3. Februar 2015

Ein Artikel über Artikel über Griechenland

Zuerst wollte ich diesen Blogartikel mit einer metaphorischen Beschreibung zu den Ergebnissen und Ereignissen der Griechenland-Wahl vom 25. Januar 2015 beginnen. Aber letztlich sind in den deutschsprachigen Medien bereits alle Stilblüten vom Ursprung der Demokratie bis zum Ende Europas bis zum Übermaß zur Anwendung gekommen. Jeder weitere Beitrag zur Interpretation dessen, was in Griechenland vor/während/nach der Parlamentswahl geschehen ist, läuft aktuell Gefahr, nicht nur bereits irgendwo Geschriebenes zu wiederkauen, sondern auch sofort von der Gegenseite kräftigst attackiert zu werden. Es findet ein lobenswert aktiver, aber bedenklich intensiv motivierter Nachrichtenkrieg statt, auf welchen die Medienschaffenden in ein paar Jahren wenig ruhmvoll zurückblicken werden.

Dabei weist die deutschsprachige Berichterstattung über Griechenland Schwächen auf, die auch bei anderen Themen nicht unbekannt sind, aber in ihrer Häufigkeit, Intensität (hier von Qualität zu sprechen, führt in die Irre) und gesamten Gemengelage einen dunklen Schatten werfen. Persönlich nehme ich dabei die folgenden drei Hauptprobleme wahr:

(1) Fakten-Schlammschlacht: Wer soll das bezahlen? Wann geht das Geld aus? Wie viele wurden entlassen? Was brachte das für Wachstum, was für Arbeitslosigkeit? In der Diskussion um die bisherige Griechenland-Krisenpolitik, den neu eingeschlagenen Weg der Tsipras-Regierung und mögliche andere Wege aus der ganzen Misere werden zig Statistiken ins Feld geführt. Hauptsache, irgendwelche Kennziffern mit hoffentlich guter Ankerfunktion („…das ist eine Zahl mit 8 Nullen vorm Komma!“) geben den Anschein, dass hier mit ‚Fakten‘ argumentiert wird. Es ist wohl immer noch nicht breites Verständnis, dass auch Statistiken von jemanden gemacht und durch jemanden interpretiert werden. Zugleich dürfte jedem Kritiker von Medienberichten klar sein, dass es sich nicht um Faktenresistenz handelt, wenn die Gegenseite nicht alle 24 Kennzahlen im Bereich Statistiken fürs Gesundheitswesen in ihrem Artikel erwähnt und zugleich von anderen postulierte ‚Fakten‘ grundsätzlich hinterfragt. Jeder wählt sich die Fakten, die seiner Argumentation dienen, obgleich wir vermuten müssen, dass noch nicht einmal jedem Schreiberling die notwendigen Quellen für ein vollständigeres Bild zur Verfügung stehen. Daher sind und bleiben wahrgenommene Fakten verhandelbar. Konkret muss man hier quantitativ-fundierte Argumente nicht für nichtig erklären, um dennoch einzugestehen, dass Zahlen eine politische Debatte oder Krise nicht lösen beziehungsweise entscheiden werden.

(2) Selektive Realpolitik-Argumentation: Ein Aufschrei ging durch die Republik (welche wohl!?), als klar war, dass Syriza mit Anel koalieren würde. In Windeseile war die Antisemitismus-Keule frisch poliert in Anschlag gebracht. Ebenso auf der Gegenseite, als das machtpolitische Kalkül der EU und ihrer bestimmenden Politiker kritisiert wurde. Auch hier war der Stift für feinste Nazi-Merkel-Karikaturen gespitzt. Dies sind die unzähligen Momente, wo der Faktenresistenz die Ideologie-Kritik oder Moral-Argumentation zur Seite gestellt werden. Man wirft sich gegenseitig blinde Ideologie, amoralische Politik oder kultur- und menschenvernichtende Absichten vor. Auch von Medienschaffenden ist es gewünscht, wertende Stellungen zu beziehen. Was allerdings in der Griechenland-Berichterstattung passiert, ist der moralische Argumentationsschwenk, ausschließlich wenn er benötigt wird – nämlich dann, wenn die ansonsten dominierende, kalte, realpolitische Argumentation nicht zu den gewünschten Ergebnissen führt. So passiert es, dass die Mehrheit der Artikel aus einer wenig reflektierten Kosten-Nutzen-basierten Machtpolitik-Perspektive geschrieben wird, die beispielsweise weder die Annäherung an Russland, noch die Zerstörung von tausenden Existenzen als etwas anderes sieht, als Puzzleteile in einem Bismarck‘schen Spiel der Internationalen Politik. Dieselben Artikel greifen dann aber in selektiven Punkten die Gegenseite mit moralischen Argumenten an – weniger aus Überzeugung, als aus Strategie. Da wird dann ‚alternativlos‘ sinnvoll eine Koalition zwischen weit links und weit rechts gebildet, während man moralisch tief in die Nazi-Vergangenheit zwischen Griechenland und Deutschland eintaucht. Oder von der Gegenposition aus wird der kleinere Koalitionspartner Anel moralisch exkommuniziert, um im selben Zungenschlag scheinbar klar kalkulierend vorzurechnen, warum eine Fortsetzung des bisherigen (brutalen) Sparkurses der ‚alternativlos‘ logische Weg aus der Krise sei.

(3) Rubriken-Stümperei: Nun ist es überhaupt schon auffällig, wie viele Artikel im Zuge der Griechenland-Wahl erschienen sind. Ein solcher Reichtum bei allen aktuellen Nachrichten und wir könnten mit Stolz auf eine vielfältige Medienberichterstattung verweisen. Was allerdings bei den Artikeln zu Griechenland auffällt, ist, wie sie sich durch alle möglichen Rubriken ziehen. Innenpolitik, Außenpolitik, Wirtschaft, Finanzen, Kultur, etc. Dabei scheint es, als werden die Berichte einfach nur so verteilt, dass sie in bestimmten Rubriken gerade erst erschienene Griechenland-Artikel nicht verdrängen (besonders hinsichtlich heutiger Online-basierter Mediendarstellung). Auch wenn diese ‚kreative‘ Rubrikenzuordnung der Artikel nicht zu begrüßen ist, stellt sie alleine noch kein größeres Problem dar. Schwerwiegend ist aber das Rumstampfen der Schreiberlinge zwischen den Rubriken. Da wird mit wirtschaftlicher Sichtweise der Artikel eröffnet, um dann ins Außenpolitische abzugleiten, bevor am Ende auf einmal Vergleiche von ‚Kulturen‘ exerziert werden. Das kann der Stringenz einer Argumentation nicht gut tun und in der Summe leidet die Griechenland-Berichterstattung darunter. Bereits meine Formulierung von der „Griechenland-Berichterstattung“ ist falsch, denn „Griechenland“ kann doch kein singuläres Thema sein. Das ist schon bei „Charlie Hebdo“ in der Vielfältigkeit der Sache eine Herausforderung. Aber wie es dazu gekommen, dass alles von A bis Z innerhalb des Landes Griechenlandes, als auch unzählige Aspekte von Eurokrise bis Russlandkrise unter ‚Griechenland‘ (zum Teil in denselben Artikeln) behandelt werden?!

Was nun gut tun würde, wäre eine Beruhigung der Berichterstattung, die man wohl auch in Kürze vermuten kann. Mit ihrer Erfahrung und beruflichen Ausbildung sollte es doch zumindest den Medienschaffenden gelingen, nicht in unreflektierter Aufregung in die Tastaturen zu hauen oder Mikrofone zu sprechen, sondern die einzelnen Themen – wenn nicht sogar Themengebiete – zu selektieren und getrennt voneinander zu erörtern. Einer Krisenreaktion gleich kämpfen verschiedene Meinungsfraktionen gegeneinander in einem Nachrichtenkrieg. Den Kürzeren ziehen dabei die Medienkonsumierenden, denn es mangelt so stark an Nachricht, an Information, an Erklärung. Stattdessen dominiert der erhobene Zeigefinger. Natürlich wollen Ereignisse interpretiert und nicht geteilte Standpunkte kritisch angegangen werden. Aber das befreit noch lange nicht von der Pflicht, das Gesamtbild zu erfassen und aus einer offen dargelegten Perspektive heraus zu beschreiben: Was passiert hier eigentlich? Und warum?