24. November 2012

Die Eroberung Gomas – Einmal mehr scheint sich im Kongo Geschichte zu wiederholen

Die Eroberung Gomas – Einmal mehr scheint sich im Kongo Geschichte zu wiederholen

Der Fall Gomas

Vergangene Woche hat der seit Monaten schwelende Konflikt im Osten der Demokratischen Republik Kongo eine neue Dynamik erfahren. Die Bewegung des 23. März, M23, eine hauptsächlich (aber nicht ausschließlich, wie oft andernorts kolportiert wird) aus kongolesischen Tutsi und Ex-Kadern der Rebellenarmee des CNDP zusammengesetzte Gruppierung hat die wichtige Grenzstadt Goma eingenommen. Erinnerungen an die Geschichte der erwähnten CNDP sowie dem zweiten Kongokrieg als die RCD das Gebiet eroberte werden wach. Die Eroberung verlief quasi kampflos, ein Glücksfall für die Zivilbevölkerung, doch ein Armutszeugnis für die kongolesische Regierungsarmee FARDC und die UN-Friedensmission MONUSCO. Derzeit kontrolliert M23 ganz Goma, die MONUSCO-Präsenz auf dem Flughafen wird toleriert. Die Rebellen sind seit dem Sturm auf Goma zudem west- und südwärts in Richtung Sake, Kitchanga und Kirolirwe vorgerückt – allesamt strategische Orte in der Provinz Nordkivu in der an Straßenachsen gelegene Kleinstädte von enormer militärischer Bedeutung sind.

Hat die Reaktion der maroden kongolesischen Armee ihrem Ruf alle Ehre gemacht, so war die Verwunderung über das Nichteingreifen der MONUSCO größer. Ein etwas genauerer Blick auf die Gemengelage lohnt sich hier: Legalistisch betrachtet hat MONUSCO durch sein Nichthandeln das aktuelle Mandat exakt ausgeführt: Zum einen sollen die Blauhelme die Zivilbevölkerung beschützen – das wichtigste Element, hierarchisch betrachtet, in der Resolution. MONUSCO hat durch sein Nichteingreifen Kampfhandlungen im Stadtgebiet verhindert und somit Zivilbevölkerung geschützt. Außerdem ist MONUSCO mandatiert, die kongolesischen Institutionen zu unterstützen. Nach der Flucht der FARDC war allerdings niemand mehr vorhanden, den man bei der Verteidigung der Stadt unterstützen konnte. Strikt nach Mandat ist auch in diesem Punkt das Verhalten von MONUSCO absolut nachzuvollziehen. Allerdings muss das nicht bedeuten, dass die Reaktion der MONUSCO richtig war, denn die Friedensmission hat noch immer und trotz Wortlautes der maßgeblichen Resolution ein Mandat unter Kapitel VII der UN-Charta, was aktives Eingreifen erlaubt und bei Notwendigkeit vorschreibt. Tatsache ist jedoch, dass die weder die Leitung der Mission als auch die UN-Spitze und die truppenstellenden Staaten (v.a. Pakistan, Indien, Bangladesh, Uruguay) die Blauhelme in einen „echten Krieg“ verwickeln wollen.

Nunmehr bewegt sich M23 weiter süd- und westwärts

Nach der Eroberung Gomas marschierten M23-Soldaten im Rahmen ad-hoc inszenierter Siegesparaden auf und ab und versammelten am Folgetag die verbleibenden FARDC-Soldaten und Polizisten, welche unmittelbar mitsamt ihren Waffen in die Reihen der M23 aufgenommen wurden. Sollten bisherige Schätzungen in etwa akkurat gewesen sein, wovon auszugehen ist, verfügt M23 nun über etwa 5000 Kombattanten, Tendenz steigend. Fraglich ist jedoch ob die neuintegrierten Rebellen genauso loyal, gut ausgerüstet und trainiert sind wie die ursprünglichen Rebellen. Die humanitären Konsequenzen dieser Geschehnisse sind vergleichsweise gering, da es im Stadtgebiet von Goma nicht zu Gefechten gekommen ist. Allerdings berichten lokale Augenzeugen von einigen wenigen gezielten Hinrichtungen durch die M23 und plündernde FARDC-Soldaten während ihrer Flucht aus Goma. In Sake, 25 Kilometer westwärts von Goma gab es hingegen heftige Kämpfe zwischen M23 und einer Koalition zwischen FARDC und Teilen der Rebellengruppe Nyatura. Die Lage in den großen Flüchtlings- und Vertriebenensiedlungen Kanyaruchinya und Mugunga, jeweils wenige Kilometer von Goma entfernt ist ebenfalls besorgniserregend. Zum Teil sind die Camps aufgelöst worden und das Schicksal ihrer Bewohner fraglich, zum Teil ist die adäquate humanitäre Versorgung nicht gewährleistet, da zahlreiche internationale Organisationen aufgrund der vorrückenden M23 evakuiert oder ihre Operationen minimiert haben.

Von Sake aus, dem südwestlichsten der aktuell (die Situation kann sich fast stündlich ändern) kontrollierten Gebiete von M23 ist der Weg nach Süden offen nach Minova, Kalehe, Nyabibwe und letztendlich Bukavu. Während letzteres die Provinzhauptstadt des Südkivu ist und eine Eroberung der Stadt ein weitere Schlag ins Gesicht der Zentralregierung wäre, so sind die anderen Orte sowohl Rohstofflagerstätten als auch Hochburgen von M23-feindlichen Milizen – was den Konflikt weiter anfachen könnte. Gen Westen steht M23 kurz vor Mushaki, einem wichtigen Armeestützpunkt. Sollte dieser in die Hände der Meuterer fallen ist die Region um Masisi ebenfalls M23-Gebiet, es käme zu einem Frontzusammenschluss mit den befreundeten Milizen von Colonel Badege und der NDC von Sheka Ntaberi. Solch eine Koalition wiederum stieße auf starken Widerstand bei Mayi Mayi und Raia Mutomboki Milizen, was die humanitäre Situation in der Gegend weiter gefährden kann.

Was passiert auf regionaler und internationaler Ebene?

Während die kongolesische Regierung noch immer noch ablehnt direkte Verhandlungen mit M23 einzugehen, endete vor wenigen Augenblicken ein Sondergipfel der Regionalorganisationen ICGLR (Region der Großen Seen) und SADC (südliches Afrika). Zuvor hatten bereits Präsident Kabila sowie seine Amtkollegen aus Ruanda und Uganda, Kagame und Museveni (beide beschuldigt, M23 zu unterstützen) erklärt, die Rebellen müssen sich mit sofortiger Wirkung in das Gebiet Rutshuru, nördlich von Goma und Ausgangsbasis von M23, zurückziehen. Die in diesen Minuten der Presse vorgetragene Erklärung des Gipfels unterstreicht diese Forderungen, allerdings bleibt abzusehen, welche Zugeständnisse die unter Druck stehende Regierung des Kongo macht und wie M23 darauf reagiert.

Auf internationaler Ebene hat UN-Sicherheitsrat am vergangenen Donnerstag eine verhältnismäßig zahnlose Resolution verabschiedet. Ebenfalls an diesem Tag ist der Endbericht der UN-Expertengruppe veröffentlicht worden. Die bereits geäußerten Vorwürfe gegenüber Ruanda werden um weiteres Material ergänzt und auch Uganda ist laut Experten ein Rückhalt für M23. Die Glaubwürdigkeit des mit Anhang über 200 Seiten langen Berichts wächst angesichts von immer zahlreicheren Zeugenaussagen zur direkten Militärpräsenz ruandischer und ugandischer Soldaten in den Reihen von M23. Trotz zahlreicher Kommentare, so von Frankreichs und Belgiens Außenministern und dem britischen Premier Cameron, bleibt die Initiative der internationalen Gemeinschaft bislang nahezu unsichtbar, sowohl auf Ebene des Sicherheitsrates als auch vor Ort im Ostkongo.

Sowohl für die beiden Kivuprovinzen, als auch die umliegende Region birgt die derzeitige Lage das Potential für größere Umwälzungen. Wie diese aussehen könnten hängt in erster Linie vom Handeln der beteiligten Konfliktakteure ab, aber auch vom Engagement einer weiteren Riege politischer Akteure von denen die Mehrzahl sich in den bisherigen Ostkongokrisen seit 20 Jahren wahrlich kein Lorbeerblatt ans Revers geheftet haben.

Einen vertiefenden Überblick über die historisch-politischen Wurzeln, sowie die aktuelle Krise können folgende Quellen bieten (Auswahl):

Autessere, Sévérine (2010): The Trouble with the Congo. Local Violence and the Failure of International Peacebuilding. Cambridge University Press, Cambridge.
De Waal, Alex (2009): Mission without end? Peacekeeping in the African political marketplace, in: International Affairs, Vol. 85, No. 1, pp. 99–113.
DPKO (2008): United Nations Peacekeeping Operations. Principles and Guidelines (Capstone Doctrine). United Nations, New York.
International Alert (2012): Ending the Deadlock. Towards a new vision of peace in eastern DRC. International Alert, London.
Pole Institute et al. (2012): The Democratic Republic of the Congo: Taking a Stand on Security Sector Reform. Crisis Action, London.
Prunier, Gérard (2009): From Genocide to Continental War. The ‚Congolese‘ Conflict and the Crisis of contemporary Africa. Hurst, London.
Lemarchand, René (2009): The Dynamics of Violence in Central Africa. University of Pennsylvania Press, Philadelphia.
Reynaert, Julie (2010): MONUC/MONUSCO and Civilian Protection in the Kivus. Interns and Volunteers Series. IPIS, Antwerp.
Stearns, Jason (2011): Dancing in the Glory of Monsters. The Collapse of the Congo and the Great War of Africa. Public Affairs, New York.
Stearns, Jason (2012): From CNDP to M23: The evolution of an armed movement in eastern Congo. Usalama Project. Rift Valley Institute, London.
Stearns, Jason (2012): North Kivu: The background to conflict in  North Kivu province of eastern Congo. Usalama Project. Rift Valley Institute, London.
Tull, Dennis M. (2009): Peacekeeping in the Democratic Republic of Congo: Waging Peace and Fighting War, in: International Peacekeeping, Vol.16, No. 2. Taylor & Francis, London, pp. 215–230.
United Nations Security Council (2012): Final report of the Group of Experts on the Democratic Republic of the Congo. S/2012/843. United Nations, New York.
Vlassenroot, Koen/Raeymaekers, Timothy (2004): Conflict and Social Transformation in Eastern DR Congo. Academia Press, Gent.
Vlassenroot, Kown/Raeymakers, Timothy (2009): Kivu’s Intractable Security Conundrum, in: African Affairs, Vol. 108, pp. 475–484.
Vogel, Christoph (2012): Operational Stalemate or Politically Induced Failure? On the Dynamics Influencing Humanitarian Aid in the Democratic Republic of Congo.
Tectum, Marburg.
Zeebroek, Xavier (2008): The United Nations Mission in the Democratic Republic of Congo: Searching for the missing peace. FRIDE, Madrid.