31. Oktober 2011

Kosmopolitisches Kleinstadtleben und Casanovas Badewanne

Nicht Kigali, Bischkek oder Porte-au-Prince sondern Genf! Seit vier Wochen lebe und arbeite ich nun in in dem Schweizer Städtchen und bin doch jeden Tag – schon im Bus auf dem Weg zur Arbeit – von der ganzen Welt umgeben. Neben mir zwei Afrikaner mit UN-Badge, welche die nächste Konferenz planen, daneben ein Rumänisch-sprechendes Paar, das ausgiebig die Gästliste der letzten Party disktutiert, und eine Amerikaner die versucht ihrer Tochter eine Mütze aufzuziehen während sie kläglich scheitert derem Kickboard auszuweichen. Die Spuren auf den schwarzen Stilettos werden sie nun den restlichen Tag begleiten. Die Chancen stehen gut, dass ich mindestens eine dieser Gestalten noch einmal sehen werde. Denn: Genf hat den Ruf klein zu sein. Sehr klein. Zu klein. Das habe ich spätestens in der zweiten Woche nach meiner Ankunft begriffen, als ich an einem Tag zufällig gleich drei Bekannte Gesichter auf der Straße wiedertraf.

Trotzdem, oder gerade deshalb, mag ich Genf. Und doch würde ich natürlich eigentlich viel lieber über meine Arbeit beim Centre for Humanitarian Dialogue, als über die Stadt berichten. Wie vor kurzem während eines Vortrags unseres Executive Director gelernt, gilt es eine goldene Regel zu beachten, wann man speaking engagements zu seiner Arbeit besser nicht eingeht: Zum einen wenn man neu bei der Organisation ist, zum anderen wenn der Großteil der Arbeit streng vertraulich ist – was hier sicherlich der Fall ist. Was für ihn gilt, gilt umso mehr für mich, die vor gerade einmal vier Wochen das erste Mal die Villa Plantamour betreten hat. Das herrschaftliche Haus am Genfer See beherbergt nun schon seit mehr als zehn Jahren das Centre for Humanitarian Dialogue und gönnt seinen Mitarbeitern einen berauschenden Blick auf den See, den Mont Blanc und die Jet d’Eau. Es ranken sich eine Vielzahl von Legenden um das aus dem 18. Jahrhundert stammende Haus. So soll zum Beispiel Giacomo Casanova einst hier verweilt haben und die Vorstellung, dass er in der steinernen, schmuckvoll-verzierten Badewanne im Nebenzimmer meines Büros gelegen hat, ist eine gern erzählte Anekdote. Die dementsprechend heitere Arbeitsatmospäre ist umso wichtiger, als dass die Themen sonst sehr ernst sind: Unterstützung von Konfliktlösung und Verhandlungen sowie Reduzierung der Gewalt in den Krisenherden der Welt, wie Somalia, Sudan oder den Philipinen.

Um Genf ranken sich viele Geschichten. Damals wie heute ist die Stadt ein Ort der Durchreise, der mit den nahen Bergen, dem See und einer hohen Lebensqualität viele Menschen anzieht. Umso stärker präsent sind die vielen Widersprüche, die sich auf kleinem Raume begegnen. Während Menschen beim Internationalen Komitee des Roten Kreuzes, beim UNHCR oder OCHA für humanitäre Belange eintreten, wo bei der WHO Armut bekämpft wird und die Genfer Abrüstungskonferenz tagt, schließen andere ein paar Straßen weiter im genauso berühmt wie berüchtigten Hotel Kempinski Milliardenverträge über Waffenlieferungen ab – wobei letztere Information auf der Erfahrung einer im Genfer Bankwesen tätigen Bekannten beruht. Aus eigener Beobachtung kann es die Rolls-Royce-Dichte sicherlich mit der Anzahl der musizierenden Roma-Familien in der Tram aufnehmen. In wenig anderen Städten liegen die Kontraste so nah beieinander.

In all die (faszinierenden) Widersprüche reiht sich auch die Arbeit einer Nichtregierungsorganisation (NGO) im Feld der humanitären Mediation und Konfliktlösung ein. Die wachsende Zahl von privaten Akteuren in diesem Bereich lässt sich mit einer Vielzahl von Vorteilen erklären, die diese Art der Konfliktbearbeitung mit sich bring. Im Gegensatz zu einem Staat oder einer internationalen Organisation wie der EU oder UN als Mediator, ist ein privater Akteur diskret und flexibler, und ein von ihm geleiteter Prozess zwanglos. UN-Generalsekretär Ban Ki-Mon, der vergangene Woche das Centre for Humanitarian Dialogue besucht hat, stellte uns gegenüber klar heraus, dass die Organisation an Orten agieren kann, die für die UN nicht zugänglich sind. Diese Vorteile, die die Arbeit von NGOs im Feld der Konfliktlösung interessant und wertvoll machen, haben jedoch auch eine Kehrseite. NGOs mangelt es von Natur aus an militärischer, finanzieller und wirtschaftlicher Macht um die Konfliktparteien unter Druck setzen zu können und die nötigen Anreize zu schaffen ein vermitteltes Friedensabkommen umzusetzen. Ein weiteres Problemfeld ist die Finanzierung durch Dritte, auf die NGOs angewiesen sind. Insbesondere nicht-zweckgebundenen Mittelzuwendungen sind überlebenswichtig für die politisch-sensiblen und häufig kurzfristig-geplanten Aktivitäten der NGOs – und dennoch zunehmend selten. Durch die häufig nicht öffentlichen Aktivitäten, mangelt es den Organisationen an werbewirksamen Auftritten, die wiederum in der Finanzakquise negativ zu Buche schlagen. Ähnliche Spannungen gibt es natürlich auch in der inhaltlichen Ausrichtung: Beschränkt man sich auf humanitäre Mediation, engagiert man sich in der Vermittlung von politischen Lösungen (dem so-genannten „Track I“), oder bemüht man sich um partizipatorische Dialog-Prozessen auf gesellschaftlicher Ebene (Track II)? In wie weit bedingen sich die Aktivitäten unter einander und in wieweit behindern bzw. gefährdet das eine das andere?

Viele dieser Fragen beschäftigt die „Community“ von Akteuren der Konfliktbearbeitung. Hört man sich unter Kollegen um, so hat jeder aus der eigenen Perspektive zu berichten, was die Arbeit schwierig aber auch spannend macht. Für mich entstehen jede Woche mehr Fragen und neue interessante Themenbereiche tun sich auf. Vielleicht ist es wieder einmal Zeit in Genf ein bisschen Bus zu fahren – mit Glück erreicht einen der ein oder andere spannende und inspirierende Gesprächsfetzen über Weltpolitik, WTO-Verhandlungen oder die nächste UN-Party.