12. Oktober 2012

Interkulturelle Kommunikation – von der Theorie in die Praxis

Berlin. Mercator Summer School. Seminar für interkulturelle Kommunikation. Interkulturelle Kommunikation? „Selbstverständlichkeit. Eine meiner Kernkompetenzen“, denke ich. Ich habe Islamwissenschaften studiert, viele Monate in nahöstlichen Ländern gelebt. Zumindest in Bezug auf den Nahen Osten fühle ich mich hochkompetent, was die unterschiedlichen Kommunikationskonzepte und –herausforderungen betrifft. Dass hierin eine Herausforderung für meine erste Stage in Jordanien bestehen könnte, sehe ich nicht.

Amman. Dachterasse eines Freundes. Die Theorie über interkulturelle Kommunikation wird fortgesetzt. Auch er hat ein interkulturelles Seminar besucht. Das gehört heute zu einer soliden Ausbildung im internationalen Bereich dazu. Mittelpunkt der Diskussion: Interkulturelle Meetings. Im asiatischen und auch arabischen Raum neige man dazu, sich den anzusprechenden Punkten im Kreis zu nähern, hat er gelernt. Einer Art Strudel, um das ganze zu verbildlichen – jeder Punkt wird im Laufe des Treffens mal angesprochen und irgendwann dringt man zum Kern vor. In Deutschland z.B. arbeitet man sich dabei eher strategisch von Punkt 1 zu Punkt 10 durch. Ja, da erkenne ich mich gleich wieder.

Amman. Büro der International Catholic Migration Commission, meine erste Stage. Ich bekomme eine Einführung in meine Arbeit. Die Theorie der interkulturellen Kommunikation wird plötzlich zur Praxis. Punkt 1-10 kann ich nicht erkennen. Ich fühle mich eher im Strudel gefangen. Versuche verzweifelt, die unterschiedlichen Datenbanken zu verstehen, die mit verschiedenen Aspekten unseres Projektes verbunden sind und dabei die Zahlen von outreach, beneficiaries, hosts, baby packages, was geplant ist, bereits durchgeführt wurde, noch durchgeführt werden muss oder nur durchgeführt werden kann, wenn wir die neuen Gelder bekommen, nicht zu vertauschen. Eine Eingliederung der Strudelinformationen in mein deutsches Punktesystem gelingt mir nicht. Ich finde das Strudelsystem ineffizient und nicht hilfreich. Kein Wunder, dass „die hier immer so lange brauchen, bis sie was auf die Reihe kriegen“ denke ich genervt und fühle mich strategisch haushoch überlegen.

Amman. Büro des UNHCR. Cash Meeting zur Syria Regional Refugee Response. Das Meeting wird von einem Schweizer geleitet. Die Agenda besteht aus Punkt 1-5. Gerade diskutieren wir Punkt 2 als eine Frage zu Punkt 4 aufkommt. Der Versuch eines Kollegen, mehr Dynamik in das Punktesystem zu bringen – die Diskussion scheint ihm etwas statisch. „Ja, das besprechen wir dann, wenn wir bei Punkt 4 sind“, lautet die Antwort des Schweizers. Und schiebt hinterher: „Jetzt haben wir 25 Minuten über Punkt 2 diskutiert. Können wir hier ein Ergebnis festhalten? Und für Punkt 3 haben wir nur 10 Minuten, also hier bitte kurz halten.“ Verdutzte Blicke von Seiten der meisten Teilnehmer. „Seltsame Art, ein Meeting zu halten“, höre ich nach der Besprechung. „Was will er denn für ein Ergebnis? Und dass er diese Frage einfach so abgewürgt hat, unmöglich“ Ich mag den Schweizer und habe zum ersten Mal seit meiner Ankunft das Gefühl, etwas verstanden zu haben.

Mafraq, Nordjordanien. Hier im ICMC Field Office werde ich in den nächsten Monaten meine Zeit verbringen. Das heißt im Büro und den umliegenden Gemeinden. Hier werde ich mit einem neuen Aspekt von unterschiedlichen Kommunikationskonzepten konfrontiert. Mit Kollegen bin ich unterwegs zu einigen Flüchtlingen. Wie wir sie finden? Straßennamen, Hausnummern – Fehlanzeige. „Hallo hier ist Nasser von ICMC. Wir sind hier am Südtor des Friedhofes. Wo wohnst du? Ah. Ja. Mhm. Ok. Gut. Bis gleich.“ – „Also, wir müssen zu dieser Moschee fahren, da ist ein Fußballclub in der Nähe. Dort rechts in die Straße beim Abu Khaled Supermarkt wieder links, bis zum Kreisverkehr, dann Richtung Norden und beim Bäcker wieder links. Dann bis zum Haus von Ahmad.“ Wer Ahmad ist, wissen wir nicht. Aber wir finden das Haus. Und nicht nur seins. Hier erfahren wir von weiteren Familien, die irgendwo in Wohnungen untergekommen sind und bekommen die Wegbeschreibung gleich dazu. Auf diese Art und Weise treiben wir die ärmsten und bedürftigsten Familien auf. Niemals hätten ich oder andere Kollegen und Mitarbeiter internationaler Organisationen diese Familien gefunden.  Hier in Mafraq fühle ich mich strategisch gar nicht mehr überlegen und finde mein Kommunikationssystem auch gar nicht mehr so effizient.  

Aber einmal mehr freue ich mich darüber, dass es verschiedene Kommunikationskonzepte gibt. Das macht die Kommunikation in interkulturellen Teams nicht immer einfacher, aber ich bin überzeugt, dass man in einer globalisierten Welt auf jedes einzelne Konzept angewiesen ist, um effizient zu arbeiten.