30. April 2013

Lumumbas Geist, Straßensperren, Dieselprobleme und die Mayi Mayi

Lumumbas Geist, Straßensperren, Dieselprobleme und die Mayi Mayi Demokratische Republik Kongo, Südkivu, im März 2013. Von Bukavu beginnend fahren wir mit einem weißen Toyota Landcruiser ohne Nomenklatur Richtung Süden der Provinz. Das Wetter ist gut, die Straßen sind schlecht. Ziel der Reise sind die Städtchen Baraka und Fizi, wo wir der aktuellen Lage in punkto Demilitarisierung, Friedensprozess und humanitärer Situation auf den Zahn fühlen möchten. Hierfür sind Treffen geplant, zuvorderst mit lokalen Vertretern von Regierung, Polizei und Militär, aber auch der Zivilgesellschaft und nicht zuletzt den bewaffneten Gruppen selbst. Nach einem ersten Teilstück der Reise erreichen wir die Grenzstadt Uvira, nahe der Grenze zu Burundi. Dort machen wir Halt um dem örtlichen Geheimdienst eine vom Provinzgouverneur unterzeichnete Arbeitserlaubnis vorzuzeigen. Dies ist sinnvoll, da ich zehn Tage zuvor von jenem Geheimdienst über fünf Stunden festgenommen worden war. Zwar hatten wir zu diesem Zeitpunkt bereits die Genehmigung, doch dies war offensichtlich von höherer Stelle noch nicht per SMS durchgegeben worden (Computer gibt unterhalb der Provinzebene in der Regel nicht). Nachdem dies erledigt ist, fahren wir weiter. Es geht durch eine Gegend, die ich bislang nur aus Erzählungen und Büchern kenne. Es heißt im Süden des Südkivu sei die Geburtsstätte der sogenannten mayi mayi, ein Überbegriff für meist lokal begrenzte, oft sehr nationalistische und auf spirituelle Hilfsmittel zurückgreifende Milizen. Bereits in den frühen 1960er Jahren hat sich der spätere Präsident Laurent-Désiré Kabila hier mit seinem Weggefährten Pierre Mulele und Che Guevara gegen den autoritären Präsidenten Mobutu Sese Seko’s Machtapparat aufgelehnt, damals allerdings ohne Erfolg. Gute dreißig Jahre später beginnt hier – nun ohne Mulele und Guevara, aber mit ruandischer Hilfe – Kabilas Marsch auf Kinshasa, der das über 30 Jahre alte Regime des Mannes mit der Leopardenmütze beenden würde. Ebenfalls hier beginnt aber auch ein weiterer Widerstandskampf lokaler Milizen, die mit Kabilas ruandischen Partnern nicht zurecht kommen. Ein heißes Feld, aber auch eine geschichtsträchtige und spannende Region. Kaum irgendwo anders in der weitläufigen Demokratischen Republik Kongo dürfte man so viele Lumumba-Statuen und –bilder antreffen. Praktisch in jedem noch so kleinen Dorf eine. Patrice Emery Lumumba, Nationalheld und erster Premierminister des Kongo, wurde 1961 durch eine belgisch-amerikanische Verschwörung zum Wohlwollen seiner politischen Gegner ermordet. Er war bereits 1964 während der Mulele- und Kabila-Rebellionen Integrationsfigur und bleibt dies bis heute in weiten Teilen des Landes, doch ganz besonders im territoire Fizi, durch das wir fahren. Die Region galt lange als sehr unsicher für Reisende, doch wir hören von diversen gut informierten Quellen, das dies derzeit weniger der Fall ist. Dennoch, einige Kilometer nach Uvira, eine Straßensperre von Regierungssoldaten. Wir werden angehalten und kontrolliert. Trotz der unverhältnismäßig schweren Bewaffnung (ein Soldat trägt eine RPG) ist die Stimmung locker und wir dürfen nach wenigen Minuten weiterfahren. Nicht ganz so entspannt ist die nächste Straßensperre, die uns erwartet. Eine größere Gruppe junger Männer erwartet uns an einer Brücke, Steine werden aufgeschüttet und wir am vorbeifahren gehindert. Wir halten an. Die Männer sagen, sie seien Arbeiter und hielten die Straße instand. Sie verlangen Wegzoll. Um ihren Wunsch zu unterstreichen wedeln sie mit Macheten, Schaufeln und Stöcken. Ihr Staccato-Kiswahili, gemischt mit Kibembe, einer der örtlichen Sprachen, ist schwierig zu verstehen, doch das Anliegen ist klar. Wir verhandeln. Die Stimmung schwankt zwischen leicht aggressiv und aufgeladen bis hin zu humorvoll und eher entspannt. Niemand unter ihnen besitzt eine Schusswaffe. In einem guten Moment starten wir den Motor und machen Anstalten unseren Jeep über die Steine zu bewegen. Es klappt nicht, doch es wirkt. Die Männer fangen an zu lachen. Wir sind nicht bereit zu bezahlen, da wir bereits nach Uvira an einem péage die offizielle Straßenmaut beglichen hatten. Zu guter letzt entschließen wir uns doch zu einem Geldtransfer, 200 francs congolais. Das sind etwa 0,18 Euro. Es ist nicht genau, was sich die zwanzigköpfige Gruppe erwartet hatte, aber angesichts der détente während einer halben Stunde munterem Streiten und Witzereißen macht das nichts mehr. Wir fahren weiter. Im nächsten Dorf, einige Kilometer weiter, beschließen wir anzuhalten. Hier wohnt General Mayele, Gründer und Veteran der gleichnamigen Gruppe mayi mayi. Die Stimmung ist ruhig, zahlreiche Soldatinnen und Soldaten des Generals lungern am Straßenrand herum, essen Kekse und reinigen ihre Kalashnikows. General Mayele befindet sich im Reintegrationsprozess in die Regierungsarmee, daher handelt es sich hier um keine echte, aktuelle Frontlinie (dorfauswärts hat die Regierung ihre Stellungen und uns sind in den letzen Monaten keinerlei bewaffnete Konfrontationen in dieser Hinsicht bekannt). Der General ist bereit, uns zu empfangen und wir dürfen ihn eine Stunde lang interviewen. Er bestätigt uns, dass die andauernde Zersplitterung der Regierungstruppen in alte und neue Rebellengruppen ein elementares Problem der Region ist – doch zugleich eine Notwendigkeit, da die Regierung von Opportunisten und Korruption geprägt ist. Dennoch bekräftigt er seinen Willen zu integrieren und der bewaffneten Opposition abzuschwören. Ein nicht unbekanntes Paradox in den Kriegswirren des Kongo. Wir fahren weiter bis nach Baraka, der nächstgrößeren Stadt unter Regierungskontrolle. Dort treffen wir zahlreiche Vertreter aus Zivilgesellschaft, von der UN und staatlichen Stellen, aber auch Repräsentanten von Mayi Mayi Yakutumba, der derzeit größten Rebellengruppe in der Gegend. Am Folgetag wollen wir nach Fizi aufbrechen, Hauptort des homonymen territoire. Die Strecke dorthin ist kurz, etwa 40 Kilometer, doch die Straße ist dermaßen schlecht, dass wir den Tank vor Abfahrt noch einmal vollmachen müssen. So halten wir an einer typischen ländlichen kongolesischen Tankstelle. Einige Kanister und zu Benzinreservoirs umfunktionierte Wasserflaschen bilden das Geschäft eines Tankwarts hier. Wie seine Kollegen ist auch er ein khadafi, die übliche Bezeichnung für diesen Berufstand im Kongo. Einmal volltanken, Benzin bitte. Dies wiederholen wir noch circa vier Mal, doch das Glück ist uns nicht hold. Der khadafi scheint uns nicht verstanden zu haben, trotz Kiswahili, und beglückt uns mit einigen Litern Diesel, bis wir im Rückspiegel sehen, welches Desaster sich anbahnt. Das Ende der Geschichte ist einfach. Wir trommeln eine Truppe Mechaniker zusammen und lassen gemeinsam das Benzin-Diesel-Gemisch aus dem Tank und säubern die Pumpe. Weiter geht es, nach ca. zwei Stunden unfreiwilligem Stop. In Fizi angekommen, lassen wir unsere Sachen bei kongolesischen Freunden, die uns eingeladen haben. Wenig Zeit bleibt, die malerisch-bizarre Schönheit des moyen plateau, auf dem Fizi liegt, zu bestaunen. Wir treffen Vertreter von Armee, Geheimdienst und Rebellengruppen. Trotz des Rufs, den Fizi für seinen Hang zu Verschwörungen und Verschwörungstheorien hat, gibt es keinerlei Zwischenfälle. Unsere Gesprächspartner, obgleich von verschiedenen Seiten, scheinen gar froh, sich mit uns austauschen zu können. Journalisten kommen fast nie. Wir ziehen weiter. Auf einem Hügel thronend, befindet sich das Haus eines Ex-Rebellen. Einst war es die kongolesische Regierung, die ihn auf diese Weise herausgekauft hat. Wir sind unsicher, welchen Grad er trägt, da er offensichtlich im Alkoholrausch seine Selbstbezeichnung kontinuierlich zwischen Major, Oberst und General schwanken lässt. Ich kann dem Gespräch nur schwerlich folgen, da sein lallendes Kiswahili etwas schnell für mich ist, doch ich erfahre, dass der nun großväterlich wirkende Rentner in den 1960er Jahren gemeinsam mit Che Guevara gekämpft hat. Er zeigt uns Bilder und scheint sehr stolz zu sein. Nach diesem und weiteren Gesprächen fahren wir zurück zur Unterkunft und am nächsten Morgen zurück nach Bukavu. Auf der Rückfahrt gibt es keine weiteren nennenswerten Ereignisse. Langweilig ist es trotzdem nicht, viele Eindrücke müssen verarbeitet werden und ich habe die Gelegenheit, sprachliche und geschichtliche Verständnisprobleme während unserer zahlreichen Begegnungen auf der Reise mit meinem Kollegen zu besprechen. Dabei wird mir ein weiteres Mal klar, wie kompliziert der Kongo bleibt und wie wichtig es für unser Verständnis ist, mit den Menschen vor Ort zu sprechen um die komplexe Gemengelage in dieser Region begreifen zu können. Auch wenn der Weg dorthin steinig ist, manchmal im wahrsten Sinne des Wortes.