhaltigkeit unternehmen müssen, muss der Weg das Ziel sein. Jeden Tag weniger CO2 ausstoßen als am Tag zuvor. Wir werden sehen, ein solches Programm ist realistisch. Die Wirtschaft bricht nicht zusammen – das wären erste Erfolgsmeldungen. Solche Ankerpunkte sind für die Glaubwürdigkeit einer nachhaltigen Transformationspolitik essentiell. Darauf kann man dann sukzessiv aufbauen.

ad hoc: Lieber Prof. Renn, ich danke Ihnen für das Gespräch.