6. Januar 2013

Mogadischu: Aufbruch am seidenen Faden

Die von jahrzehntelangem Bürgerkrieg gebeutelte Hauptstadt Somalias erlebt seit kurzem einen Aufschwung. Somalis, die jahrelang im Exil lebten, kehren in ihre Heimat zurück, um beim Wiederaufbau zu helfen. Und doch scheinen die urbanen Fortschritte noch nicht dauerhaft zu sein. Eine Fahrt durch die Stadt, die lange den unrühmlichen Titel der „gefährlichsten Hauptstadt der Welt“ trug.

An unserem gepanzerten Land Cruiser ziehen sich meine Kollegen Tim und Joanna ihre schweren Splitterschutzwesten über. Wir fahren heute von unserem UNO­ Camp am Flughafen zu einem Treffen in die Villa Somalia, dem Regierungssitz des Landes. Wir wollen Stabilisierungs-­ und Wiederaufbaumaßnahmen mit der Regierung besprechen. Fünf Kilometer Fahrt durch Mogadischu.

Die Fahrt beginnt entlang der Landebahn, auf der reger Flug­ verkehr herrscht. Erstmals seit langer Zeit kehren Exil­-Somalis wieder nach Somalia zurück. Seitdem die Islamisten von Al Schabab im August 2011 die Stadt der somalischen Regierung und den Soldaten der Afrikanischen Union (AMISOM) über­ließen, sind bereits Tausende hier gelandet. Viele kommen, um Verwandte zu besuchen, die trotz des Krieges nicht geflohen sind; andere kommen, um zu bleiben und Geschäfte aufzubauen.

Bauboom und Not in unmittelbarer Nachbarschaft

Wir müssen nicht weit fahren, um die Wiederauferstehung Mogadischus zu erleben. Gleich hinter den Toren des geschützten Flughafengeländes wird überall gebaut und renoviert. Wir fahren vorbei an himmelblauen und pfirsichfarbenen Vorstadtvillen sowie dem neuen Jazeera Hotel. Der Aufbruch ist greifbar an der Airport Road.

Umso bedrückender wirken daher, inmitten der Neubauten, die verbliebenen Zeltlager der Binnenvertriebenen, der soge­ nannten IDPs („Internally Displaced Persons“). Die meisten dieser Camps entstanden während der großen Hungersnot von 2011, als Somalis zu hunderttausenden in ihrer Hauptstadt Zuflucht, Nahrung und medizinische Versorgung suchten. Zwei Jahre später sind viele der Camps noch immer da und in meist er­ bärmlichem Zustand. Geschätzte 360 000 Menschen leben nach wie vor unter Zeltplanen oder in Kriegsruinen in der Stadt ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser und Toiletten. In fast jeder Regenzeit gibt es Fälle von Cholera und erstmals seit sechs Jahren wütet auch das Poliovirus wieder in der Stadt. Zudem bleiben sexuelle Übergriffe gegen Frauen und Mädchen ein gravierendes Problem.

Dennoch wollen viele IDPs nicht wieder in ihre Heimatregionen zurück, wo oftmals nur Hunger, Elend, und die strenge Scharia­ Herrschaft der Al Schabab auf sie warten. In Mogadischu gibt es die Hoffnung auf Arbeit, etwa als Tagelöhner auf dem Bau oder als Putzfrau in einem der Hotels oder UNO­ Compounds. Schleichend werden aus IDPs somit arme Stadtbewohner und aus Flüchtlingslagern werden Slums. Bürgermeister Mohamed Nur hat ambitionierte Pläne für ein neues Stadtviertel, in das sämtliche IDPs umgesiedelt werden sollen. Bisher ist aber noch nicht viel passiert.

Unser Konvoi biegt auf die Muka al Mukarama ein, eine der Hauptverkehrsadern Mogadischus. Der Verkehr ist höllisch, die Geschäfte brummen. Wir fahren an Wäschereien, Gemischt­warenläden und Cafes vorbei. Die unzähligen Einschusslöcher, die nahezu jede Hausfassade entstellt haben, werden mit Mörtel geflickt und mehr und mehr Neubauten füllen die Lücken, die der Krieg in die Straßenzüge gerissen hat. Männer sitzen im Schatten, trinken Tee und kauen Kat. Gegenüber tragen Frauen einer lokalen NGO die jahrelang unberührten Müllberge ab. Ihre Stadt galt einmal als die „Weiße Perle des Indischen Oze­ans“. Hier und da scheint die lange verlorene Schönheit zaghaft wieder durch. Letztes Jahr ließ eine norwegische NGO entlang der Muka solarbetriebene Straßenlaternen aufstellen, die die ganze Nacht über Licht spenden. Die Sicherheitslage entlang des Boulevards verbesserte sich spürbar, Cafés und Läden blei­ben nun bis spät geöffnet.

Blick vom Balkon des Präsidenten auf Mogadischu © Bastian Richter

Unser Konvoi erreicht die Villa Somalia. Unsere Gesprächs­partnerin Maluka Abdikadir ist, wie viele hier, Exil­-Somalierin. Sie wuchs überwiegend an der US­-Ostküste auf und war dort bis vergangenes Jahr Investmentbankerin, zog es dann aber vor, für ein allenfalls symbolisches Gehalt der Regierung beim Wieder­ aufbau des Landes zu helfen. Maluka verkörpert für mich die größte Hoffnung Somalias: Eine gut ausgebildete, junge Dia­spora, die die Risiken nicht scheut und zurückkommt, um mit anzupacken. Einfach haben es die Rückkehrer gleichwohl nicht. Der Argwohn der Einheimischen, die während der zwei Dekaden des Bürgerkriegs in Somalia ausharrten, ist oft groß.

Terroranschläge drohen, die Aufbruchsstimmung zu ersticken

Auf der Rückfahrt stoppen wir kurz am „Village Restaurant“. Sein Besitzer Ahmed Jama war einer der ersten, die 2008 aus dem Londoner Exil zurückkehrten, um ein Geschäft zu öffnen. Jama entdeckte eine Marktlücke in Mogadischu: Die Sehnsucht nach etwas Normalität – und einem guten Espresso. Sein Restau­rant ist insbesondere bei Regierungsbeamten und Parlamentariern beliebt, was schnell die Missgunst der Schabab weckte. Tim zeigt uns, wo sich im September 2012 zwei Selbstmordattentäter in die Luft sprengten und 14 Restaurantgäste töteten. Kürzlich folgte ein weiterer Anschlag, wieder 15 Tote. Jama überlebte beide unbeschadet, aber ob sich sein Geschäft nach dem zweiten Anschlag noch einmal erholen wird, ist fraglich.

Auch die UNO ist vor Angriffen nicht gefeit. Bevor unser Konvoi den Flughafen wieder erreicht, halten wir kurz am Hauptsitz von UNDP, wo vor wenigen Monaten eine Autobombe das Außentor zum Einsturz brachte. Im anschließenden Schuss­wechsel mit einem Schabab­ Kommando kamen neben den Angreifern auch eine Reihe unbeteiligter Zivilisten und UN­ Angestellter ums Leben. Für die Islamisten ist die UNO ein legitimes Angriffsziel. Sie begründeten den Anschlag unter an­ derem damit, dass die UNO säkularer Schulbildung Vorschub leiste und mit der somalischen Regierung den Aufbau eines is­lamischen Staates untergrabe. Diese Situation macht Mogadi­schu bisweilen zu einem unmöglichen Arbeitsort. Unsere zwangs­läufig strengen Sicherheitsvorkehrungen schaffen eine oft unüberwindbare Distanz zu genau jenen Menschen, die unsere Hilfe am nötigsten haben. Aus diesem Teufelskreis kommen wir momentan nur schwer heraus. Und dennoch: Die Hoff­nung auf eine bessere Zukunft in Mogadischu war selten größer.