20. Januar 2015

Klimakompensation – Ein Gedankenexperiment

Jeden September ist Stabübergabe beim Mercator Kolleg. Dieses Jahr kam der 6. Jahrgang zurück und hatte die Welt gesehen, der 7. Jahrgang war auf dem Sprung in ebendiese. Schön für uns, weniger schön für das Klima: Schließlich werden Stagen nicht nur in Berlin, sondern auch in Peru, 12.000Kilometer entfernt, verbracht.

1,2 Millionen Kilometer brachte der 6. Jahrgang alleine mit Flügen zusammen, die von der Stfitung Mercator bezuschusst oder ganz übernommen wurden. Damit kommt man 30 Mal um die Welt. 337 Tonnen CO2 haben wir so produziert, mehr als der durchschnittliche Deutsche in 35 Jahren zusammenbringt.

Und ohne neu entdeckte Heimatliebe zukünftiger Mercatori wird die Klimabelastung durch das Kolleg nicht weniger werden. So verschärfen wir marginal, aber Jahr für Jahr, genau das Problem, dessen Lösung die Stiftung Mercator zu unterstützen sucht: den menschengemachten Klimawandel.

Um diesem Widerspruch zu begegnen, beschlossen die KollegiatInnen des 4. Jahrgangs, die Emissionen aus ihrem Mercator-Jahr zumindest teilweise zu kompensieren. Diese Initiative wurde seitdem fortgeführt, seit Beginn zusätzlich unterstützt durch das Mercator Program Center.

Carbon off-setting heißt das Prinzip, demzufolge die verursachten Emissionen an anderer Stelle wieder eingespart werden sollen. Im Falle des Mercator-Jahres berechnen die KollegiatInnen, wie viele Emissionen durch die verschie- denen Flüge entstanden sind und kaufen sich dann das nötige Kontingent an Emissions-„Guthaben“, um am Ende des Jahres carbon neutral zu sein.

Woher kommen diese Guthaben an Emissionen? Sie stammen aus Projekten, die durch eben diese Kompensationsgelder finanziert werden. Meistens liefern sie erneuerbaren Strom, etwa über Solarpanels in abgelegenen Gebieten, oder helfen z. B. durch effizientere Öfen Energie zu sparen. Die Kompensationsgelder des 4. Jahrgangs gingen in ein Projekt, das kleine Wasserkraftwerke in Indonesien rehabilitierte. Der so produzierte Strom ersetzt Dieselgeneratoren und spart dadurch Emissionen ein. Damit die Rechnung aufgeht, ist entscheidend, dass solche Einsparungen zusätzlich zum normalen Lauf der Dinge realisiert werden, also ohne Kompensationsgeld nicht passiert wären. Dies bleibt ein kniffliges Gedanken- und Beweisexperiment.
Der freiwillige CO2-Markt funktioniert so analog zu den verpflichtenden Emissionshandelsystemen; wo etwa innerhalb der EU der Emissionsverursacher zur Zahlung verpflichtet wird, zahlen hier die Mercatori aus eigenen Stücken einen Preis für CO2. Unge- fähr 25 Euro kostet die Tonne CO2 je nach Kompensationsanbieter, das liegt zwar über dem momentanen europäischen Marktpreis, aber immer noch weit unter den tatsächlichen externen Kosten von Kohlenstoff. Doch selbst mit diesem Discountpreis kamen 7.700 Euro an Kosten für den 6. Jahrgang zusammen.

7.700 Euro zahlen und weiterfliegen? Leider ist die Sache nicht ganz so einfach. Kompensationslösungen sind umstritten und werden gerne als „Klima-Ablasshandel“ abgetan. Der Vergleich hinkt, da Klimakompensation zumindest ein konkreterer Mechanismus zu Grunde liegt als der Erwerb göttlichen Wohlwollens trotz irdischer Sünden. Das Problem ist vielmehr, dass unsere Emissionen als durchschnittliche Europäer auch ohne Flugmarathon bereits zu hoch sind. Selbst wenn Klimakompensation funktioniert – und zumindest die Flüge des Mercator-Jahres neutralisiert – so haben wir uns eigentlich nur auf zu hohem Niveau nicht weiter verschlechtert.

Wenn wir den Klimawandel wirklich begrenzen wollen, dann müsste unser Lebenswandel dramatisch weniger Emissionen verursachen – in unserem Falle wohl rund ein Fünftel dessen, was wir momentan verantworten. Unser durch Flugkompensation erlangtes gutes Gewissen bleibt trügerisch.

Aber abgesehen von der radikalen Alternative, gar nicht zu fliegen, ist Kompensation die wohl beste aller schlechten Möglichkeiten. Wer sich inspiriert fühlt, kann nach dem nächsten Flug vielleicht einmal Atmosfair oder MyClimate googeln.